Braunbären in Österreich:Ausgebrummt

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Wo sind sie hin? In Österreich drohen die Braunbären zum zweiten Mal auszusterben. Auch weil Gegner die Ansiedlung neuer Tiere blockieren.

Christian Sebald

Nein, es hängt kein Bärenhaar in dem Stacheldraht, der in einem Bergwald in der Steiermark zwischen drei Fichten aufgespannt ist, da kann Jörg Rauer die Haarfalle noch so genau untersuchen. Und der Plastikkübel mit Mais, der mitten im Zaundreieck hoch oben an einem Stamm befestigt ist, ist unberührt.

Der Braunbär ist bei Bauern und Jägern als Wilderer verschrien. (Foto: Foto: dpa)

"Wäre Djuro da gewesen, sähe das anders aus", sagt Rauer. "Zumindest den Maiskübel hätte er mit einem Prankenschlag vom Baum gerissen." Außerdem hätte Djuro eben beim Sprung über den Stacheldraht das eine oder andere Haarbüschel hinterlassen.

Dann hätte Jörg Rauer, 51, Biologe und Bärenexperte, den Beweis, dass es Djuro gutgeht. Die letzte Spur des 19 Jahre alten Bären wurde im August gefunden - ebenfalls an einer Haarfalle. Seither fährt Rauer regelmäßig all die Orte in den Bergwäldern in Niederösterreich und der Steiermark ab, an denen Djuro umherstreifen soll, und hofft auf ein neues Lebenszeichen.

Das Weibchen Elsa: vermisst

Es ist schlecht bestellt um die Braunbären in Österreich. Noch vor zehn Jahren waren in den Revieren rund um den 1893 Meter hohen Ötscher wenigstens zwölf Exemplare der mächtigsten Raubtierart Europas unterwegs.

Seit 1972, dem Jahr, in dem nach mehr als 130 Jahren erstmals wieder ein Bär aus Slowenien nach Österreich zugewandert ist, konnte Rauer in der ebenso weitläufigen wie dünn besiedelten Bergregion sogar 35 Braunbären nachweisen. Manche Artenschützer frohlockten schon, die Population habe sich stabilisiert.

Das ist Vergangenheit. "Jetzt wissen wir nur noch von zwei Männchen", sagt Christoph Walder, Chef des Bärenschutz-Projekts, das die Naturschutzorganisation WWF in Österreich betreibt. "Eben von Djuro und von Moritz, einem siebenjährigen Abkömmling von Djuro, der im Salzkammergut lebt."

Elsa, das letzte Weibchen, wird seit mehr als einem Jahr vermisst. Es wäre eine Sensation, wenn sie noch lebte. Nur im Grenzgebiet zwischen Kärnten, Slowenien und Italien sollen noch einige Bären umherstreifen. Wie viele es aber sein könnten und ob sie tatsächlich Reviere besetzt haben, ist völlig unklar.

Sollten Djuro und Moritz nicht bald auf gebärfähige Weibchen treffen, ist das erneute Verschwinden der Braunbären aus den nördlichen Kalkalpen so gut wie sicher. Auch weil Djuro bereits ein älterer Herr ist, der nicht mehr allzu viele Jahre vor sich haben dürfte.

"Dann wäre Österreich das erste Land in Europa, in dem eine Tierart zum zweiten Mal ausstirbt", sagt Walder. In Zeiten, in denen alle Welt gegen den Artenschwund ankämpft und sich auch Österreich verpflichtet hat, ihn bis 2010 wenigstens zu stoppen, wäre das ein denkbar schlechtes Signal. Zumal Braunbären nicht erst seit Brunos Marsch durch Bayern und Tirol so viel Sympathie genießen wie sonst vielleicht nur Eisbären wie Knut.

Damit die österreichischen Bären kein zweites Mal aussterben, hat der WWF eine Kampagne gestartet. Das Konzept ist denkbar einfach. 300 Kilometer entfernt von Österreichs verwaisten Revieren, im südlichen Slowenien, in dessen einzigartigen Buchen- und Tannenwäldern noch einige hundert Braunbären leben, sollen ein paar eingefangen und nach Norden exportiert werden.

Solche Wiederansiedlungen sind nicht neu. Schon in den neunziger Jahren hat der WWF Bären aus Slowenien und Kroatien nach Österreich geholt. Allerdings waren es damals nur drei. Diesmal sollen es zehn sein - verteilt auf drei Jahre. "Damit hätten wir einen Grundstock, damit unsere Population binnen zehn Jahren auf eine stabile Größe von 50 bis 70 Stück steigt", sagt Walder. "Im Adamello-Nationalpark im italienischen Trentin hat man es auch so gemacht und war sehr erfolgreich."

Doch in Österreich kommt der WWF nicht voran. Zwar sind fast drei Viertel der Bevölkerung für die Wiederansiedlung. Und mit den Bundesforsten, der Stadt Wien und dem Land Oberösterreich hat der WWF eine mächtige Bärenallianz geschmiedet, die unermüdlich für die Wiederansiedlung wirbt.

Aber in Niederösterreich und der Steiermark, den beiden entscheidenden Regionen, dreht sich die Debatte im Kreis. Vor allem die Landwirte und Jäger wollen nichts von den Raubtieren wissen. Auch wenn sie offiziell sagen, dass die Braunbären "natürlich eine wichtige Bereicherung der Artenvielfalt wären", wie das dieser Tage der Jägerfunktionär Harald Lasinger wieder getan hat, dessen Revier mitten in Djuros Streifgebiet liegt. Dennoch blockieren sie die Wiederansiedlung.

Ein Konkurrent für die Jäger

Die Landwirte fürchten um ihre Kühe und Schafe auf den Weiden. Für die Jäger ist der Bär nach wie vor ein Konkurrent im Revier - wenngleich das keiner zugibt. Jedoch halten sich hartnäckig Gerüchte, dass aus genau diesem Grund die meisten Bären keinesfalls eines natürlichen Todes gestorben, sondern bei Nacht und Nebel gewildert worden sind.

Die Gerüchte sind sogar so hartnäckig, dass das österreichische Bundeskriminalamt eine Sonderkommission gebildet hat. Tatsächlich haben die Polizisten im Hause eines Jägers einen fein säuberlich präparierten Jungbären gefunden. Wie er zu Tode kam, konnten die Fahnder freilich nicht gänzlich ermitteln. Der Jäger war bereits gestorben.

So sehr sich die Artenschützer seither in ihrem Verdacht bestätigt fühlen, so brüskiert geben sich die Jäger. "Denn von uns", so der Jägerfunktionär Lasinger in inbrünstiger Empörung, "würde doch keiner auf einen Bären schießen - diese Vorwürfe lassen wir nicht auf uns sitzen." Deshalb machen Lasinger und seine Kollegen "die lückenlose Aufklärung des Bärenschwunds" zur Bedingung für ihre Zustimmung zu dem WWF-Projekt - wohl wissend, wie WWF-Mann Walder sagt, dass sie nicht erfüllt werden kann.

"Denn dafür bräuchten wir ja zumindest die Überreste aller Bären, und die haben wir ja nur in diesem einen Fall. Ein Ende des Streits ist nicht in Sicht. Denn die Landesregierungen von Niederösterreich und der Steiermark, die die Wiederansiedlung beschließen müssen, werden das nicht ohne Zustimmung der mächtigen Jagdverbände und Landwirtschaftskammern tun.

Der Bärenexperte Jörg Rauer fährt derweil die Haarfallen in den einsamen Bergwäldern der Ötscher-Region ab und sucht weiter nach einem Lebenszeichen von Djuro. "Ansonsten", so sagt er, "kann man nur hoffen, dass der Bär in Österreich eine Zukunft kriegt."

© SZ vom 23.10.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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