Erdbeben auf Teneriffa:Nur der Berg schweigt

Lesezeit: 4 min

Vor zwei Jahren haben leichte Erdstöße Teneriffa erschüttert - seither streiten Wissenschaftler, ob der Ferieninsel ein Vulkanausbruch bevorsteht.

Axel Bojanowski

Teneriffa stehe ein Vulkanausbruch bevor, warnten Wissenschaftler im Mai 2004. Einzelne Ortschaften könnten von glühenden Lavaströmen bedroht sein. Leichte Erdbeben im Norden der Kanareninsel hatten Möbel und Geschirr in den Häusern wackeln lassen und die Vulkanologen aufgeschreckt.

Der Pico de Teide auf Teneriffa. (Foto: Foto: Pixelquelle)

Magma steige in dem 3718 Meter hohen Pico del Teide auf, drücke anscheinend Gestein auseinander und ließe den Untergrund erzittern, argumentierten die Forscher. Die symbolische Alarm-Ampel Teneriffas wurde vorsorglich auf Gelb gestellt, was Wachsamkeit bedeutet. Was folgte, waren chaotische Wochen auf der Ferieninsel im Atlantik.

Angesichts einer drohenden Katastrophe legten viele Bewohner Vorräte an und kauften die Supermärkte leer. Manche übernachteten voll bekleidet im Freien, um bei einer Eruption so schnell wie möglich flüchten zu können. Politiker und Vulkanologen bezichtigten sich öffentlich, falsche Informationen zu verkünden: Alarmismus vergraule Touristen, schimpften die einen; Unehrlichkeit gefährde die Bewohner, warnten die anderen.

Forscher rechnen miteinander ab

Ausländische Medienberichte schürten den Streit: Eine Zeitung nahm die Katastrophe vorweg und taufte Teneriffa um - in "Terroriffa". Am 20. Oktober 2004 erreichte die Aufregung dann ihren Höhepunkt: Anwohner sichteten eine "Rauchwolke" über dem Gipfel des Teide. Notrufe ließen das Telefonnetz zusammenbrechen. Nach Stunden gaben die Behörden Entwarnung: Es handelte sich nur um eine Schönwetterwolke. Der Pico del Teide ist bis heute ruhig.

Nun - zwei Jahre später - rechnen die Forscher miteinander ab. Manche äußern sich so drastisch, wie es für wissenschaftliche Beiträge in Fachjournalen unüblich ist: Die Warnungen hätten der wissenschaftlichen Grundlage entbehrt, schreibt eine Gruppe um Juan Carlos Carracedo von der Station für Vulkanologie in La Laguna auf Teneriffa in Eos (Bd. 87, S. 462, 2006).

Es sei ein Fehlalarm gewesen, der die Glaubwürdigkeit der Forscher in Frage stelle und die Tourismus-Wirtschaft unnötig in Schwierigkeiten gebracht habe. Allerdings: Auch Carracedo hatte im Mai 2004 vor einem Ausbruch gewarnt. Schon wenige Wochen später geißelte er dann aber den "Alarmismus" seiner Kollegen.

Die Erdbebendaten seien falsch interpretiert worden, sagt Carracedo nun. Die Beben hätten nur scheinbar zugenommen. Früher seien Erschütterungen in dieser geringen Stärke nicht registriert worden, weil auf Teneriffa noch keine entsprechenden Messgeräte installiert gewesen seien. In Wirklichkeit sei der Inselboden nicht unruhiger geworden.

Vulkan tatsächlich erwacht?

Vermehrt aus dem Vulkan strömendes Kohlendioxid sei irrtümlich als Anzeichen für aufquellendes Magma gedeutet worden. Lediglich schwächerer Luftdruck habe bewirkt, dass Gas dem Berg schneller entweichen konnte, schreibt Carracedo. Der Vulkan scheint ihm recht zu geben: Er hat sich beruhigt - Teneriffas Alarm-Ampel zeigt wieder Grün.

Die Gegenfraktion lässt sich von Carracedos Argumenten jedoch nicht überzeugen. Die Ruhe des Teide sei trügerisch, der Vulkan tatsächlich erwacht, warnen andere Wissenschaftler. Indizien häuften sich, dass im Berg Magma Richtung Oberfläche ströme und in den nächsten Jahren ausbrechen könnte, schreiben nun mehrere Expertengruppen unabhängig voneinander in Geophysik-Magazinen.

Und wer sich wie Javier Almendros die Daten genauer ansieht, erkennt Gruseliges: Das Geräusch, das die Beben im Frühjahr 2004 verursacht haben, hätte geklungen wie Wasser, das durch eine Leitung fließt, berichtet der Forscher von der Universität Granada in Spanien in der kommenden Ausgabe des Journal of Volcanology and Geothermal Research. Magma-, Wasser- und Gasströme verursachten die Erschütterungen, folgert Almendros. Die Beben seien also keineswegs harmlos gewesen.

Die Erdstöße und die Daten der Gasmessungen erzählen laut Almendros eine beunruhigende Geschichte: Im April 2004 strömte Magma in die Nordwestflanke des Teide und presste Gase aus dem Untergrund, die nun wie eine Schockfront nach oben drängten. Am 18. Mai erschütterte der Gasdruck eine Grundwasserschicht im Schlot des Vulkans.

Das folgende Stakkato leichter Erdbeben alarmierte die Öffentlichkeit. Wochen später entdeckte Alicia Garcia vom Forschungszentrum CSIC in Madrid, dass verstärkt Dämpfe - sogenannte Fumerolen - aus dem Vulkan stiegen. Damals sei der Teide erwacht, schreibt die Vulkanologin in Eos (Bd. 87, S. 61, 2006).

Kleinere Ausbrüche möglich

Messungen der Erdanziehungskraft, die sich je nach Art des Untergrundes leicht verändert, bestätigen das Szenario: Damit entdeckten Forscher um Joachim Gottsmann von der Universität Bristol, dass eine Substanz in den Vulkan vorgedrungen ist - und zwar in jenes Areal, in dem vermehrt Erdbeben registriert worden sind. Magma und heißes Wasser steige auf, vermuten deshalb auch Gottsmann und Kollegen in den Geophysical Research Letters (Bd. 33, 2006). Ein Ausbruch sei "statistisch überfällig", meint Gottsmann - der Teide sei ungewöhnlich lange ruhig geblieben.

Dennoch bestehe derzeit keine akute Gefahr, darin sind sich die Experten einig. Der letzte große Ausbruch des Teide liegt rund 200 000 Jahre zurück. Wer Teneriffa über die Autopista durchquert, erblickt die Spuren der Eruption: Die karge, cremefarbene Landschaft besteht aus den Ablagerungen mächtiger Aschewolken, Schlammlawinen und Bimssteinen, die damals über die Insel katapultiert wurden. Die Eruptionen der vergangenen Jahrtausende blieben dagegen örtlich begrenzt. Zuletzt floss 1909 Lava zu Tal - aus der Nordwestflanke des Berges.

Kleinere Ausbrüche seien jederzeit möglich, sagt Hans-Ulrich Schmincke vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel, der jahrzehntelang auf den Kanaren geforscht hat. Der Norden und Westen Teneriffas gelten einer 2005 veröffentlichten Risikokarte zufolge als wahrscheinlicher Schauplatz künftiger Eruptionen. Genau in der Region konzentrieren sich die Beben. Erdstöße seien den Ausbrüchen vergangener Jahrhunderte vorausgegangen, erklärt Almendros. Vor einer Eruption würde die Erde aber häufiger erzittern als heute.

Reibereien unter Wissenschaftlern

Doch eindeutige Alarmsignale gebe es nicht, betonte der Vulkanologe Joan Martí vom Erdforschungszentrum CSIC in Barcelona kürzlich auf der Tagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union in Wien. Es sei weitgehend unklar, wie sich der Teide vor einem Ausbruch verhalte. Über den Teide sei zu wenig bekannt, bestätigt Gottsmann. Die Überwachung des Vulkans vor 2004 sei lächerlich gewesen. Seine spanischen Kollegen hätten versäumt, rechtzeitig ein Messnetz auf dem Berg einzurichten, meint auch Schmincke.

Doch Reibereien unter den Wissenschaftlern erschweren die Erforschung des Vulkans. So beschweren sich etwa Vulkanologen, dass sie sich zu wenig mit den Erdbebenkundlern austauschen könnten. Immerhin wurden auf dem Berg mittlerweile Sensoren installiert, um den Teide besser zu überwachen. Mit den Daten soll bei der nächsten Krise des Vulkans ein Chaos wie im Jahr 2004 verhindert werden.

© SZ vom 20.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: