Fernsehen und die Folgen:Risiko-Programm

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Schon zwei Stunden vor der Mattscheibe täglich schädigen fürs Leben. Das ergibt die erste Langzeitstudie zu den Folgen des Fernsehens. Deutschlands Zehn- bis 15-Jährige sitzen jeden Tag durchschnittlich satte 118 Minuten vor der Glotze.

Von Christina Berndt

Das Medium Fernsehen mag besonders schnelllebig sein. Und trotzdem hat, wer als Kind häufig fernsieht, viel zu lange etwas davon. Übergewicht, ein schlappes Herz und ein hoher Cholesterinspiegel verfolgen ihn sein Leben lang.

Kleinkind vor dem Fernseher (Foto: Foto: ddp)

Das ergibt die erste Langzeitstudie zu den Folgen des Fernsehens, die jetzt in der Ärztezeitschrift Lancet erschienen ist. "Exzessives Fernsehen hat für junge Leute schädliche Konsequenzen bis ins Erwachsenenleben", sagt der Leiter der Studie, Robert Hancox von der University of Otago in Neuseeland.

Wenn Eltern sich angesichts des Wortes "exzessiv" jetzt beruhigt in den Fernsehsessel fallen lassen, irren sie aber. Denn Hancox nennt exzessiv, was viele Eltern wohl noch moderat finden: Schon täglich zwei Stunden vor der Glotze erhöhen die Gesundheitsrisiken im späteren Leben dramatisch.

Und immerhin sitzen Deutschlands Zehn- bis 15-Jährige täglich durchschnittlich satte 118 Minuten vor der Mattscheibe. Dabei wird in ärmeren Familien mehr ferngesehen als in Familien mit höherem sozioökonomischen Status. Fernsehen müsse zu einem vorrangigen Thema von Gesundheitskampagnen werden, fordert Hancox.

"Risikofaktoren für frühen Tod sind schon etabliert"

Und David Ludwig von der Harvard-Universität in Boston verlangt gar ein Verbot von TV-Werbung für Lebensmittel, die sich an Kinder richtet: "Das sollte geschehen, bevor eine weitere Generation darauf programmiert wird, fett zu werden."

Schon häufiger wurde davor gewarnt, dass Fernsehen und eine schlappe Konstitution fast unzertrennlich sind. Dass Kinder vor der Mattscheibe unsportlich und übergewichtig werden und wegen der gedankenlos verspeisten Chips und Softdrinks auch noch hohe Cholesterinspiegel haben, ist inzwischen unstrittig. Wie sich das aber auf ihr späteres Leben auswirkt, hatte bisher niemand untersucht.

Eben diese Mühe haben sich Robert Hancox und sein Team gemacht. Schon im April 1972 begannen die Forscher, alle Kinder, die binnen eines Jahres in der 120.000-Einwohner-Stadt Dunedin in Neuseeland geboren wurden, zu erfassen.

In den folgenden 26 Jahren wurden die Eltern - und später auch die rund tausend Heranwachsenden selbst - regelmäßig nach ihrem Fernsehkonsum befragt. Schließlich folgte der große Gesundheits check: Mit 26Jahren wurden die jungen Leute gewogen und gemessen, ihre Blutfettwerte wurden bestimmt und schließlich mussten sie aufs Fahrrad, um zu demonstrieren, was ihr Herz zu leisten vermag.

Wie schlecht die Vielseher bei fast all diesen Tests abschnitten, war beeindruckend, sagt Robert Hancox. "Die Risikofaktoren für einen frühen Tod sind schon etabliert."

Es ist fast egal, wie viel kindliche Vielglotzer später sehen

Erschreckend ist auch folgende Erkenntnis: Es ist fast egal, wie viele Filme kindliche Vielglotzer noch mit 21Jahren ansehen. Offenbar haben sich Ernährungsweise und mangelnder Bewegungsdrang da schon so etabliert, dass sie sich im Erwachsenenalter fortsetzen, selbst wenn die Vorliebe für das TV-Gerät nachlässt.

Weniger als eine Stunde Fernsehen pro Tag wären in den Augen der Forscher erstrebenswert. "Auch wenn Eltern es schwierig finden, das durchzuhalten", sagt Hancox. "Wenn man erst als Erwachsener versucht, im Kampf gegen Übergewicht und schlechte Kondition seinen Lebensstil zu verändern, dann ist das noch viel schwieriger."

© SZ vom 16.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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