Erdbeben:Unheimlich, aber normal

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Die letzten Erdbeben haben keine gemeinsame Ursache.

Angelika Jung-Hüttl

(SZ vom 14.5.1999) - Türkei, Taiwan, Griechenland, Mexiko und jetzt wieder die Türkei - so mancher mag sich fragen, ob diese Häufung von Erdbeben normal ist. "Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den großen Erschütterungen der letzten Monate", sagt Hans-Peter Harjes, Geophysiker an der Universität Bochum. Nicht einmal die beben in der Türkei und in Griechenland, die kurz nacheinander passierten, hätten eine gemeinsame Ursache, und sie hingen auch nicht mit den Erdstößen in Taiwan zusammen, obwohl alle drei Regionen am Rand der großen eurasiatischen Platte liegen.

Als Zickzacklinie zeigt sich ein Erdbeben auf den Seismographen der Wissenschaftler (Foto: N/A)

Gezeitenwellen

Seit Jahren versuchen Wissenschaftler zu erklären, warum es zuweilen an den Rändern der Kontinentalplatten besonders häufig bebt. Vor allem gezeitenwellen, die durch die Anziehungkraft des Mondes erzeugt werden, hatten sie im Blick. Diese lassen nicht nur die Meeresoberfgläche steigen und sinken, sondern ebenso die feste Kruste der Erde. Doch Messungen ergaben, dass diese Wellen zwar Spannungen im Gestein erzeugen, jedoch keine Erdbeben auslösen, und schon gar keine Bebenserien.

Seismische Wellen

Auch die seismischen Wellen, die bei Erdbeben entstehen und um den Globus laufen, verursachen keine weiteren Beben. Dagegen spreche allein schon die Schnelligkeit dieser Wellen, erklärt Harjes. Sie pflanzen sich mit einer Geschwindigkeit von etwa zehn Kilometern pro Stunde fort. Taiwan zum Beispiel liegt etwa 10 200 Kilometer vom türkischen Izmir entfernt. Die Erde der Insel im chinesischen Meer hätte demnach ungefähr 17 Minuten nach der Katastrophe in der Türkei beben müssen - nicht erst neun Wochen später.

10 000 starke Beben jährlich

Jährlich werden weltweit im Durchschnitt 10 000 Beben der Stärke vier und größer auf der Richterskala registriert., 10 bis 15 beben haben katastrophale Folgen. Solche beben scheinen sich derzeit zu häufen. "Doch der Eindruck täuscht", sagt Harjes, "die Zahlen liegen im statistischen Mittel." Das falsche Bild entstehe dadurch, dass die schweren Erdstöße kurz hintereinander in dicht besiedelten gebieten geschahen, großen Schaden anrichteten und dadurch weltweit Aufsehen erregen.

Experten erwarten schlimmere Erdbebenschäden

Amerikanische Bebenforscher vermuten, dass heftige Erdstöße in Zukunft noch katastrophalere Folgen haben werden als die schweren Beben der Vergangenheit. Der Grund: Viele große Metropolen liegen in den Erdbebenzonen, beispielsweise auf dem Feuergürtel rund um den Pazifik. In diesen Gebieten der Erde wächst die Bevölkerung rasch. Daher sind immer mehr Menschen von den Erschütterungen und ihren Folgen betroffen.

Hochhäuser auf Sand und Kies

Am meisten Sorgen bereite ihm die japanische Hauptstadt Tokio, sagte kürzlich der Geologe Frank Press, ehemaliger Präsident der amerikanischen Akademie der Wissenschaften, gegenüber der New York Times. Schon 1923 forderte eine Erschütterung 143 000 Todesopfer, heute aber leben dort mehr als 10 Millionen Menschen. "Ein Beben könnte", befürchtet Press, "der gesamten Weltwirtschaft schaden", den Industrienationen ebenso wie den Entwicklungsländern.

Auch Harjes schließt eine Katastrophe nicht aus. Die Hochhäuser in Tokio seien zwar vorschriftsmäßig errichtet. Gummipuffer in den Fundamenten sollen die Schwingungen abmildern, welche die erschütterungen auslösen und schließlich die Wände berechen und einstürzen lassen. Doch viele Gebäude in der japanischen Hauptstadt stünden auf Sand und Kies, so der Geophysiker, dem denkbar schlechtesten Baugrund. Denn er verstärkt die zerstörerische Kraft der Erdstöße - mit unabsehbaren Folgen für alle Bauwerke.

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