Dokumentation des SZ-Forums am 6.Juli 2001:Das globale Experiment

Lesezeit: 2 min

Die Folgen des Treibhauseffektes lassen sich immer besser abschätzen, doch bislang findet die Politik keinen Weg aus der Umweltkrise des Planeten

Martin Thurau

(SZ vom 11.7.2001) - In wenigen Tagen wird die alte Bundeshauptstadt wieder in den Schlagzeilen auftauchen. Dann nämlich sollen in Bonn die Verhandlungen um den Klimaschutz weitergehen, die im vergangenen Jahr in Den Haag abgebrochen worden waren. Können sich die Vertragsstaaten doch noch auf das so genannte Kyoto-Protokoll einigen? Hat eine verbindliche Reduktion des Ausstoßes an Treibhausgasen noch ein Chance? Vor ein paar Wochen hat US-Präsident George W. Bush das Protokoll kurzerhand für "tot" erklärt; die USA, der Emittent Nummer eins von Treibhausgasen, wollen das Übereinkommen nicht zeichnen. Ist der Klimaschutz also am Ende?

Bestandsaufnahme

Wenige Tage vor den Verhandlungen in Bonn hat die Süddeutsche Zeitung sechs international angesehene Klimaforscher um eine Bestandsaufnahme gebeten. Wie steht es um die Verlässlichkeit der Prognosen? Hat der befürchtete Klimawandel bereits eingesetzt? Ja, sagt das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), die Erde hat sich in den letzten 100 Jahren bereits um 0,6 Grad Celsius erwärmt. Ja, der Ausstoß von Treibhausgasen aufgrund menschlicher Aktivitäten habe die Atmosphäre bereits verändert und werde sie auch weiterhin verändern. Das IPCC hat zu Beginn des Jahres seinen Bericht und seine besorgniserregenden Prognosen für das laufende Jahrhundert vorgelegt. Mehr als 2000 Wissenschaftler aus rund 100 Ländern haben den Report vorbereitet und abgestimmt. "99 Prozent aller Klimaforscher" teilten die Sicht des IPCC, sagt Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut und Chairman des UN-Weltklimaforschungsprogrammes. "Wir leben bereits in einer Warmzeit und legen noch ein paar Briketts drauf", so formuliert es Hans-Joachim Schellnhuber vom Postdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Die Sonne ist nicht schuld

Doch Skeptiker melden sich immer wieder zu Wort, mitunter mit bizarren Theorien. Mal sei die Sonne die Quelle der klimaverändernden Erwärmung, mal würden die Folgen beschönigt, werde von "aufblühenden Kulturen" gesprochen - dank Klimawende, zitierte Moderator Martin Urban, Leiter der SZ-Wissenschaftsredaktion. Und manchmal seien die Motive reichlich durchsichtig.

"Eine Kampagne"

Hartmut Graßl beobachtet in der Tat ein gewisses Treibhaus-Phänomen. In der aufgeheizten Atmosphäre vor einem Klimakonferenz schössen die Außenseiter-Theorien ins Kraut. "Was jeweils sechs oder sieben Wochen vor einer Konferenz der Vertragsstaaten in manchen Zeitungen und Magazinen zu lesen ist, ist überwiegend Teil einer Kampagne", sagt der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Mitunter ließen sich Wissenschaftler gar als Kronzeugen "missbrauchen", um die jüngste Klima-Geschichte zu klittern, klagt Graßl; Fachleute für periphere Teilgebiete wagten sich dann in das Theorie-Zentrum der Treibhausforschung vor.

Man braucht einander

Auch wenn die Rechenmodelle des IPCC noch nicht alle Effekte berücksichtigen können, die Mehrzahl der seriösen Klimaforscher ist sich einig. Doch welchen Wert haben solche Erkenntnisse in Bonn, wenn sich die USA gegen das Protokoll sperren? Hermann E. Ott vom Wuppertal-Institut beschreibt die neue Klima-Weltordnung mit einem Begriff, den er bei Samuel P. Huntington geborgt hat, dem konservativen US-Politikwissenschaftler und Autor vom "Kampf der Kulturen". Die Welt sei "uni-multipolar" geworden, meint Ott. Die USA brauchen zur Lösung globaler Probleme den Rest der Welt - und umgekehrt.

Komplexes Problem

Doch der Streit um Reduktionsmargen und den Handel mit Verschmutzungsrechten ist noch verwickelter. Wer wird am Ende mit der Europäischen Union stimmen, die das Protokoll retten will? Und wie soll es weiter gehen? Wie lassen sich der Klimawandel aufhalten und die Folgen bewältigen? Denn ganz gleich, wie die Konferenz in Bonn endet, die Frage nach einem wirksamen Schutz der Atmosphäre ist damit nicht beantwortet.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: