Vor eineinhalb Jahren durften 19 Neurowissenschaftler in einem Labor an der Universität Marburg einen angenehmen Anblick genießen: In einem Kernspintomografen liegend sahen sie auf einem kleinen Bildschirm frei erfundene, mit ihrem Autorennamen gezeichnete Fachartikel. Die Begeisterung darüber zeigte sich im Nucleus Accumbens, dem im Vorderhirn gelegenen Belohnungszentrum des Menschen. Zwei ihrer Fachkollegen, die Hirnforscher Frieder Paulus und Sören Krach, mittlerweile an der Klinik für Psychiatrie der Universität zu Lübeck, nahmen davon aufmerksam Notiz.
Sie beobachteten, wie das Gehirnareal umso aktiver wurde, je renommierter das Journal war, in dem das Manuskript angeblich erscheinen sollte. Genauer gesagt: Die Freude war umso größer, je höher die Bewertung des Fachblatts nach dem sogenannten "Journal Impact Factor", kurz JIF, war. Sollte das Manuskript etwa in Nature Neuroscience erscheinen (2013 mit einem JIF von 14,98), einem der Sterne am Himmel der Hirnforschung, erstrahlte der Nucleus Accumbens wie ein Feuerwerk.
Die Aktivität nahm indes ab, als dieselbe Arbeit im Fachblatt Neuro Image (JIF 6,13) präsentiert wurde und geriet zu einem Schummern, als es nur der Neuroreport (JIF 1,68) war. Mit ihrer kürzlich im Fachblatt Plos One erschienenen Versuchsreihe wollten Paulus und Krach demonstrieren, wie Naturwissenschaftler das dominierende Belohnungsprinzip des akademischen Betriebs neuronal verinnerlicht hatten. Denn je renommierter das Journal, in dem ein Wissenschaftler publiziert, desto höher fällt auch der persönliche Impact Factor eines Wissenschaftlers aus. Und der bestimmt seinen Marktwert.
"Der Impact Factor spielt eine zentrale Rolle"
Das hat Folgen. Rankings und Statistiken sind heute beliebte Mittel, um Forschung, Institutionen und eben auch Wissenschaftler zu bewerten. Erstellt werden sie mithilfe der Bibliometrie, die akribisch Fachartikel und Zitate zählt. Damit errechnet sie den Impact Factor, die Universalwährung des akademischen Betriebs. "Egal, ob es um die Einwerbung von Drittmitteln, die Bewertung von Fachbereichen, Stellen oder Beförderungen geht," schreiben Paulus und Krach, "der Impact Factor spielt eine zentrale Rolle."
Dabei war dem JIF anfangs eine viel schlichtere Aufgabe zugedacht. Ersonnen von dem US-Linguisten und Gründer des Institute for Scientific Information, Eugene Garfield, sollte der Impact Factor Bibliothekaren helfen, Abonnements für ihre Institution zu verwalten. Er errechnet, wie oft im vergangenen Jahr Artikel zitiert wurden, die in den beiden Jahren zuvor veröffentlicht worden sind - im Falle von Nature Neuroscience 2013 eben 14,98-mal und 2014 dann 16,1-mal. Das soll abbilden, wie wichtig ein Journal im Wissenschaftsdiskurs ist. Nature und Science sind in den Naturwissenschaften die unangefochtenen Platzhirsche.
Je höher der persönliche Impact-Faktor, desto größer die Chance auf Fördermittel
Doch innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Gebrauch des Impact Factors stark gewandelt: Er wird immer mehr genutzt, um auch die Leistung von Forschern individuell zu bewerten. Je mehr ein Wissenschaftler in renommierten Journalen publiziert - bevorzugt als Hauptautor-, desto höher ist seine Punktzahl. Und je beeindruckender diese Ziffer, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Fördergeld zu bekommen oder mit Bewerbungen Erfolg zu haben. Deshalb ziehen gerade Nachwuchswissenschaftler den Impact Factor in Erwägung, ehe sie eine Arbeit zur Publikation einreichen.
"Wen man anstellt, sollte man aufgrund der Verdienste, nicht aufgrund des Impact Factors entscheiden", erklärte der Physiker Reinhard Werner von der Universität Hannover im Januar 2015 ausgerechnet in Nature, das sich derzeit in einem olympischen JIF von 41,5 sonnt.
Das Zitat selbst ist kein perfekter Maßstab zur Bewertung der Qualität und Bedeutsamkeit einer Arbeit, denn nur selten erfüllt es die Aufgabe, auf die besten Studien in einem Forschungsfeld zu verweisen. Stattdessen hat es viele Funktionen: auf Resultate anderer Experimente zu verweisen, gelegentlich zu kritisieren und mitunter auch einem befreundeten Kollegen oder dem Doktorvater einen Gefallen zu tun. Außerdem führt es in die Irre, von einem Journal-Ranking auf den Wert eines einzelnen Artikels zu schließen.
Im Schnitt entfallen auf nur ein Fünftel der Artikel in einem Fachjournal 80 Prozent der Zitierungen. Zeitschriften publizieren wichtige Manuskripte zudem oftmals zu Beginn eines Jahres, damit sie bis zur JIF-Berechnung öfter zitiert werden können. Auch Reviews sind deshalb beliebt, denn die ziehen Zitierungen an wie Motten das Licht. Wer jedoch in einem Nischenfach arbeitet - Tiermedizin zum Beispiel-, dessen Journale stehen im Schatten erfolgreicher Fachgebiete - etwa Molekularbiologie. Solche Themengebiete produzieren naturgemäß weniger Zitate.
Die Folgen: Forscher fühlen sich gedrängt, so oft wie möglich in hoch bewerteten Magazinen zu publizieren, um ihren persönlichen Kurs zu steigern. So machen sie sich den JIF als zentrales Bewertungskriterium ihrer Arbeit zu eigen. Das kann sich direkt auszahlen: In China erhalten Forscher an einigen Universitäten Boni und Gehaltserhöhungen, wenn sie einen Artikel in einem Journal mit hohem Impact Factor platzieren.
In Deutschland kann zumindest der eigene Fachbereich profitieren. Denn bei der leistungsorientierten Mittelvergabe der Hochschulen werden Publikationen mit hohem Impact Factor oft honoriert. Und weisen die Publikationen aus einer deutschen Universität einen besonders hohen Gesamt-Impact- Factor auf, schadet das sicher nicht deren Chancen bei der Exzellenzinitiative.
Ein Marketinginstrument mitzerstörerischer Wirkung
Aus diesen Gründen haben seit 2012 mehr als zwölftausend Forschungsinstitutionen und Wissenschaftler eine Erklärung namens DORA unterzeichnet, die "San Francisco Declaration on Research Assessment". Dort heißt es, der JIF sei "ein Marketinginstrument, das eine unkontrollierte, zerstörerische Wirkung in der Welt der Wissenschaften entfaltet hat".
Doch nicht jeder teilt den Pessimismus. Nature-Chefredakteur Philip Campbell erklärte im Juli 2015 der britischen Times, der JIF sei "ein Maßstab der Bedeutung eines Journals, und es gibt keinen Grund, ihn nicht zu publizieren und Erfolge herauszustreichen".
Dabei sind die Wissenschaftler selbst nicht frei von Schuld. So reagierte in der Studie von Paulus und Krach das Belohnungszentrum gerade derjenigen Forscher am stärksten auf die Aussicht, in Nature Neuroscience zu veröffentlichen, die im Schnitt tatsächlich häufiger in Journalen mit hohem Impact Factor publizieren - ein Mechanismus, der an suchtähnliches Verhalten denken lässt. Der Lust an der Selbstbestätigung können sich auch erfolgreiche Forscher offenbar kaum entziehen.
Und so führen sie - gemeinsam mit fast allen anderen - eine Praxis fort, die, wie es die Fachliteratur inzwischen nennt, zur "Impact-Factor-Manie" führt. Reinhard Werner schreibt dazu in Nature: "Wenn wir glauben, dass wir nach albernen Kriterien beurteilt werden, dann passen wir uns an und verhalten uns albern."