Die Folgen des Alters:Andere Völker, andere Ängste

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Jede Nation fürchtet andere Folgen des Alters: Brasilianer sorgen sich um ihren sexuellen Antrieb; Amerikaner um ihr Gewicht. Und die Deutschen haben Angst um ihr Gedächtnis.

Martin U. Müller

Klischees erfüllen einen wichtigen Zweck: Sie helfen, die Welt ein bisschen einfacher zu machen und so besser zu verstehen. Was die Angst vor dem Altwerden betrifft, erfüllen die verschiedenen Nationalitäten bestens die Vorurteile:

Die Deutschen haben Angst davor, dass im Alter ihr Gedächtnis nachlässt (Foto: Foto: iStock)

Die dem Schönheitskult verfallenen Brasilianer haben am meisten Angst, ihren sexuellen Antrieb mit fortgeschrittenem Alter zu verlieren; die Amerikaner fürchten sich vor allem davor, übergewichtig zu werden. Und die Deutschen sind auch in Altersfragen das Volk der Denker - 70 Prozent sorgen sich vor allem um ihr Gedächtnis.

Zu diesen Ergebnissen kam eine Analyse von Roper Consulting, der amerikanischen Tochter der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung. Mehr als 39.000 Menschen in 31 Ländern im Alter über 13 Jahren wurden für die Studie zu verschiedenen Aspekten des Altwerdens befragt.

Große globale Variationsbreite

"Beachtlich ist, wie groß die globale Variationsbreite dessen ist, was Menschen ängstigt", sagt Michael Gusmano, Altersforscher an der New York University. Die Studie mache deutlich, wie wichtig der kulturelle Kontext sei, wenn man das Phänomen Alter verstehen wolle.

Große Unterschiede gab es zwischen den Befragten über 50 Jahren und den jüngeren Studienteilnehmern: Während über 50-Jährige hauptsächlich Angst davor hatten, ihre Unabhängigkeit zu verlieren, nicht mehr geistig wach zu sein oder ernsthafte Krankheiten zu bekommen, sorgten sich junge Menschen perspektivisch eher um ihr Äußeres.

Doch auch diese Werte schwankten zwischen den Nationen erheblich: So fürchteten sich 36 Prozent der Koreaner davor, Falten oder Narben zu bekommen, während gerade mal drei Prozent der Schweden diese Sorge teilten.

Glaubt man der Studie, machen sich von allen Nationen die Deutschen die größten Sorgen rund ums Alter. Während 43 Prozent aller Befragten eine Einschränkung ihrer Aufmerksamkeit befürchteten, waren es in Deutschland 70 Prozent.

Nicht mehr als 33 Prozent hatten Angst davor, im Alter körperliche Schmerzen erleiden zu müssen; in der Gruppe der befragten Deutschen lag dieser Wert deutlich höher, bei 54 Prozent.

Das klingt nach einem Beleg für die vielbeschworene "German Angst". Der Historiker von der University of California in San Diego, der sich mit dem Thema der ängstlichen Deutschen in der Zeitgeschichte beschäftigt, legt jedoch Wert darauf, dass es "keine psychopathologische Angst in Deutschland" gebe.

Die besondere Sensibilität habe vielmehr historische Ursachen. So seien die Deutschen durch Ereignisse wie den Zweiten Weltkrieg und die Wiedervereinigung immer wieder starken Veränderungen ausgesetzt gewesen. Daraus resultiere ihre Angst vor Veränderungen, wie sie im Alter zwangsläufig vorkommen.

Entspannte Ägypter

Überdurchschnittlich besorgt um ihre Gesundheit sind auch Japaner und Koreaner; zugleich bangen sie um ihr Äußeres. Völlig entspannt sehen dagegen Ägypter in die Zukunft.

Egal ob fehlende Muskelkraft, ausgefallene Zähne, Schwerhörigkeit oder Antriebsverlust - in sechs von 20 Kategorien zeigten sich die Befragten in Ägypten ziemlich angstfrei. 37 Prozent gaben sogar an, gar keine Ängste zu haben. Bei den Japanern lag diese Zahl bei glatten null Prozent. Diane Crispell von Roper Consulting hat eine Erklärung für die sorglosen Ägypter: "Ein entscheidender Punkt könnte die stark an der Familie orientierte Kultur sein, die die Angst vor dem Alter nimmt."

Für Michael Gusmano ist es erstaunlich, dass die Ängste der Befragten oft nicht zum Gesundheitssystem oder zur Wirtschaftsstärke eines Landes passen. So haben nicht zwangsläufig Menschen aus Ländern mit besseren finanziellen Ressourcen weniger Angst vor körperlichen Gebrechen.

So sind beispielsweise Skandinavier überdurchschnittlich besorgt, krank zu werden - doch gerade diese Länder verfügen mehrheitlich über ein stabiles Vorsorgenetzwerk und gute Behandlungsmöglichkeiten. "In Industrieländern wissen die Menschen eher um das Risiko, im Alter krank zu werden", erläutert Heiner Maier vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung.

Einige Eigenheiten lassen sich aber kaum mit der Kultur eines Landes oder anderen nationalen Gegebenheiten erklären. So waren in Belgien 44 Prozent der Befragten sehr besorgt, im Alter inkontinent zu werden - der Spitzenwert bei dieser Frage.

In Indien waren es nur drei Prozent. Die Inder fürchteten sich dafür vor allem vor Haarausfall und ergrauten Haaren. Mehr als ein Viertel der befragten Koreanerinnen gab an, sich Sorgen wegen der Wechseljahre zu machen; diese Angst teilte nur ein Prozent der Portugiesinnen. Und nicht weniger als 35 Prozent der Russen quälte die Angst, Zähne zu verlieren.

© SZ vom 14.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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