Chemie Materialforschung:Keramik von der Rolle

Lesezeit: 4 min

Flach, flexibel, kostengünstig - zum Beispiel für das Auto von morgen. Um Innovationen schneller von der Entwicklung zum Kunden zu bringen, hat die Degussa das Science to Business Center Nanotronics in Marl gebaut.

Klaus Jopp

Die vielen Rollen sehen aus, als wollte jemand ein Gewand für einen Riesen nähen. Doch in Wahrheit handelt es sich vielmehr um "Zwergentechnik". Die hauchdünnen Folien, die sich wie Papier anfühlen, bestehen im Kern aus einem PET-Vlies - also dem leichten, transparenten Kunststoff, aus dem auch Getränkeflaschen hergestellt werden.

Im Science to Business Center Nanotronics der Degussa in Marl werden die hauchdünnen keramischen Separion- Folien produziert. (Foto: Foto: inovate/degussa)

In diesem Fall dient er aber als Träger für eine keramische Imprägnierung. Die Verwendung einer Mischung von nanoskaligen ("nanos" steht im Griechischen für Zwerg, ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter) Metalloxiden macht es möglich, dass normalerweise spröde Keramik nicht nur flexibel, sondern sogar wickelbar wird.

Diese neuartige Eigenschaft ist eine zwingende Voraussetzung für eine besonders spannende und zukunftsweisende Anwendung: leistungsstarke Lithium-Ionen-Batterien, die künftige Kraftquelle von so genannten Hybridfahrzeugen. Die Idee dahinter klingt verlockend: Eine Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotoren macht das Autofahren umweltfreundlicher und erhöht den Fahrspaß.

Der Drehmomentgewinn beträgt bis zu 20 Prozent, die Energieeinsparung rund 25 Prozent. In den USA wurde der Toyota Prius, eines der ersten Serienautos nach dieser Bauweise, sogar zum Auto des Jahres 2004 gekürt.

Die hohe Nachfrage hat dazu geführt, dass die Lieferzeit in den Vereinigten Staaten bereits neun Monate beträgt. Inzwischen arbeiten außer den Japanern auch Automobilhersteller wie General Motors und DaimlerChrysler an neuen Hybridantrieben.

Vor diesem Hintergrund gewinnen Lithium-Ionen-Batterien als Energiespeicher immer mehr an Bedeutung, weil sie leichter, kleiner und leistungsfähiger sind als Blei- oder Nickel-Metallhydrid-Varianten. Im CCC-Markt, der für Cell Phones, mobile Computer und Camcorder steht, haben sie inzwischen einen Marktanteil von 99 Prozent.

Ihre Kapazität liegt in diesem Segment aber unter zwei Ampèrestunden. Für Anwendungen im Automobil müssten sie deutlich größer werden. Im mobilen Bereich steigt zudem der Anspruch an die Sicherheit.

Beide Anforderungen erfüllen Membranen aus Wickelkeramik, die in der bereichsübergreifenden Forschungseinheit Creavis der Degussa AG (Düsseldorf) entwickelt wurden und jetzt im Science to Business Center Nanotronics des Spezialchemieunternehmens im westfälischen Marl produziert werden.

Musterbeispiel für Schnelligkeit und Zielstrebigkeit

"Das Center ist in zweierlei Hinsicht ein Musterbeispiel für Schnelligkeit und Zielstrebigkeit. Einerseits wurde es in der Rekordzeit von nur neun Monaten errichtet, andererseits erhöhen wir mit diesem Konzept noch einmal deutlich unser Tempo von der Invention zur Innovation - und damit zum Erfolg im Markt", erklärt der Degussa-Vorstandsvorsitzende Utz-Hellmuth Felcht.

Das Besondere daran: Hier arbeiten Experten des Spezialchemiekonzerns mit Hochschulforschern, Zulieferern - und erstmals auch mit Kunden - disziplin- und branchenübergreifend unter einem Dach zusammen.

So wird die gesamte Wertschöpfungskette von der Grundlagenforschung über die Anwendungstechnik bis hin zum fertigen Produkt optimal abgedeckt, deshalb auch die Bezeichnung "Science to Business". "In den kommenden vier Jahren investieren wir rund 50 Millionen Euro in das Zentrum, in dem innovative, auf Nanomaterialien basierende Systemlösungen für die Elektronikindustrie Hauptthema sind", betont Alfred Oberholz, im Degussa-Vorstand für Forschung und Entwicklung verantwortlich.

Wie eben die neuartigen Keramikmembranen. Bisher bestehen die halbdurchlässigen "Sperrgitter" zwischen Anode und Kathode in Lithium-Ionen-Batterien aus den Kunststoffen Polyethylen und/oder -propylen.Derartige Separatoren haben einige gravierende Nachteile: Sie können bei fehlerhafter Anwendung der Batterie eine Überhitzung auf bis zu 800 Grad Celsius nicht verhindern, was dann zur Folge hat, dass die Batterie zu einem Klumpen Schrott verschmilzt.

Der Toyota Prius mit seinem Hybridantrieb. (Foto: Foto: Reuters)

Auch ihre Lebensdauer ist begrenzt. Im Gegensatz dazu verfügt das Degussa-Produkt, das unter der Bezeichnung Separion vermarktet wird, auf Grund der keramischen Eigenschaften über eine entsprechend hohe chemische und thermische Stabilität sowie über eine gute elektrische Leistungsfähigkeit.

Der hauchdünne Film wird in einem kontinuierlichen Prozess zunächst von beiden Seiten imprägniert, anschließend getrocknet und gebrannt.

"Dank unseres besonderen Know-hows gelingt diese Verankerung und Verfestigung bei nur rund 250 Grad Celsius, bis zu 1000 Grad niedriger als im Normalfall", erläutert Gerhard Hörpel, Start-up-Leiter Keramische Membranen bei der Creavis. Dabei handelt es sich nicht um Kunststoffprodukte mit eingebetteten keramischen Partikeln, sondern um eine anorganische "Verklebung" zwischen Metalloxid und PET.

Insgesamt wurden Produkt, Prozess und Anwendung inzwischen mit rund 25 Patenten abgesichert. Die Idee, eine kontinuierliche keramische Beschichtung mit einer kostengünstigen Polymerbasis zu kombinieren, ist ebenso neu wie der Herstellungsprozess selbst.

Um preisgünstige Lösungen geht es auch bei den anderen Projekten in Marl. Beispiel künftige flache Displays: Bildschirme von heute werden noch auf einem starren Glassubstrat aufgebaut, auf das dann Indium-Zinn-Oxid-Schichten (ITO) aufgetragen werden. Derartige Lagen haben zwar sehr gute elektrische und optische Eigenschaften, ihre Herstellung ist aber rohstoff- und energieintensiv - ergo teuer.

Was heute in einem aufwändigen Lithographie-Prozess abläuft, soll morgen per Druckverfahren erfolgen. Basis dafür sind leuchtend blaue Flüssigkeiten, die ITO-Partikel aus dem "Zwergenreich" enthalten und deren Aufbringung auch auf biegsamen oder sogar rollbarem Untergrund gelingt. Parallel läuft die ITO-Entwicklung auch in Richtung OLED-Anwendung.

Diese Organischen Leuchtdioden sind ein wichtiger Hoffnungsträger der Elektronikindustrie. Mit den besonderen Farbmolekülen könnte der Fernseher von morgen dünn wie eine Tapete und handhabbar wie ein Rollo sein. Fest steht schon heute, dass auch in diesem Fall ITO-Schichten zur Stromversorgung der aktiven organischen Schichten nötig sein werden. Sie taugen im Übrigen auch für innovative Beleuchtungen, die nicht nur Energie sparen, sondern eine neue Freiheit im Design erlauben.

Flach, flexibel, kostengünstig - dieser Eigenschaftsmix zieht sich wie ein roter Faden durch das Zentrum in Marl. Er gilt auch für RFID-Tags, die Einkaufen durch Funkerkennung (Radio Frequency Identification) revolutionieren sollen. In einigen Jahren wird auf jedem Joghurt, auf jedem Paar Socken, auf jeder DVD ein Chip angebracht sein, der die wichtigsten Informationen wie Preis, Hersteller oder gegebenenfalls das Verfallsdatum an einen Empfänger sendet.

Das geht aber nur mit einem massentauglichen Fertigungsverfahren für die Einmal-Gebrauchselektronik, die in mehreren 100 Milliarden Stück pro Jahr produziert werden müsste. Deshalb arbeitet Degussa daran, das Chipmaterial Silizium in nanofeiner Form druckbar zu machen. Dazu müssen neben den elektrischen Eigenschaften auch die Drucktechnologien weiterentwickelt werden.

Direkt vor dem Serieneinsatz steht dagegen Separion, dessen Produktion gegenüber 2004 bereits verzehnfacht wird. "Deshalb haben wir eine zusätzliche Anlage zur Erzeugung der Separatorfolien installiert", so Uwe Paulmann, Leiter der internen Startups. Damit steigt der Output auf mehrere Millionen Quadratmeter pro Jahr. Umgerechnet sind dies etliche hundert Fußballfelder.

Und das könnte erst der Anfang einer besonderen Erfolgsstory sein. Das Ziel für Degussa steht auf jeden Fall fest: bevorzugter Systemanbieter für die mobile elektrische Energie von morgen zu werden - ganz im Sinne von Science to Business.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: