Biologie und Religion:"Uns eint die Sorge um die Schöpfung"

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Für den Umweltschutz strebt der berühmte Evolutionsbiologe und Atheist Edward O. Wilson ein taktisches Bündnis mit Amerikas Christen an.

Hubertus Breuer

In den USA herrscht ein erbitterter Kulturkampf zwischen Atheisten und fundamentalen Christen. Ungläubige Bilderstürmer, wie der britische Zoologe Richard Dawkins mit seinem Bestseller "Die Wahnvorstellung von Gott" ("The God Delusion", Houghton Mifflin), versuchen, Religion als bösartigen Aberglauben zu entlarven.

Edward O. Wilson (Foto: Foto: AP)

Evangelikale Christen, welche die Bibel strikt buchstäblich auslegen, sehen in den Kritikern und Evolutionsbiologen arrogante Ahnungslose, die so sicher wie das Amen in der Kirche zur Hölle fahren.

Doch während beide Seiten einander in den Medien beharken, will ein Naturwissenschaftler eine Brücke zwischen den Lagern bauen: Edward O. Wilson, 77, ein berühmter Ameisenexperte, Evolutionsforscher, Begründer der Soziobiologie und selbst seit Jahrzehnten beliebte Zielscheibe christlicher Angriffe.

Doch nun will er mit den evangelikalen Christen einen temporären Frieden schließen, obwohl er den Glauben weiterhin für einen Irrweg hält. Mit seinem jüngsten Buch, "Die Schöpfung, ein Plädoyer, das Leben auf Erden zu retten" ("The Creation"; W.W. Norton), versucht Wilson, die bibelfesten Amerikaner als Bündnispartner im Kampf für Umweltschutz und Artenvielfalt zu gewinnen. Eine große Aufgabe für einen Evolutionsbiologen.

SZ: Stimmt es, dass Sie sich gerne Prediger im Fernsehen ansehen?

Wilson: Ja, das ist ähnlich, wie Italiener gerührt Opern lauschen. Ich mag die Texte für Fiktion halten, aber dem Rhythmus, der Musik und der Theatralik kann ich mich nicht entziehen. Es bringt meine Kindheit und Jugend zurück - ich bin als Baptist in Alabama aufgewachsen.

SZ: Wie würden Sie die evangelikalen Christen charakterisieren?

Wilson: Die Rituale sind nur Oberfläche. Die Anziehungskraft aller Religionen ist der Tribalismus, eine der treibenden Kräfte menschlicher Natur. Wir alle suchen Gruppen, die uns Rückhalt geben. Fundamentale Kirchengemeinden bieten das ihren Mitgliedern in konzentrierter Form an. Sie vermitteln nicht nur ein Zugehörigkeits- und Überlegenheitsgefühl. Sie bieten ihnen soziale Dienste wie Kindergärten an; in den so genannten Megakirchen sogar Fitnessstudios, Geschäfte und Kinos. Es ist eine Welt, in der die Gläubigen völlig aufgehoben sind.

SZ: Wie haben Sie Ihren Glauben an Gott verloren?

Wilson: Mir ging es wie Darwin - ich bin der Religion in kleinen Schritten abhanden gekommen. Ich habe als Kind oft Insekten gesammelt. Als ich dann mit 17 Jahren an die Universität von Alabama kam, lernte ich die Evolutionstheorie kennen. Diese Sicht ergab angesichts des Artenreichtums schlagartig Sinn.

SZ: Als bekannter Verfechter eines evolutionären Weltbilds sind Sie für manche Baptisten der leibhaftige Teufel.

Wilson: Ja, aber so ganz böse bin ich doch gar nicht! Spaß beiseite. Die Verbindung mit den Evangelikalen ist eine pragmatische Notwendigkeit. Wenn sie in Sachen Klima- oder Artenschutz in den Staaten etwas erreichen wollen, kann eine solche Partnerschaft viel bewirken. Mit dem moralischen Sendungsbewusstsein, das evangelikale Christen auszeichnet, und den harten Fakten der Wissenschaft kann man Öffentlichkeit und Politiker davon überzeugen, dass die Biosphäre in Gefahr ist und wir etwas unternehmen müssen. Deshalb strecke ich meine Hand in Freundschaft aus.

SZ: Selbst, wenn Sie sich mit Gegnern ihrer Forschung verbünden müssen?

Wilson: Fundamentale Christen haben einen immensen politischen Einfluss in den Vereinigten Staaten - ihnen verdankt Präsident George W. Bush, dass er zweimal ins Amt gewählt wurde. Die amerikanische "National Association of Evangelicals" allein vertritt 30 Millionen Mitglieder, ein Viertel der Amerikaner sind christliche Fundamentalisten und mehr als die Hälfte hängen kreationistischen Ideen an.

Die drei wichtigsten Organisationen der Humanisten in den Staaten zählen dagegen gerade mal 5000 Mitglieder. Rechnen Sie selbst aus, ob es eine gute Idee ist, sich auf diese Leute einzulassen. Und ich wische die Differenzen nicht vom Tisch. Doch wenn wir darauf warten wollen, dass sich Prediger zur Evolution bekehren lassen, dauert das bis zum Sankt Nimmerleinstag. Die Zeit haben wir nicht. Was uns aber alle eint, ist die Sorge um die Schöpfung.

SZ: Viele Evangelikale halten die Zerstörung der Erde für belanglos. Schließlich ist die Erde nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins Himmelreich.

Wilson: Ja, es gibt diese Haltung, am ausgeprägtesten unter den so genannten Dispensationalisten. Sie glauben, dass die Apokalypse kommt, genau wie in der Offenbarung des Johannes angekündigt. Die Auserwählten fahren körperlich in den Himmel auf, während der Rest der Menschheit auf Erden gepeinigt wird, bis das Reich Gottes kommt. Doch viele fundamentale Christen denken, dass, wie der Prediger Billy Graham meinte, wir über die Erde herrschen mögen, uns das aber noch lange nicht das Recht gibt, sie zu ruinieren.

SZ: Die Evangelikalen haben Bush vor allem deshalb gewählt, weil er ein wiedergeborener Christ ist. Ich verstehe nicht, warum sie nun gerade Ihnen Glauben schenken sollten.

Wilson: Seit den sechziger Jahren wurde die Umweltschutzbewegung in den Vereinigten Staaten am linken Rand des Politikspektrums lokalisiert, sie galt als wirtschaftsfeindlich und atheistisch. Heute dagegen sind viele konservative Christen längst unglücklich mit der Umweltpolitik der Bush-Regierung. Sie verlangen nach "creation care" - nach Schöpfungsfürsorge.

Erst im Februar haben 86 führende Köpfe evangelikaler Kirchen ein Dokument unterschrieben, das dazu aufruft, gegen den Treibhauseffekt tätig zu werden - und auch einen Brief an Präsident Bush geschickt. Naturwissenschaftler wie ich liefern diesen Christen die Sachargumente.

SZ: Das Schreiben hatte öffentliche Proteste anderer Gläubiger zur Folge.

Wilson: Gut so! Ich bin kein Machiavelli, aber wenn das Thema Umweltschutz und mein Buch einen Keil in den Block konservativer Christen treiben, soll mir das nur recht sein. Es ist an der Zeit, bloßzustellen, wie die republikanische Regierung unter dem christlichen und patriotischen Mantel ökologische Fragen stets den Wirtschaftsinteressen untergeordnet hat. An den jüngsten Wahlen sieht man, dass die alten Allianzen aufbrechen. Es gibt eine neue Umweltschutzbewegung, wie Al Gores Buch und Film "Eine unbequeme Wahrheit" belegt. Das Land schimmert schon pastellgrün.

SZ: Die Aufregung gilt aber vor allem dem Klimawandel. Sie sorgen sich um die bedrohte Artenvielfalt.

Wilson: Das Problem ist, dass wir uns bislang vor allem um die physische Umwelt sorgen. Die Folgen der Umweltverschmutzung sind leicht erkennbar, die Gefahren einleuchtend. Aber noch niemand ist bislang daran gestorben, weil in den Tropen eine Ameisenart verschwunden ist. Deshalb müssen Naturwissenschaftler jetzt die Gelegenheit nützen, gerade Christen zu erklären, wie komplex Ökosysteme sind und welch wichtige Dienstleistungen sie für den Menschen erbringen.

SZ: Nicht jeder teilt Ihre Ansicht. Richard Dawkins und der Neurowissenschaftler Sam Harris wettern in den USA gegen die Religion als ein Übel, das es zu bekämpfen gilt.

Wilson: Das mag belustigend für die Provokateure sein, aber mit vernünftigem Diskurs hat das nicht viel zu tun. Dawkins, Harris und andere verstehen nicht, wie tief verwurzelt Religion in den Staaten ist. Da ist es naiv zu glauben, dass Menschen über Nacht ein neues Weltbild annehmen, indem man sie als Idioten und Demagogen hinstellt.

Es ist wie im Ersten Weltkrieg. Die verfeindeten Parteien graben sich immer tiefer in die Schützengräben ein. Nichts verändert sich, aber es gibt jede Menge Opfer. Ich weiß, wie man mit diesen Christen sprechen muss. Wenn man ihnen Respekt zeigt, sie ebenbürtig behandelt und sie um Hilfe bittet: dann hören sie einem zu.

SZ: Warum räumen Sie Gott dennoch in Ihrem Weltbild keinen Platz ein?

Wilson: Wir können natürlich wissenschaftlich nicht restlos ausschließen, dass es einen Gott gibt. Aber die aktive Hand Gottes sehe ich in der Welt zumindest nicht walten - dazu bedürfte es eines empirischen Beweises. Und je mehr wir über die Natur erfahren, desto unwahrscheinlicher erscheint es mir, dass es einen Gott gibt, wie er in der Bibel beschrieben wird.

SZ: Sie haben oft ausgeführt, wie sich Religion aus der Evolution und Neuropsychologie erklären lässt.

Wilson: Sicher, aber jetzt geht es eben nicht um ideologische Auseinandersetzungen - wir müssen die Artenvielfalt retten. Das ist auch nicht das Ziel von Dawkins & Co. Insofern bin ich den Evangelikalen sogar eher verbunden, denn die modernen Atheisten kümmern sich nicht besonders um die Schöpfung.

SZ: Eine Leidenschaft, die Sie jedoch auszeichnet.

Wilson: Ich nenne jede Pflanze und jedes Tier ein Meisterwerk der Evolution. Bibeltreue Christen sehen darin stattdessen die Spuren der intelligenten Macht Gottes. Aber letztendlich ähnelt sich jede Form der Bewunderung - ich bin also keineswegs ins christliche Lager übergelaufen, wenn Sie das meinen.

SZ: Aber wenn man Ihr Buch liest, klingt es fast wie eine Predigt.

Wilson: Es wendet sich schließlich an ein christliches Publikum. Zudem habe ich eine Botschaft. In fünfzig, hundert, tausend Jahren werden wir rückblickend erkennen, dass die Gefährdung der Artenvielfalt die größte Herausforderung war, der wir in unserer Epoche gegenüberstanden. Kommende Generationen mögen uns Kriege vergeben, doch die Biosphäre ist unwiederbringbar.

SZ: Ihr Buch ist in Briefform an einen imaginären evangelikalen Pastor gerichtet. Was würde er von Ihren Ausführungen halten?

Wilson: Er würde sagen: "Ed, ich schätze was Du tust. Ich glaube, im Grunde hast Du Recht." Dann würde er hinzufügen: "Und ich hoffe, dass, wenn wir jetzt zusammenarbeiten, Du zu Jesus zurückfindest."

© SZ vom 18. November 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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