Biowaffen:Die schlimmste Waffe ist die Angst

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Experten halten Anschläge mit biologischen Stoffen für schwer durchführbar, bereiten sich aber auf alle Eventualitäten vor.

Jonas Viering

(SZ vom 26.09.2001) - Die wichtigste Waffe des Terrorismus ist die Angst. Zwei Wochen nach dem Terror-Angriff auf die USA wächst hier wie auch in Europa die Angst vor Anschlägen mit Biowaffen. Nachdem bekannt geworden war, dass mutmaßliche islamistischen Terroristen wie Mohammed Atta auch den Einsatz von landwirtschaftlichen Sprühflugzeugen ausgekundschaftet und andere angeblich im Ausland Bakterien zu kaufen versucht hatten, sind die amerikanischen Medien voll mit Info-Schnellkursen über die Risiken von Biowaffen.

Äußerst unwahrscheinlich

Zugleich warnten Sicherheitsbehörden in aller Welt vor Hysterie. Bioterrorismus sei weiterhin äußerst unwahrscheinlich. Beim Kongress des Deutschen Komitees für Katastrophenvorsorge am Dienstag in Leipzig diskutierten Experten alle möglichen Szenarien, Biowaffen standen dabei aber keineswegs im Vordergrund.

In Großbritannien werden inzwischen deutlich mehr Gasmasken und Schutzanzüge von Geschäften für Militär-Ausrüstungen verkauft als sonst. "Wir müssen uns auf die Möglichkeit vorbereiten dass Menschen absichtlich mit biologischen oder chemischen Mitteln verletzt werden", mahnte in Washington die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation, Gro Harlem Brundtland.

Schutz durch Gasmasken fraglich

Gasmasken sind hierbei jedoch letztlich sinnlos, wie die britische Biowaffen-Expertin Alison Dale vom Londoner King's College erklärt: "Gewöhnliche Zivilisten werden diese Dinger kaum die ganze Zeit in der U-Bahn, beim Einkaufen oder im Bus tragen".

Ebola, Pest und Milzbrand

Eine Attacke mit Pest, Milzbrand oder Ebola wäre lautlos und unsichtbar, sie würde erst Tage nach dem Freisetzen von tödlichen Viren oder giftigen Bakterien überhaupt bemerkt - wenn die ersten Menschen erkranken. Anders als bei einem Sprengstoffanschlag wäre lange Zeit unklar, wer überhaupt betroffen ist und wo der Angriff stattfand. Dies macht Bioterrorismus besonders angsterregend: Der Schrecken lebt - im wahren Sinne des Wortes. Dies könnte möglicherweise Biowaffen für Terroristen interessant erscheinen lassen.

Handhabung von Biowaffen extrem schwierig

Die Auswirkungen einer Panik nach einem Angriff könnten verheerender sein als der Angriff selbst. Nach Aussagen zahlreicher amerikanischer wie auch deutscher Mikrobiologen ist die Handhabung von Biowaffen extrem schwierig. Nicht nur das Heranzüchten stellt große wissenschaftliche Anforderungen, auch das wirkungsvolle Ausbringen. "Sogar wenn man eine Biowaffe über New York versprühte, würden wohl nur wenige Menschen sterben - oder die Erreger würden sogar ganz verweht", sagt der deutsche Biowaffen-Kritiker Jan van Aken von der Hamburger Universität. Nur in einer bestimmten, schwer zu erzeugenden Tröpfchengröße können sie in den menschlichen Organismus eindringen. Viele Erreger sterben im Sonnenlicht ab. Milzbrand-Sporen können zwar jahrzehntelang überleben, würden sich jedoch einfach auf dem Boden ablagern.

Nur kleinräumig

Eher vorstellbar sind für van Aken "kleinräumige Szenarien, etwa der Einsatz einer Sprühdose in einem Raum wie der New Yorker Börse". Wenn hier Menschen erkranken sollten, stecken sie jedoch keineswegs automatisch ihre Familie zu Hause an. Die meisten wirklich gefährlichen Bio-Kampfstoffe werden nicht von einem Menschen auf den anderen übertragen.

Gefährlich: Pockenepidemie

Anders wäre dies bei einer Pockenepidemie. Diese Krankheit ist sehr ansteckend, dabei ist heute kaum jemand mehr gegen diese Krankheit geimpft - doch die allerletzten Pocken- Erreger befinden sich nach dem heutigen Stand des Wissens in je einem Hochsicherheits-Labor in den USA und Russland. Die Nummer zwei der WHO, David Nabarro, hat laut der Nachrichtenagentur Reuters dennoch eine Pocken-Epidemie nicht ausgeschlossen.

In den USA bereiten sich seit Mitte der neunziger Jahre die Behörden gezielt auf Bio-Attacken vor. Noch im Juli wurde in einer Übung mit dem dramatischen Namen "Dunkler Winter" mit Wissenschaftlern und Politikern eine Pocken-Epidemie durchgespielt. Auf der ehemaligen Militärbasis Fort McMellan in Alabama gibt es ein Trainingszentrum für Feuerwehrleute und FBI-Agenten, in dem diese in absichtlich verseuchten Räumen Gefahren zu erkennen lernen. Die US-Regierung hat bei Pharma-Unternehmen die Produktion unter anderem von Pocken-Impfstoff für 40 Millionen Menschen in Auftrag gegeben.

Wirksamkeit von Impfungen

Die Wirksamkeit von Impfungen gegen Biowaffen, auch etwa gegen Milzbrand ist jedoch umstritten - die Erreger könnten mit allerdings wieder hohem Aufwand gentechnisch verändert werden, sodass die Impfungen nichts mehr ausrichten. Und vor allem könnten sie zu spät kommen.

Aktionen bei der Weltgesundheitsorganisation

Das rasche Aufdecken und Eindämmen von Infektionsherden hat höchste Priorität für die WHO. Jeden Morgen trifft sich in ihrer Genfer Zentrale ein Team, das Informationen aus 72 globalen und regionalen Netzen von Laboratorien und Behörden auswertet. "In der vergangenen Woche haben wir unsere Verfahren nochmals verbessert, wie wir Ländern im Falle des Verdachts auf eine absichtliche Infektion helfen können", sagt Brundtland. Die WHO stellt ihre Expertise bereit und kann innerhalb von 24 Stunden mit Fachleuten am Ort sein, an dem eine Infektion ausgebrochen ist.

Krisienstab im Bundesgesundheitsministerium

Das deutsche Bundesgesundheitsministerium hat nach Informationen aus Fachkreisen einen Krisenstab gebildet. Die Behörden befinden sich noch in einem intensiven Prozess der Beratung und Abstimmung untereinander. Es herrscht jedoch Einigkeit, dass gegenwärtig nichts auf eine konkrete Bedrohung der Bundesrepublik durch Bioterrrorismus hinweist. Ein Insider: "Es gibt so viel einfachere Methoden für Terrorismus". Für die Zerstörung des World Trade Center haben Teppichmesser in den Flugzeugen als Waffe gereicht.

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