Digitaler Alltag:Klingelpiez

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Handys erleichtern den Alltag oder sie machen krank. Medienforscherin Nicola Döring erklärt, wie Mobiltelefone Menschen verändern.

Interview: Philip Wolff

Wo erreiche ich Sie gerade?

Die Medien-psychologin Nicola Döring lehrt und forscht an der TU Ilmenau. "Psychologie der Mobilkommunikation" ist Titel der Arbeit, die sie bald veröffentlicht. (Foto: Foto: TU Ilmenau)

Im Büro, warum?

Hätten Sie aufs Handy umgeleitet und wären unterwegs, könnten wir vielleicht weniger konzentriert sprechen.

Das stimmt, und ich müsste auch meine Unterlagen dabeihaben.

Verliert Kommunikation also an Qualität, wenn man mobil telefoniert?

Nein, das kann man so generell nicht sagen. Wir telefonieren natürlich in anderen Situationen als früher. Das kann aber genauso gut eine Bereicherung sein. Man kann mehr organisieren, sich spontaner absprechen und auch soziale Beziehungen, etwa eine Liebe, besser pflegen, indem man zum Beispiel kleine Textnachrichten schickt.

Ist ein Liebesbrief oder ein ausführliches Gespräch nicht etwas qualitativ anderes als eine SMS oder ein flotter Anruf?

Natürlich. Aber das eine ersetzt das andere nicht - die verschiedenen Kommunikationsformen ergänzen sich und Handygespräche sind nicht mehr automatisch Kurzgespräche. Flatrates und Home Zones machen längere Handygespräche inzwischen bezahlbar.

Und nur der Liebesbrief ist tot?

Nein, er war schon immer selten, das zeigt die Briefforschung. Viele Menschen haben nie einen erhalten oder geschrieben. Dagegen empfängt und sendet ein durchschnittlicher jugendlicher Handybesitzer pro Tag jeweils fünf SMS. Die Handykurzmitteilung ist also kein Ersatz für den Brief, wer schreibt schon fünf private Briefe pro Tag? Die SMS wird zusätzlich geschrieben. Viele Schreibmuffel verlieren am Handy auch ihre Hemmungen. Schreibfehler sind nicht so peinlich und man darf sich in einer SMS kurz fassen, ohne kurz angebunden zu wirken. Insgesamt kann man sagen: Dank der Handys werden soziale Kontakte heute mehr gepflegt.

Zugenommen hat demnach die Quantität des Telefongebrauchs. Um wie viel?

Wie viele Minuten Menschen heute im Durchschnitt mehr telefonieren als früher, ist unklar. Klar ist nur: Mit der Vielfalt der Kommunikationsmittel ist auch deren Nutzung gewachsen.

Was war denn zuerst da: das Bedürfnis oder die Technik?

Es greift ineinander. Die Technik allein diktiert uns kein Verhalten. Die Bild- oder Videotelefonie zum Beispiel wird kaum angenommen. Aber das soziale Leben bleibt auch nicht einfach das alte. Es reizt uns, neue technische Möglichkeiten auszuprobieren und alltagstauglich zu machen. Durch die Möglichkeit der schnellen Absprache per Handy sind etwa Freizeitverabredungen spontaner und unverbindlicher geworden. An die Stelle eines festen Termins und Treffpunkts tritt häufiger ein "Ich rufe dich an, wenn ich losfahre". Last-Minute-Absagen per SMS sind die Schattenseite dieser Unverbindlichkeit.

Das heißt, das Mobiltelefon hat unser Verhalten verändert. Hat es denn auch den Menschen an sich verändert?

So wie sich unsere medialen Lebensbedingungen verändern, verändern sich auch Gewohnheiten, Beziehungsstrukturen und Selbstbilder der Menschen.

Inwiefern?

Wir gewöhnen uns an, viele Dinge gleichzeitig zu tun: im Café unter Freunden zu telefonieren, vor dem Fernseher, auf dem Fahrrad. Solches Multitasking bedeutet häufige,schnelle Wechsel zwischen den sozialen Rollen, die man spielt, denn man ist ja ständig und überall erreichbar. Waren Kommunikationswege früher immer an Orte gebunden, an den Apparat im Büro, das private Telefon zu Hause, läuft auf dem Handy alles zusammen, in allen möglichen Umgebungen, und man muss ständig zwischen seinen Teilidentitäten wechseln. Das erleben viele Leute als belastend und lagen, sie kämen kaum noch zu sich. Zwar kann man das Problem lindern, etwa durch Rufnummern-Erkennung oder durch den Einsatz mehrerer Handys für Privates und Geschäftliches. Doch insgesamt ist die Anforderung gewachsen, schnell und flexibel unterschiedliche Facetten unserer Patchwork-Identitäten zu aktivieren.

Was ist eine Patchwork-Identität? Haben wir nicht immer viele Rollen gespielt?

Ja, aber früher waren die Rollen stabiler. Partnerschaften und Arbeitsverhältnisse wechseln heute häufiger, außerdem haben wir täglich mit mehr Menschen zu tun. Wir müssen uns ständig neu einordnen und definieren. Das führt auch zu Irritationen.

Also machen Handys uns krank und stürzen Menschen in Identitätskrisen?

Ich würde eher sagen, dass sich bestehende Probleme oder Störungen im Zuge des Handygebrauchs ausdrücken oder verstärken. Kontrollmanien zum Beispiel, Eifersucht oder Suchtverhalten überhaupt: Wer dazu neigt, sich ständig ablenken zu lassen oder einen anderen zu kontrollieren, kann das mit dem Handy natürlich hervorragend. Aber die Ursache ist nicht im Handy selbst zu suchen.

Wie äußert sich Handysucht?

Darunter versteht man eine dauerhafte exzessive Handynutzung, die negative Folgen haben kann, etwa Schlaflosigkeit, Verschuldung oder Beziehungsprobleme. Es handelt sich aber um kein abgrenzbares Krankheitsbild, sondern um das Symptom einer generell krisenhaften Situation eines Menschen. Aus psychologischer Sicht leben wir aber nicht in einer Gesellschaft von krankhaft Handysüchtigen, nur weil fast jeder viel mobil telefoniert.

Vielmehr ist das Handy durch seine Organisations- und Beziehungsfunktionen so stark in den Alltag integriert, dass Handyabstinenz zu Nachteilen führt. Der Mensch ist immer abhängig von Kommunikation. Und wenn er immer mobiler wird, Arbeitsplätze wechselt und Fernbeziehungen führt, muss das passende Medium her.

Das heißt, ob süchtig oder nicht, ohne Handy könnten wir kaum noch leben?

Das sagen viele Menschen, vor allem Jugendliche. An der Rutgers-Universität in New Jersey hat der Kommunikationswissenschaftler James Katz 102 Studierende gebeten, zu Testzwecken zwei Tage lang auf ihr Handy zu verzichten. 82 ließen sich auf das Experiment ein, aber nur zwölf hielten bis zum Ende durch. Aber ist das seltsam? Es würde auch niemand freiwillig auf fließend Wasser verzichten. Genauso würde keiner Wasserhähne für Waschzwänge verantwortlich machen.

Mit dem Handy an den Strand: "Wir telefonieren in anderen Situationen als früher." (Foto: Foto: ddp)

Dennoch: Völlig gesund wirken Menschen mit Freisprech-Kabel am Hals nicht, die in die leere Luft reden. Sieht das nur aus wie eine grassierende Störung, oder zeigt es tatsächlich ein gesellschaftliches Problem?

Natürlich kapselt die Möglichkeit, in jeder Umgebung bestehende Kontakte zu pflegen, Menschen aus Situationen ab und erschwert neue Kontaktaufnahmen. Soziologen sagen: Durch das Handy vernetzen Leute sich enger, die sich bereits kennen - und dadurch ist es schwieriger, an sie heranzukommen.

Und fern von den altbekannten Telefonfreunden vereinsamen sie dann?

Nein, von Vereinsamung durch das Handy kann auf keinen Fall die Rede sein. Ich bin mit dem Handy immer eingebunden in meine Kreise, Familie und Freunde sind immer erreichbar. Andererseits: Wenn ich wirklich einsam bin, dann macht das Handy dies deutlicher. Es fällt stärker auf, dass niemand anruft, wenn man ständig erreichbar ist.

Und es sagt auch etwas über mich selbst, im Sinne der Behauptung: Wer viel telefoniert, ist wichtig oder beliebt. Stiftet das Handy auch in dieser Hinsicht Identität?

Als Statussymbol spielt das Handy in vielerlei Hinsicht eine Rolle: Welches Logo zeigt es, welcher Klingelton ist drauf oder hat es besondere technische Möglichkeiten? Natürlich signalisiert auch die Menge eingegangener Anrufe und Nachrichten, die beim Handy in Anruflisten und im SMS-Speicher sichtbar wird, welchen sozialen Status man besitzt. Das ist vor allem bei jungen Nutzern so.

Gehen ältere Leute zurückhaltender mit dem Handy um und ziehen sich zum mobilen Telefonieren eher zurück?

Nein. Wir haben 120 Paare und ihren Handygebrauch im Alltag untersucht, sie in Restaurants sowie in der Fußgängerzone beobachtet und ihr Verhalten dokumentiert. Dabei kam heraus, dass auch ältere Leute zu den so genannten "Outies" zählen, die das Handy offen nutzen, im Café etwa: Wenn sie dort zusammensitzen, wird der Anruf einfach ins Gespräch integriert. "Outies" gehören übrigens zum Begriffspaar "Innies und Outies", das die Soziologin Sadie Plant geprägt hat. "Innies" sind weniger offene Nutzer, die das Handy in Gegenwart anderer ausschalten oder zum Telefonieren hinausgehen.

Ist das nicht höflicher?

Ach, das ist eine Frage der Alltagskultur. Empfindet man mobile Anrufe als Störung oder Bereicherung? Es gibt verschiedene Handynutzungskulturen und natürlich kann es zu Konflikten kommen. Aber wer Recht hat, lässt sich kaum sagen.

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