Dokumentation des SZ-Forums am 6. Juli 2001:Wandel in Eis und Schnee

Lesezeit: 2 min

Martin Thurau

(SZ vom 11.7.2001) - Als die letzte Eiszeit vor rund 15000 Jahren zu Ende ging, kletterte der Meeresspiegel um einen Meter in hundert Jahren. Heute, meint Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, stehe dem Planeten Ähnliches bevor. Die Szenarien des IPCC sagen einen Anstieg der Weltmeere um zehn bis 88 Zentimeter in diesem Jahrhundert voraus.

Starker Meeresspiegelanstieg

Die Klimaforscher können diese Spannweite noch einengen auf geschätzte mittlere Erhöhungen der Pegel von 30 bis 50 Zentimetern. Im 20. Jahrhundert stieg der Meeresspiegel um zehn bis 20 Zentimeter, viel stärker als in vorausgegangenen 6000 Jahren.

Warum die Pegel steigen, hat indes zwei Ursachen, die auf die globale Erwärmung zurückgehen. Die eine Hälfte des prognostizierten Anstieges, sagt Lemke, komme dadurch zustande, dass sich auch die Weltmeere erwärmten und das Wasser sich deshalb ausdehne. Die andere Ursache: Auch die Gletscher werden weiter an Masse verlieren, und ebenso werden die Schmelzregionen des grönländischen Eisschildes größer, sagen die Prognosen.

Die so genannte Kryosphäre, die Welt von Schnee und Eis, ist nach den Ozeanen die zweitgrößte Komponente des Klimasystems, gemessen an Masse und Wärmekapazität. Wie also wirkt sich der Treibhauseffekt darauf aus? Es gebe jedenfalls bereits "handfeste Fakten" dafür, dass sich schon der Beginn eines Klimawandels abzeichne, auch wenn die Wissenschaft das System noch nicht vollständig in seinen komplexen Wechselwirkungen verstanden habe.

Die Kryosphäre reagiert träge

Die einzelnen Komponenten der Kryosphäre reagieren naturgemäß unterschiedlich träge auf Klimaschwankungen, sagt Lemke. Für die großen Eisschilde rechne man in Zeitskalen von mehreren Zehntausend Jahren. Eis und Schnee seien gute Indikatoren für Temperaturänderungen. Sie sind eingebunden in einen positiven Rückkopplungsprozess: Das helle Eis reflektiert die Energie einfallenden Sonnenlichtes zu 90 Prozent wieder in den Weltraum, über dem Eis entsteht "reichlich kalte Luft", sagt Lemke. Schnee- und Eisflächen sind eine Energiesenke.

Meerwasser dagegen absorbiert die Lichtenergie zu 90 Prozent, was zur Erwärmung und zum weiteren Schmelzen des Eises führt. Dieses sich selbst verstärkende Feedback sei auch ein Grund dafür, dass die Erwärmung an den Polen stärker ausfallen wird als im globalen Mittel. In Arktis und Antarktis werde es in diesem Jahrhundert möglicherweise zwischen acht und zehn Grad wärmer.

Reaktion des Meereises

Die Ausdehnung des Meereises ist in der Vergangenheit nicht immer den Erwärmungstrends gefolgt. In der Arktis hat sich das Eis Ende der 70er Jahre stark zurückgezogen. Die Temperatur jedoch ist vornehmlich im vergangenen Jahrzehnt gestiegen - ohne dass das Eis in gleichem Maße an Masse verliert. In der Antarktis wächst es gegenwärtig sogar geringfügig. Zum Anstieg des Wasserspiegels trägt der Rückzug des Meereises indes nicht bei, weil es schwimmt und bereits Wasser verdrängt. Der Meeresspiegel steigt, wenn Gletscher und die großen Eisschilde abschmelzen. Dabei gehe es aber, so Lemke, um unterschiedliche Größenordnungen: Würden alle Gletscher dieser Erde schmelzen, ließe das den Meeresspiegel um 0,5 Meter ansteigen. Wäre Grönland eisfrei, lägen die Pegel sieben Meter höher, bei der Antarktis ginge es nach diesem Rechenexempel sogar um 61 Meter.

Die Gletscher verlieren an Masse

Bis auf wenige Ausnahmen haben alle Gletscher im 20.Jahrhundert an Masse verloren. Das wird sich fortsetzen. Das Inlandeis der Antarktis dagegen wird wachsen. Auf dem Eisschild im Landesinneren türmen und verdichten sich die Schneemassen. Am Rande schiebt sich Masse ins Schelfeis. Dort brechen mitunter riesige Tafeleisberge ab, die Ränder schmelzen. Der grönländische Eisschild dagegen funktioniert eher wie ein Gletscher; in den tieferen Lagen gibt es große Schmelzzonen, vorwiegend im Süden. Sie werden wachsen, der Eisschild deswegen schrumpfen. In den Höhenlagen dagegen wächst die Masse.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: