Digitaler Kosmos:Das Universum in der Schachtel

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Astrophysiker erzeugen am Computer Galaxien, Quasare und Schwarze Löcher aus einer kosmischen Ursuppe.

Von Patrick Illinger

Um das ganze Weltall in eine Kiste zu packen, braucht es mehr als eine Handvoll starker Männer. Forscherinnen und Forscher aus aller Welt müssen dafür zusammenarbeiten und ein paar der schnellsten Computer mit allem füllen, was sie über das Universum wissen.

Wenn sie dann den Urknall sozusagen digital zünden, und die Elektronenhirne einige Wochen lang arbeiten, entsteht plötzlich ein beeindruckendes Abbild dessen, was vor vielen Milliarden Jahren einmal das Universum war.

Das feiern Astrophysiker aus England, Kanada, Japan, Amerika und Deutschland als Durchbruch, über den sie in der heutigen Ausgabe des Magazins Nature (Bd. 435, S. 629, 2005) berichten.

Schwarzes Loch im Quasar

Die ersten Daten und Bilder ihrer "Millenium-Simulation" sind das Ergebnis der genauesten kosmologischen Computerrechnung aller Zeiten. Koordiniert wird das Forscherkonsortium "Virgo" vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München.

Für Ihre Kalkulationen schufen die Kosmologen im Computer ein künstliches, würfelförmiges Universum mit einer Kantenlänge von 2,23 Milliarden Lichtjahren.

Dort hinein packten sie mehr als zehn Milliarden Materiepakete, jedes etwa eine Milliarde mal so schwer wie die Sonne. Wie sich dieses Konglomerat unter den bekannten Naturgesetzen entwickelt, verfolgten die Forscher nicht mit Fernrohren, sondern am Computer.

Mit besonderer Spannung beobachteten sie die Entwicklung von Schwarzen Löchern kurz nach dem Urknall. Diese superdichten Materieklumpen wirken im Weltraum wie riesige Abflussrohre, in denen alles, was ihnen zu nahe kommt, auch Licht, auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Im vorvergangenen Jahr hatten Astronomen des internationalen Beobachtungsprogramms Sloan Digital Sky Survey SDSS entdeckt, dass in so genannten Quasaren, das sind sehr alte und weit entfernte, aber helle Himmelskörper, offenbar mitunter Schwarze Löcher lauern, die mehr als eine Milliarde mal so massereich sind wie die Sonne. Die kosmischen Staubsauger verleiben sich Unmengen Gas aus ihrer Umgebung ein, das wiederum im Todeskampf Energie abstrahlt.

Ein von SDSS-Astronomen entdeckter Rekord-Quasar ist nur 850 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden, strahlt aber mit der Leuchtkraft von zehn Billionen Sonnen.

Nicht wenige Astrophysiker hielten es für ausgeschlossen, dass ein solches Schwergewicht im Rahmen der bekannten Naturgesetze derart schnell nach dem Urknall entstanden sein kann. Doch die Computersimulation der Virgo-Forscher zeigt jetzt: Das junge Universum war sehr wohl fähig, solche Klumpen in kurzer Zeit zu bilden.

Schnell wachsende Klumpen

Der gängigen Theorie zufolge war das Weltall kurz nach seiner Entstehung ein verhältnismäßig homogen verteilter Haufen Materie. 400 000 Jahre nach dem Urknall, ein Wimpernschlag in kosmischen Zeitmaßstäben, war das Raum-Zeit-Gefüge nur von winzigen Dichtefalten gezeichnet. Die Gravitation verstärkte diese Kräusel im weiteren Verlauf, und das Universum verklumpte schließlich, bis die heute sichtbaren Sterne, Galaxien und Galaxienhaufen entstanden.

Mit Teleskopen, die das All nach Mikrowellen absuchen, ist es in den vergangenen Jahren gelungen, ein Abbild des nur 380 000 Jahre alten Universums zu erhalten. Mit einer ähnlichen Struktur starteten die Computer-Astronomen ihre Rechner, um zu sehen, ob sich der virtuelle Kosmos ähnlich weiterentwickelt, wie das beobachtbare Weltall. Auch wenn das Virgo-Team um den Max-Planck-Forscher Volker Springel erst die Oberfläche angekratzt habe, schreibt der Kosmologe Nickolay Gnedin in Nature: "Die Übereinstimmung zwischen Daten und Realität ist erstaunlich."

Ironischerweise wird die Genese des Weltalls jedoch von einer unsichtbaren Größe dominiert: Wichtigster Bestandteil des Digitalkosmos, und wahrscheinlich auch der realen Welt, ist die so genannte Dunkle Materie. Was sich tatsächlich hinter diesem Begriff verbirgt, weiß noch niemand, denn experimentell ist Dunkle Materie nicht direkt nachgewiesen.

Doch der Anteil dieser unsichtbaren kosmischen Knetmasse ist erheblich und übersteigt die Masse aller sichtbaren Sterne, Galaxien und Gaswolken etwa um das Fünffache.

Computer-Astronomen haben mittlerweile jedoch gelernt, die Dunkle Materie mit einigen Annahmen in ihre Modellrechnungen einzubauen. Sie vermuten, dass das echte Weltall mit ladungsfreien, aber Masse tragenden Elementarteilchen angefüllt ist, die mit ihrer Umgebung nur über die Schwerkraft wechselwirken.

Die Simulation korrekt ablaufen zu lassen, ist jedoch nur ein Teil der Arbeit von Computer-Astronomen. Eine Riesenaufgabe liegt jetzt vor ihnen: Die Details der Universen aus dem Computer müssen von nun an ähnlich mühsam durchsucht und vermessen werden wie die Strukturen des realen Nachthimmels.

© SZ vom 02.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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