Erderwärmung:Klimawandel stärker als befürchtet

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Trotz der Finanzkrise darf der Klimaschutz nicht vernachlässigt werden, fordert Umweltminister Gabriel. Denn der Klimawandel wird noch schlimmer als gedacht.

Das Klima verändert sich noch schneller als bisher befürchtet. "Wir müssen damit rechnen, dass der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert um einen Meter ansteigt", sagte der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber.

Hans Joachim Schellnhuber und Sigmar Gabriel dringen auf mehr Klimaschutz. (Foto: Foto: dpa)

Die geplante Beschränkung der globalen Erwärmung auf durchschnittlich zwei Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts sei nur noch mit größten Anstrengungen zu erreichen, warnten Schellnhuber und der Leiter des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Jochem Marotzke, jetzt in Berlin.

Die jetzigen Erkenntnisse gingen über die Szenarien des jüngsten Weltklimaberichts hinaus, der im vergangenen Jahr einen Meeresspiegelanstieg von 18 bis 59 Zentimetern bis zum Ende dieses Jahrhunderts prognostiziert hatte. Der Weltklimarat habe aber lediglich Erkenntnisse bis zum Jahr 2005 ausgewertet, erläuterte Schellnhuber, der auch Klimaschutz-Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist.

Der Klimaforscher verwies auf eine deutlich beschleunigte Schmelze von Grönlandeis und Gletschern. Für Unsicherheit sorgt zudem die Abnahme von Schmutzpartikeln in der Luft, die Sonnenlicht abschirmen.

Nach Studien der University of Wisconsin-Madison und anderer US-Forscher reagieren Eisschilde schneller auf Klimaveränderungen als bisher angenommen. Schellnhuber wies darauf hin, dass sich die Abschmelzraten der Gletscher im Himalaya sowie des grönländischen Eisschildes in den vergangenen Jahren verdoppelt bis verdreifacht haben. Ursache sei unter anderem der verstärkte Schadstoffausstoß chinesischer Kohlekraftwerke. Dadurch werde das Eis grauer und könne weniger Sonnenlicht reflektieren.

Vorsichtiger beurteilt Schellnhuber eine zweite Studie, wonach selbst bei einem Sofortstopp aller CO2-Emissionen eine weltweite Erwärmung um 2,4 Grad nicht mehr zu vermeiden sei - was unter anderem den Kollaps des Amazonas-Regenwaldes bedeuten würde.

Begründet wird dies mit der Abnahme von Schmutzpartikeln in der Luft, die bislang Sonnenlicht absorbieren. Die Studie berücksichtigt jedoch laut Schellnhuber nicht, dass bislang noch CO2 von den Ozeanen aufgenommen werde. Daher könne die Erwärmung noch auf zwei Grad begrenzt werden - aber nur, wenn spätestens von 2015 an eine Trendwende bei den Emissionen eingeleitet sei. Dazu gehöre, dass der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 weltweit halbiert werde und der Ausstieg aus der Kohlendioxidproduktion bis zum Ende des Jahrhunderts gelinge.

"Jedes Zögern und Zucken bedeutet, dass die Klimaziele nicht mehr erreicht werden können", warnte Schellnhuber.

Schmutzpartikel als Sonnenschirm

MPI-Forscher Marotzke verglich die Wirkung der Schmutzpartikel, der Aerosole, mit einem Sonnenschirm. Während die CO2-Menge in der Atmosphäre in Jahrzehnten langsam zu- oder abnehme, "können Sie den Sonnenschirm sehr schnell zuklappen", sagte er.

Eine solche Reduzierung von Schmutzpartikeln sei aus Gesundheitsgründen auch unbedingt nötig; der Klimaeffekt der Treibhausgase könne dadurch aber plötzlich drastisch ansteigen.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte eine Verschärfung des Klimaschutzes. Das Energiesparen müsse in den Bereichen Gebäude, Verkehr und Agrar verstärkt werden. Angesichts der Krise auf den Finanzmärkten rief Gabriel dazu auf, das Engagement für den Klimaschutz nicht zu vernachlässigen.

Der SPD-Politiker sagte, nach dem Platzen der Spekulationsblase bestehe die Chance, dass sich die Investitionen wieder auf die reale Wirtschaft konzentrierten. Die Zukunft gehöre grünen Technologien. Eine ambitionierte Klimaschutzpolitik könne in Deutschland bis 2020 rund 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Gabriel kritisierte, wer drei Billionen Dollar weltweit verjubele, solle nicht die Empfehlung geben, es an 100 Milliarden Euro jährlich für den Klimaschutz mangeln zu lassen.

Das Geld, was im Zuge der Finanzkrise verbrannt werde, dürfe man sich "nicht bei der Caritas, den Schulen oder dem Klimaschutz zurückholen". Investitionen in den Klimaschutz schulde man auch den kommenden Generationen, die die Folgen des Klimawandels sonst teuer bezahlen müssten.

In Deutschland dürfe es keinen Zweifel an der Umsetzung des Klima- und Energiepaketes mit seinen Schwerpunkten Ausbau der erneuerbaren Energien, Steigerung der Energieeffizienz und Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung geben. Damit könnten aber nur 36 Prozent des Klimaziels erreicht werden. Verstärkter Anstrengungen bedürfe es im Gebäudebereich, beim Verkehr und in der Landwirtschaft.

"Wir heizen immer noch mehr unseren Vorgarten als unser Wohnzimmer", mahnte der SPD-Politiker.

Rasche Konsequenzen gefordert

Der Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid nannte das Verhalten Gabriels schizophren. Zwar rede der Minister von der Verschärfung des Klimaschutzes, lasse aber gleichzeitig zu, dass in Deutschland derzeit 25 neue Kohlekraftwerke geplant würden. Der Ernst der Lage erfordere ein rigoroses Umlenken bei der Stromerzeugung, denn da entstehe der größte Anteil an Treibhausgasen, erklärte Smid. "Wir müssen weg von der Kohle, hin zu erneuerbaren Energien", forderte er

Auch die Grünen forderten rasche Konsequenzen aus den neuen Erkenntnissen. "Die Menschen in Deutschland haben die Zeichen der Zeit erkannt. Sie wollen keine CO2-Schleudern,­ weder als Kraftwerk noch als Auto", sagte Fraktionschefin Renate Künast. "Die Bundesregierung muss aufhören, für neue Kohlekraftwerke zu werben. Sie darf auch nicht weiter auf EU-Ebene für eine Aufweichung der CO2-Grenzwerte für Autos streiten."

An die Adresse von Bundesumweltminister Gabriel sagte Künast: "Der tätige Industrie- und Kohlelobbyist Gabriel sollte den Worten des redenden Umweltministers Gabriel endlich Gehör schenken."

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