Evolution:Menschen in Zeiten der Dürre

Lesezeit: 6 min

Klimaschwankungen haben wahrscheinlich eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Homo sapiens gespielt.

Marcus Anhäuser

Wer denkt beim Stichwort Klimawandel nicht an Katastrophen? In ihrem nächsten Klimabericht werden die Vereinten Nationen wieder vor den verheerenden Folgen der Klimaveränderung warnen. Es wird immer wahrscheinlicher, dass Horrorszenarien von steigenden Meeresspiegeln, versinkenden Küstenstädten und Millionen Menschen auf der Flucht Wirklichkeit werden.

Dabei ist der Mensch nach Ansicht vieler Wissenschaftler durch den Klimawandel erst geworden, was er heute ist. Anna Kay Behrensmeyer, Paläobiologin am Smithonian Institute in Washington, schrieb Anfang des Jahres im Fachmagazin Science (Bd.311, S.476, 2006): "Es gibt einige Thesen, nach denen Klimawechsel etwa für den aufrechten Gang, ein größeres Gehirn oder die große Anpassungsfähigkeit des menschlichen Verhaltens verantwortlich waren."

Ausstellung in Herne

Warum auch sollte das, was für Tiere und Pflanzen gilt, nicht ebenso für den Menschen gelten? Eine ganze Ausstellung im Westfälischen Museum für Archäologie in Herne zeigt, wie sich nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch der Mensch dem Klima anpasste.

Es ist das alte Mantra Darwins: Nur die an ihre Umwelt angepassten Wesen überleben. Und wenn sich global das Klima ändert, wie es das in großen Zyklen und kleinen Zyklen immer wieder tut, dann wirken sich die neuen, auch regional veränderten Lebensbedingungen aus: Arten sterben aus, wandern ab oder passen sich an.

Aber es ist nicht so einfach, diese Zusammenhänge zu entschlüsseln: "Wir können oft gar nicht genau sagen, wie globales und regionales Klima zusammenhängen", sagt Behrensmeyer. Globale Klimadaten lassen sich sehr gut aus Sedimentablagerungen des Meeresbodens herauslesen. Die klimatischen Bedingungen unter denen sich der Mensch und die Tierwelt entwickelten, lesen Forscher aus Kohlenstoffisotopen, Pollenanalysen und Fossilien vor Ort auf dem Land ab.

Diese Signale öffnen aber immer nur räumlich und zeitlich sehr kleine Fenster. Zudem wurden sie oft durch andere Prozesse wie tektonische Störungen verändert. "Immer wieder verwischen oder überlagern diese Prozesse die Signale des globalen Klimas", sagt Behrensmeyer.

Keine Beweise

Hinzu kommt das Problem aller Wissenschaften, die sich mit komplexen Entwicklungen in der Vergangenheit befassen. Behrensmeyer sagt: "Es ist sehr schwer, echte kausale Zusammenhänge zwischen einem Klimawandel und einem evolutionären Event herzustellen."

Die These etwa, dass Vorfahren des Menschen ihre Haare verloren, weil sich das Klima erwärmte, lässt sich nicht im Labor testen. Beweisen können die Wissenschaftler gar nichts. Sie können ihre Vermutungen nur so gut belegen, dass sie möglichst wahrscheinlich werden.

Präsentation des "Millenium Man"

Wie anfällig die Thesen zur Klimawandel-Mensch-Connection sind, zeigt sich am Beispiel des aufrechten Gangs, der entstand, noch bevor der erste Vertreter der Gattung Homo das Licht der Welt erblickte. Die klassische Erklärung lautet: In Ostafrika verließen die Affen die Bäume, als das Klima trockener wurde und der Regenwald schrumpfte. In den Weiten der Savanne brachte das Gehen auf zwei Beinen Australopithecus mehr ein, als auf allen Vieren zu laufen.

Bis dann im Jahr 2000 Forscher den "Millenium Man" präsentierten. "Orrorin tugenensis lief auch schon auf zwei Beinen, lebte aber im Wald. Das konterkariert die zwanzig Jahre alte Savannen-Vorstellung auf gewisse Weise", sagt Jürgen Richter, Archäologe der Uni Köln und einer der wissenschaftlichen Berater der Ausstellungsmacher in Herne.

Auch unsere Gattung Homo ist nach Ansicht vieler Wissenschaftler als Folge eines globalen Klimawandels entstanden, als sich vor 2,8 bis 2,4 Millionen Jahren das Klima auf der Erde abkühlte, wie Meeressedimente belegen. In der nördlichen Hemisphäre läutete das die Phase der Eiszeiten ein.

In Ostafrika wurde es erneut trockener, über Hunderttausende von Jahren fielen die Regenzeiten aus. Die Pflanzenwelt wehrte sich wie immer, wenn es trockener wird: Sie wird hartfaserig und hüllt Früchte und Samen in härtere Schalen. In dieser Phase verdickt sich bei vielen Großsäugern wie Antilopen oder Schweinen der Zahnschmelz als Reaktion auf die Nahrung, auf der man immer länger herumkauen muss. Auch Australopithecus reagiert auf das veränderte Nahrungsangebot: Er spaltet sich auf.

Dickschädelige Rabauken

Paleoanthropologen wie Friedemann Schrenk vom Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt am Main interpretieren die fossilen Funde so: Es tauchen zwei Typen auf, die das Problem vor etwa 2,4 Millionen Jahren auf unterschiedliche Art und Weise lösen.

Die einen sind die robusten Australopithecinen, dickschädelige Rabauken mit großen Unterkiefern, dreimal so großen Zähnen wie der moderne Mensch, kräftigen Kaumuskeln, die an einem Knochenkamm oben auf dem Schädel ansetzen. Der ganze Kopf dieser Nussknacker-Menschen ist ein einziges Mahlwerk.

Die andere Gruppe, die sich zeitgleich den Lebensraum mit dem Nussknacker teilte, antwortet mit einem Quantensprung in der Hominidenevolution: Homo rudolfensis und Homo habilis entdecken die Kraft von Steinwerkzeugen, mit denen sie die schwer zu kauende Nahrung bearbeiten.

Und die ersten Vertreter der Gattung Homo kommen auf den Geschmack des Fleisches. Mit ihren Werkzeugen zerschneiden sie die Häute und Muskeln von Aas und erschließen sich so eine eiweißreiche Nahrungsquelle, die das Gehirn der Gattung Homo wachsen lässt. "Das ist der Beginn der kulturellen Evolution", sagt Friedemann Schrenk und ergänzt: "Damit endet aber auch nach und nach die Abhängigkeit des Menschen vom Klima, wie sie zuvor bestanden hatte."

Anschwellende Seen

So plausibel das Szenario auch klingt: Ob das Klima vor Ort über so lange Zeit tatsächlich so trocken war, stellten im vergangenen Jahr Wissenschaftler in Science (Bd.309, S.2051, 2005) infrage. Sie untersuchten Sedimente der Seen im ostafrikanischen Graben, um daraus auf deren Pegelstand zu schließen. Ihre Daten zeigen, dass die Seen zeitweise sehr stark anschwollen. "Die lange Trockenphase wurde immer wieder von feuchten Phasen unterbrochen", so die Forscher.

Aber auch sie glauben, dass das Klima die Evolution vorantrieb. Nur seien es gerade diese ständigen Wechsel zwischen trockenen und feuchten Phasen gewesen, die den notwendigen evolutionären Druck erzeugten, damit neue Arten entstanden.

Auch zu anderen Zeiten und Orten haben globale Klimawechsel den Lauf der menschlichen Entwicklung gelenkt. Die Besiedlung Amerikas vor etwa 15.000 Jahren war nur möglich, weil die Landbrücke, die heutige Bering-See, zwischen Asien und Nordamerika nicht überschwemmt war.

Kurze Warmphasen

Die Eispanzer der Nordhemisphäre banden das Wasser. Aber Eis und Schnee versperrten für die Menschen möglicherweise auch den Weg von einem zum anderen Kontinent.

Auch hier halfen Klimawechsel: Mehrere kurze Warmphasen räumten nach Untersuchungen von Geoforschern der Universität Kiel den Weg immer wieder lange genug frei, damit die Küstenregionen eisfrei waren. (Geology, Bd.34, S.141, 2006).

Erschwert wird die Suche nach Zusammenhängen zwischen menschlicher Evolution und Klimawandel durch die Tatsache, dass Klima nur ein Faktor unter vielen ist. "Neue Arten entstehen ja auch durch Mutationen ohne dass sich das Klima ändert. Oder weil Gruppen einer Art räumlich getrennt werden, und sich dann anders weiter entwickeln", sagt Jürgen Richter.

Trotzdem kann man sich dem Gedanken schwer entziehen, dass auch ein Klimawandel Auslöser für wichtige Entwicklungen ist: "Wo immer alles stabil ist, ändert sich letztlich auch nicht viel", sagt Friedemann Schrenk. Und das Klima ist schließlich ein Teil der Bühne, auf der das Leben sich entwickelt.

Wenn das Schicksal der Menschen in der Vergangenheit durch das Auf und Ab des Klimas beeinflusst wurde, hat der anstehende Klimawandel das Zeug dazu uns wieder zu verändern? "Ich glaube nicht für unsere biologische Evolution", sagt Schrenk.

Es werde sicher keine neue Art entstehen, dafür habe sich der Mensch zu sehr von der Natur unabhängig gemacht. Genau so sieht es auch Josef Reichholf von der Zoologischen Staatssammlung München, Autor einiger Bücher über die Evolution des Menschen. "Sehen Sie, wir sind eigentlich eine an die Tropen angepasste Art, und trotzdem besiedeln wir fast alle Klimaregionen der Welt.

Heftige Klimaveränderungen

Das zeigt, wie unabhängig uns die kulturelle Evolution gemacht hat." Es habe auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder heftige Klimaveränderungen gegeben, ohne dass sich in der menschlichen Physis etwas verändert hätte. Außerdem: Im Vergleich zu historischen Ausmaßen erscheint selbst ein Anstieg des Meersspiegels von sieben Metern nicht mehr so gewaltig. "Es gab Zeiten, da war der Meeresspiegel hundert Meter höher oder tiefer als in den Phasen davor", sagt Reichholf.

Aber abgekoppelt von einer biologischen Evolution scheint der Mensch trotzdem nicht zu sein. Erst kürzlich haben Wissenschaftler Hinweise dafür gefunden, dass Homo sapiens nicht aufgehört hat, sich genetisch zu wandeln. Sie spürten im Genom Veränderungen für Hautfarbe, die Gehirngröße oder die Toleranz gegenüber bestimmten pflanzlichen Giften auf.

Diese waren erst in den letzten 15.000 bis 5000 Jahren entstanden und etablieren sich seitdem in den menschlichen Populationen. Ob klimatische Veränderungen aber darauf einen Einfluss hatten oder haben werden, bleibt Spekulation.

Die Entwicklung geht weiter

Christopher Wills, Biologe von der University of California in San Diego könnte sich schon vorstellen, dass sich der Mensch verändert, wenn das Klima sich massiv wandelt: "Über lange Zeiträume betrachtet, könnte es sein, dass sich zum Beispiel unser Verhalten verändern wird, wenn die Menschen wegen steigender Meeresspiegel auf immer engerem Raum leben müssen."

Es könnte ein großer Druck für kooperatives Verhalten entstehen, also Menschen begünstigen, die eher dem Überleben der Gruppe dienen als dem eigenen. Der Druck für eine kulturelle Evolution des Menschen wird aber wohl weit größer werden als für eine biologische.

Je stärker die Folgen des Klimawandels sein werden, desto mehr müssen Menschen sich einfallen lassen, um ihnen zu begegnen. Gewaltige Deichsysteme, die Küstenstädte besser schützen, neue Anbaumethoden für Pflanzen in veränderten Klimazonen, soziale Lösungen, für die Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Auch wenn noch niemand weiß, wie der Klimawandel ausfallen wird, eines ist sicher: Die Bühne für die menschliche Evolution - ob kulturell oder biologisch - verändert sich.

Ausstellung: Klima und Mensch, Leben in Extremen, Westfälisches Museum für Archäologie, Herne

© SZ vom 30.05.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: