E-Learning in der Oberstufe:"Ohne Lehrer zu lernen, war eine neue Erfahrung"

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Das Internat Schloss Bieberstein ermöglicht es Gymnasiasten zu verreisen, ohne Stoff zu versäumen.

Von Christiane Bertelsmann

Ein Auslandsjahr während der Schulzeit - eigentlich eine schöne Sache. Doch nicht immer können Schüler danach wieder in ihre alte Klasse einsteigen. Auch wenn die Jungen und Mädchen im Ausland brav zur Schule gehen, dort Klassenarbeiten schreiben und gute Noten einheimsen, erkennen nicht alle Schulen zu Hause die in der Ferne erbrachten Leistungen an. Am Internat Schloss Bieberstein, in der Nähe von Fulda, können Schüler jetzt zu Beginn der gymnasialen Oberstufe Auslandserfahrungen sammeln, ohne dass sie Unterrichtsstoff verpassen. "E-International" nennt sich das Projekt, das in diesem Jahr bereits in einer abgespeckten Version mit jeweils vier bis fünf Wochen Aufenthalt in Nepal und Südafrika startete. Während die Schüler des hessischen Internats in Asien oder Südafrika nachmittags bei sozialen Projekten mitarbeiten, lernen sie vormittags täglich mehrere Stunden für bestimmte Unterrichtsfächer - allerdings nicht mit Lehrern am jeweiligen Ort, sondern über eine E-Learning Plattform. Stabiles Internet ist dafür natürlich eine Voraussetzung. Wenn Fragen auftauchen, können die Schüler mit ihrem Lehrer chatten. Bislang werden die Kosten für die Auslandsreise in der Gruppe durch das Internatsgeld von monatlich etwa 3000 Euro gedeckt. Auch externe Schüler können sich bewerben.

Im kommenden Jahr sollen die Reisen auf mehrere Monate ausgedehnt werden: Die Schülerinnen und Schüler fahren in europäische Länder wie Italien und Slowenien und verbringen zudem einige Wochen in Nepal und Südafrika. "Das Projekt steckt noch in der Entwicklungsphase", sagt Schulleiter Michael Meister, "welche Auswirkungen der häufige Wechsel der Destinationen auf das soziale Gefüge und die Lernsituation insgesamt haben wird, das wird sich zeigen." Vom hessischen Schulamt hat Meister eine Zusage bekommen, es hat das Programm anerkannt, das in dieser Form sonst nirgends in Deutschland existiert. Zehn Schüler haben bereits am E-International-Programm teilgenommen. Sie waren in Nepal und reisen Anfang Januar nach Südafrika. Drei von ihnen berichten in der SZ von ihren Erfahrungen:

Luisa Arnold (18): "Nepal war noch extremer, als ich es mir vorgestellt hatte: Der Verkehr, das Gewirr von Stromleitungen über den Straßen, Affen, die auf den Straßenlaternen herumturnen - ganz schön chaotisch. Als wir in dem Waisenhaus ankamen, in dem wir wohnten, haben uns die Kinder sofort alles gezeigt. Was sie im Garten gepflanzt haben. Oder ein Buch, das ihnen gehört. Darauf waren sie ganz stolz. Unsere Aufgabe im Waisenhaus war es, einen Garten von Steinen zu befreien - ganz schön anstrengend. Zusammen mit den Kindern haben wir das Lichterfest gefeiert, das ist für Hindus ein wichtiges Fest, eigentlich eine Familienfeier. Auch Tiere werden da geehrt, vor allem Kühe, das sind für Hindus heilige Tiere.

Die wenigsten Kinder im Waisenhaus haben eine Familie, deshalb haben sie sich besonders gefreut, dass wir mit ihnen feiern. Wir hatten eine tolle Zeit mit den Kindern. Dass ich das einzige Mädchen in meiner Gruppe war, hat mich übrigens nicht gestört - ich habe drei ältere Brüder. Und die Jungs haben sich immer darum bemüht, dass es mir gut geht.

Das Lernen war für mich ganz okay. Ich hätte aber nicht gedacht, dass mir mal so etwas wie eine Schultafel fehlen würde. Wenn man sich nur über Skype mit der Lehrerin verständigen kann, ist das schon ziemlich ungewohnt. Mit Tafelbildern lerne ich einfach besser. Als ich dann wieder in Deutschland in der Schule war, habe ich allerdings gemerkt, dass ich davon profitiert habe, selbständig zu lernen. Ein bisschen unsicher bin ich, ob ich das mit der Schule wirklich gut schaffe. Ob ich nicht zu viel Stoff verpasse, wenn wir dann auch noch im Januar nach Südafrika fliegen. Aber eigentlich muss ich mir nicht so viele Sorgen machen, weil die Schule den Klausurenplan an unsere Reise angepasst hat. Nachschreiben müssen wir nichts."

Gregor Dreyer (17): "Nach Nepal kommt man ja nicht so leicht, und wenn, dann doch eher als Tourist. Deshalb wollte ich unbedingt dorthin. Und richtig in das Leben dort eintauchen. Ich habe sogar extra wegen des E-International-Programms die Schule gewechselt und bin jetzt Internatsschüler.

In Nepal fand ich alles extremst interessant. Und anders, als wir es von Deutschland kennen, wo es überall öffentliche Toiletten gibt, fließendes Wasser und Strom. Aber das habe ich gar nicht so sehr vermisst. Dass das warme Wasser in der Dusche während unserer Trekkingtour extra gekosten hat, fand ich verständlich - für den Strom zum Wassererhitzen müssen die Leute dort ja auch bezahlen.

Wenn es in einer Unterkunft Internet gab, war das oft besser als in Deutschland. Zu Hause kommuniziere ich viel übers Handy mit meinen Freunden, dazu kam ich in Nepal so gut wie gar nicht. Wir sind morgens um halb acht aufgestanden, haben dann bis zwölf Uhr Mathe gelernt und nach dem Mittagessen bis abends im Garten gearbeitet. Weil Nepal ein sehr armes Land ist, bekommt man ein anderes Verhältnis zu den Dingen. Es hat mir zum Beispiel nichts ausgemacht, Cola zu trinken, die schon seit einem Jahr abgelaufen war - andere gab es nicht. Das Einzige, was mir wirklich gefehlt hat, war Sprudelwasser.

Ohne Lehrer zu lernen, war schon eine neue Erfahrung. Aber für mich hat das sehr gut geklappt. Unsere Lehrerin hat Aufgaben auf die Lernplattform hochgeladen, die wir dann selbständig bearbeiten konnten. Klar, manchmal war es in unserer Gruppe etwas laut. Aber ich fand es cool, so zu arbeiten. Wir haben uns untereinander in der Gruppe geholfen. Der Zusammenhalt in unserer Gruppe war toll. Und die Mathe-Klausur, die wir in Nepal geschrieben haben, ging super für mich.

Ich glaube, das ist auch für meinen Lebenslauf gut, wenn ich jetzt schon eine Auslandserfahrung habe. Meine Eltern führen ein Transportunternehmen, da möchte ich später vielleicht mal einsteigen."

Richard Götz (16): "Ich habe über meinen Vater von dem Projekt erfahren. Er ist Lehrer auf Schloss Bieberstein. Eigentlich gehe ich in Fulda auf ein Gymnasium, aber ich konnte für das E-International-Programm nach Bieberstein wechseln. Nach diesem Schuljahr kehre ich wieder an meine alte Schule zurück. Bisher bin ich noch nicht so viel gereist - ich wollte raus in die Welt. In Nepal habe ich schnell gemerkt, dass vieles, was für uns in Deutschland ganz normal ist, dort nicht funktioniert. Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken zum Beispiel - das sollte man in Nepal auf keinen Fall tun, wenn man nicht krank werden will. Die meisten Straßen sind nicht asphaltiert, selbst in der Hauptstadt Kathmandu nicht immer. Und morgens kann man in dem Dorf, in dem wir gelebt haben, alle Einwohner auf der Straße beim Zähneputzen sehen, weil es kein fließendes Wasser gibt, und die Leute Wasser aus dem Brunnen holen.

Mit dem selbständigen Lernen kam ich gut zurecht. Die Mathe-Lehrerin hat uns über eine Lern-Plattform Aufgaben geschickt, die wir allein oder in Partnerarbeit gelöst haben. Wenn wir nicht weiterkamen, haben wir die anderen Gruppen gefragt oder einen unserer Betreuer. Manchmal haben wir allerdings die Aufgabenstellung in Mathe nicht gleich verstanden. Wir mussten dann wegen der Zeitverschiebung ein paar Stunden warten, um unsere Mathelehrerin in Deutschland dazu im Chat fragen zu können.

Die Mathe-Klausur lief für mich sehr gut. Und wir haben schon den Stoff für die nächsten Wochen vorgearbeitet, in denen wir in Südafrika sein werden. Dann ist ja Englisch der Lernschwerpunkt.

Eine der tollsten Erfahrungen in Nepal war für mich eine Wanderung auf den Vorgipfel eines Himalaja-Berges. Wir mussten dafür um vier Uhr aufstehen, es war noch dunkel und eiskalt. Zwischendurch habe ich mich zurück ins Tal gewünscht, in die Wärme. Doch als wir oben waren und die Sonne rauskam und wir diesen gigantischen Blick ins Tal hatten, von 4500 Metern Höhe aus, da war ich doch froh, dass wir uns da hochgekämpft hatten."

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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