Darwins Reise:Staunen über die Fremde

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Jürgen Neffe hat Darwins Weltreise nachvollzogen und die revolutionären Erkenntnisse des Forschers über die Stationen dieser Reise verteilt.

Christopher Schrader

In der Pampa auf dem Weg nach Buenos Aires werden dem Autor die Parallelen unheimlich: Er reist ohne gültigen Pass durch das Land, bewundert einsame Seen voller Vögel, begegnet Gauchos und staunt über ihren gewaltigen Konsum an Fleisch - alles genau wie sein großes Vorbild, wie Charles Darwin, der als junger Mann fünf Jahre mit dem Forschungsschiff HMS Beagle um die Welt gefahren ist.

Charles Darwin war als junger Mann fünf Jahre mit dem Forschungsschiff HMS Beagle um die Welt gefahren. (Foto: Foto: Getty Images)

Diese Reise hat Darwin berühmt gemacht, Jahrzehnte bevor seine Evolutionstheorie Aufsehen erregte. Er hat die Fahrt "bei weitem das bedeutungsvollste Ereignis" seines Lebens genannt. Von diesem Satz inspiriert, stellt Jürgen Neffe zwei Reisen in den Mittelpunkt seines Buchs: die Fahrt der Beagle und seine eigene auf Darwins Spuren.

Auf dem Weg von England über Brasilien und Feuerland nach Galapagos und über Australien und Südafrika zurück hält sich Neffe ganz an Darwins Route. Er versucht er die gleichen Orte zu erreichen, die gleiche Perspektive einzunehmen wie sein Subjekt. Er spricht von "Darwins Weg", aber dem "gemeinsamen Thema".

Das mag erklären, warum im Buch zwei Ich-Erzähler auftreten, die nahezu gleichberechtigt sprechen. Darwins Zitate sind kursiv gesetzt, auf Anführungsstriche und Quellenhinweise verzichtet Neffe - sie stehen im Anhang.

Neffe lässt Darwin seine Sätze in aller Ruhe vollenden. Das ist beeindruckend, denn Darwin schrieb eine ausdrucksvolle Prosa, aber bisweilen auch bemüht, etwa wenn Neffe Erlebnisse auf Tahiti beschreibt: "Auch ich habe versucht, messerscharfe Grate entlang zu klettern, bin im Schatten der dunkelgrünen knotigen Stämme des Kawastrauches hüfthoch im Wasser durch den reißenden Fluss gewatet."

Zum Schluss verschmelzen die beiden Erzähler förmlich: "Nachdem ich Jamestown bis in die letzte Gasse erkundet habe, wanderte ich von Morgen bis Abend über die Insel."

Die Entscheidung für die Route der Beagle zwingt Neffe zu dramaturgischen Verrenkungen. Er projiziert Darwins Leben, Werk und Wirkung in der modernen Biologie auf die fünf Jahre der Forschungsreise. In den 26 Kapiteln seines Buchs muss Neffe daher immer weiter vorausgreifen.

Den letzten Teil der Reise, Darwins Aufenthalt auf St. Helena im Südatlantik, verknüpft der Autor daher mit dessen Tod und Begräbnis 46 Jahre später. Außerdem macht der Aufbau das Buch unübersichtlich. Bestimmte Aspekte aus Darwins Leben und Werk finden die Leser nur über das Register.

Manches erscheint dabei folgerichtig: Der Abschluss der Evolutionstheorie und ihre Veröffentlichung fallen in das Kapitel Galapagos; die Inselgruppe ist schließlich innig mit Darwins Lehre verknüpft. "Sexuelle Selektion" und Attraktivität handelt Neffe in Rio de Janeiro ab; eine schöne Pointe, scheint hier doch "ein Stück Menschheit den möglichen Sieg der Evolution über die Hässlichkeit vorweggenommen zu haben".

Ohnehin hat Neffe sein Buch offenbar nicht für Leser geschrieben, die mehr als eine gut geschriebene Geschichte erwarten. Die Art, wie er Darwin zitiert, verschleiert, wie und wo der Naturforscher etwas gesagt oder erkannt hat. Neffe benutzt dessen Schiffstagebuch und den neun Jahre nach Rückkehr mit viel neuem Wissen überarbeiteten Bericht "Die Fahrt der Beagle" meist als austauschbare Quellen.

Auf der Suche nach Parallelen zwischen seiner und Darwins Reisen überschreitet er Grenzen von Zeit und Raum: So spiegelt er Erlebnisse des Naturforschers in Uruguay mit seinen eigenen in Argentinien oder konstruiert die szenische Schilderung eines Ausflugs am Beagle-Kanal aus Sätzen, die Darwin Ende 1832 und Anfang 1834 datiert.

Dieser freie Umgang mit Darwins Schriften ist an manchen Stellen ärgerlich, zum Beispiel wenn Neffe auf die Religion zu sprechen kommt. Darwin, der ursprünglich Pfarrer werden wollte, verlor seinen Glauben beim Studium der Natur und besonders nach dem Tod seiner Lieblingstochter Annie. Neffe zufolge nahm der Naturforscher dafür "die größtmögliche Rache an seinem Schöpfer". Der Autor bauscht den Gegensatz zwischen Evolutionslehre und Glauben auf: Wenn Darwin recht habe, gebe es keine Seele und keine Hoffnung, schreibt er.

Der Naturforscher selbst hat derartige Konflikte schon wegen seiner tiefgläubigen Ehefrau vermieden und sich öffentlich viel zurückhaltender geäußert. "Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum die in diesem Werk entwickelten Ansichten irgendwie religiöse Gefühle verletzen sollten", schreibt er in dem Buch, das die Evolutionslehre begründete, der "Entstehung der Arten".

Damals wie heute gab und gibt es viele Wissenschaftler, die Evolution und Religion als keineswegs unvereinbar sehen und vor einer Rhetorik des Konflikts warnen, die am Ende nur den Fundamentalisten nützt.

Neffes Reise indes ist allemal ein Buch wert. Sie hat ihn schließlich um die Welt geführt. Er beobachtet genau und besitzt das Talent, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. So schildert er Begegnungen mit den Betreibern der Bibliothek auf einer Müllhalde im Norden Rios, mit Professoren, Bergarbeitern und Gauchos, mit der letzten Überlebenden eines Stamms von Ureinwohnern in Patagonien, mit wissbegierigen Teenagern, beschränkten Fremdenführern und Schiffsoffizieren.

Es sind die Reisebekanntschaften, die nach Lektüre dieser Reisereportage in Hardcover im Gedächtnis bleiben. Auch Darwin hatte schließlich am Ende seiner Reise gestaunt, "wie viele wahrhaft gutherzige Menschen es gibt".

JÜRGEN NEFFE: Darwin. Das Abenteuer des Lebens. C. Bertelsmann, München 2008. 528 Seiten, 22,95 Euro.

© SZ vom 17.10.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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