Dokumentation des SZ-Forums am 6. Juli 2001:Vermeidungsstrategien

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Klimaschutz kostet Geld, viel Geld. Der Ausstoß der Treibhausgase muss weit drastischer zurückgefahren werden als bislang angenommen.

Martin Thurau

(SZ vom 11.7.2001) - Klimaschutz kostet Geld, viel Geld. Mehr noch: Der Ausstoß der Treibhausgase muss weit drastischer zurückgefahren werden als bislang angenommen, sagt Paul Klemmer. Deswegen, warnt der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, seien auch die "ökonomischen Implikationen" größer als gemeinhin vermutet. Und das kann Klemmer mit Zahlen gut belegen: Um die Konzentration des Kohlendioxids in der Atmosphäre bei 550 Volumenanteilen pro Million (ppmv) einzufrieren, wie IPCC-Rechnungen nahelegten, hätten die globalen CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2000 bereits um zehn Prozent sinken müssen. Sind sie aber nicht, und derzeit sieht es nicht so aus, als könne im Jahre 2020 die 30-Prozent-Reduktion, bezogen auf 1990, erreicht werden.

Einsparen

Im Gegenteil: Schon jetzt ist die Klimaschutzpolitik defizitär. Sollten zudem Weltbevölkerung und Weltwirtschaft weiter wachsen, und solllte sich an der Energieversorgung außerdem nichts grundsätzlich ändern, wäre man im Jahre 2010 laut Internationaler Energie-Agentur (IEA) bei 14 und nicht bei sechs Milliarden Tonnen CO2, die jährlich eingespart werden müssten. Zum Vergleich: Im Kyoto-Protokoll, über das seit Jahren so mühsam verhandelt wird, geht es um eine CO2-Reduktion von 0,8 Milliarden Tonnen und Reduktionsraten von fünf Prozent gegenüber 1990.

Schweiss auf der Stirn des Ökonomen

Das IPCC schätzt die Kosten des Klimaschutzes auf zwischen 0,2 und zwei Prozent des Brutto-Inlandsproduktes, das macht allein in Deutschland zwischen acht und 80 Milliarden Mark. Um allein bei Privathaushalten den Energieverbrauch so gut wie technisch möglich zu senken, brauche man 500 Milliarden Mark. "Das treibt dem Ökonomen den Schweiß auf die Stirn", sagt Klemmer. Und je besser bereits die Reduktion von CO2 funktioniert, desto teurer wird es, noch mehr zu erreichen.

Dramatische Kosten

Trotzdem, Ökonom Klemmer ist überzeugt, dass sich der Klimaschutz, global gesehen. auch wirtschaftlich rechnet, angesichts der dramatischen Kosten, die auflaufen, wenn keine Vorkehrungen gegen den Klimakollaps getroffen werden. Wenn die Weltwirtschaft den Schutz aber "ökonomieverträglich" gestalten wolle, dann müsse sie sich von gewissen Gerechtigkeitsvorstellungen verabschieden. Nicht mehr das Verursacherprinzip dürfe die allein tragende Säule der Politik sein, meint Klemmer, sondern die Rechnung, wo man mit möglichst geringen Investitionen möglichst viel an CO2-Reduktion erreiche. Das betreffe vor allem Staaten wie China, Indien oder Brasilien.

Gutes Beispiel: China

Das derzeit gültige Prinzip, nach dem die Industrienationen den überwiegenden Teil der Reduktionsverpflichtungen im eigenen Land erfüllen müssten, sei ineffektiv, meint Klemmer. Deswegen solle man diese "anderen Staaten" stärker als bislang in die Klimaschutzverhandlungen einbeziehen. In China zum Beispiel sei es jetzt gelungen, so Hermann E. Ott vom Wuppertal Institut, innerhalb von zwei Jahren den Kohlendioxid-Ausstoß um 17 Prozent zu senken - ohne große politische Eingriffe und ohne großen Kapitaleinsatz. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung, das Bruttosozialprodukt erhöhte sich um 36 Prozent. China sei heute wieder auf dem Stand der CO2-Emissionen von 1992.

Das Denken der Pfadfinder

In Deutschland dagegen werde es an die zehn Milliarden kosten, nur um den Anteil der regenerativen Energien an der Stromerzeugung, hauptsächlich der Photovoltaik, bis zum Jahre 2010 zu verdoppeln, wie es die Bundesregierung beschlossen habe. Angesichts des notwendigen Wirtschaftswachstums sei die Selbstverpflichtung Deutschlands, bis zum Jahre 2005 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um ein Viertel zurückzufahren, kaum mehr zu erfüllen. Das wiederum stellte die EU-Zusage von Kyoto in Frage. Und warum habe Deutschland überhaupt drei Viertel der Reduktionslast in der EU übernommen, fragt Klemmer. Dieses "Pfadfinder"-Denken sei unökonomisch. Wenn nämlich die anderen EU-Staaten ihren Klimaschutz mit der gleichen Effizienz betreiben würden, dann wäre das gemeinsame Ziel schon erreicht.

Sicher sei es richtig, bei den weltweit schmutzigsten Industrien anzusetzen und außerdem die großen CO2-Zuwächse, die als Folge wilder Urbanisierung in den Entwicklungsländern entstehen, abzudämpfen, sagt Hans-Joachim Schellnhuber. Doch dafür sollten die Industrieländer Geld zur Verfügung stellen. "Die Lastenverteilung soll gerecht sein", fordert der Wissenschafter vom Potsdam-Institut. Die reichen Nationen des Nordens sollten ein "Klima-Haftungsregime" etablieren und dafür einen Fonds bilden.

Verschwender USA

Und was die Gerechtigkeit angeht: In den USA lebten rund vier Prozent der Weltbevölkerung. Sie verursachten aber ein Viertel aller CO2-Emissionen und verbrauchten ein Viertel aller Ressourcen, rechnet Ott vor. Die Pro-Kopf-Emissionen an Treibhausgasen sind doppelt so hoch wie in Deutschland und rund 20mal so hoch wie in Indien und anderen armen Staaten. Frage sich also, wer die treibende Kraft im Klimaschutz sein sollte.

Die Industriestaaten sollten neue Technologien und ein Modell für die Welt entwickeln, das von der "fossilen Gesellschaft wegführt". Wer effiziente Umweltschutztechnologien entwickle, werde auf den Weltmärkten ohnehin einen Vorsprung haben. Fälschlicherweise werde immer nur über Kosten geredet, klagt Ott. Klimapolitik bringe auch ökonomische Gewinne - für die Volkswirtschaft, für die Industrie, für jeden Einzelnen. Die Industrie, sagt Gerhard Berz von der Münchener Rück, habe den Vorteil der Innovation zum Teil schon begriffen. Sie habe in den vergangenen Jahren schon erhebliche Einsparungen vorzuweisen.

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