Behandlungsfehler:Operationsfeld Patient

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Die Bundesärztekammer ist mit ihrer Statistik über Behandlungsfehler zufrieden. Doch Kritikern zufolge zeigen die Zahlen nur einen kleinen Ausschnitt der Fehler und Komplikationen.

Werner Bartens und Guido Bohsem

Der Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen war sichtlich zufrieden. Die von ihm vorgelegten Zahlen zu Behandlungsfehlern von Ärzten seien im internationalen Vergleich ziemlich einzigartig, betonte Andreas Crusius am Dienstag in Berlin.

Manche Experten schätzen, dass allein in Deutschland 17.000 Patienten im Krankenhaus an unerwünschten Nebenwirkungen sterben. (Foto: Foto: ddp)

Nirgendwo sonst würden solche Daten außerhalb von Gerichten so gut erfasst wie in Deutschland. Demnach haben sich im vergangenen Jahr 10.432 Patienten an die Schlichtungsstelle gewandt, weil sie den Verdacht hatten, ihr Arzt habe sie falsch behandelt.

Das waren nur wenig mehr als 2006. In 7049 Fällen hätten die Experten der Schiedsstelle Gutachten erstellt. Fehler hätten die Mediziner in 2095 Fällen gemacht, 1717 Mal kam es in der Folge zu mitunter dauerhaften Schäden für die Patienten.

"Die Zahlen der Schlichtungsstellen sind nur ein kleiner Ausschnitt der Ärztefehler und Komplikationen", sagt Matthias Schrappe, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Patientensicherhei. "Denn nur etwa drei Prozent der Patienten streben eine gerichtliche Klärung an."

Dass die Häufigkeit von unerwünschten Zwischenfällen oft so unterschiedlich angegeben wird, beruhe darauf, dass Zahlen von Gerichten, Schlichtungsstellen und aus Krankenakten miteinander verglichen würden. Insgesamt würden pro Jahr etwa 40.000 Fälle bekannt, in denen sich Patienten falsch von ihrem Arzt behandelt fühlten, sagte Crusius.

Jeweils etwa 10.000 würden bei den Gerichten anhängig, liefen bei den Haftpflichtversicherungen der Mediziner auf oder würden über den medizinischen Dienst der Krankenversicherer abgewickelt. Wie viele Fälle nicht ans Licht der Öffentlichkeit kommen würden, sei jedoch nicht bekannt.

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit schätzt, dass 0,1 Prozent aller im Krankenhaus behandelten Patienten an unerwünschten Nebenwirkungen sterben. Bei 17 Millionen Krankenhauspatienten im Jahr wären das allein in Deutschland 17.000 Todesfälle.

Im Jahr 2000 hatte eine Analyse des Institute of Medicine unter dem Titel "To Err is Human" weltweit Aufsehen verursacht. Die Forscher schätzten, dass es in den USA jährlich zu 44.000 bis 98.000 Todesfällen kommen würde, die durch Fehler in der Behandlung verursacht werden.

Die meisten Fehler passieren im Krankenhaus

Bezogen auf die Einwohnerzahl wären tödliche medizinische Komplikationen damit in Deutschland ähnlich häufig wie in den USA. Die Zahl der "unerwünschten Ereignisse" liegt deutlich höher, vermutlich sind zwischen fünf und zehn Prozent der jährlich 17 Millionen behandelten Patienten davon betroffen. Um die Sicherheit der Kranken zu steigern, müssten nach einhelliger Auffassung von Medizinern und Juristen besonders Medikationsfehler und Patientenverwechslungen vermieden werden.

Die meisten strittigen Fälle gebe es bei Behandlungen der Hüfte und des Knies, sagte Johann Neu, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftungsfragen der norddeutschen Ärztekammern. Auch werde Brustkrebs bei Frauen oft falsch behandelt oder zu spät erkannt, so Neu.

Die meisten Fehler passierten im Krankenhaus; hier vor allem in der Unfallchirurgie. Unter Praxisärzten unterliefen den Orthopäden die meisten Fehler, dahinter liegen gleich die Hausärzte. Immer noch hoch sei die Zahl falsch behandelter oder nicht erkannter Entzündungen des Wurmfortsatzes ("Blinddarm").

Die Daten werden in der vorliegenden Form erst seit 2006 erhoben. Vorher gab es nach Neus Worten nur Zahlen mit deutlich geringerer Aussagekraft. Zentrales Ziel der Veröffentlichung ist es nach Crusius' Worten, aus den medizinischen Fehlern zu lernen und sie künftig zu vermeiden. "Wir haben in den vergangenen drei Jahren große Schritte gemacht, sind aber noch nicht am Ende", sagte Neu. In nur zwei Prozent der Fälle wandten sich die Patienten an die Schlichtungsstelle, weil sie von Ärzten auf Fehler aufmerksam gemacht worden seien. Rund 30 Prozent würden hingegen auf Initiative der Krankenkassen vorgebracht.

Der Vorsitzende der norddeutschen Schlichtungsstelle, Walter Schaffartzik, rief seine Kollegen zu einem größeren Problembewusstsein auf: "Ich denke, wir Ärzte müssen lernen, Patienten als ebenbürtige Partner zu behandeln."

Verbraucherschützer und Patienten fordern mehr Transparenz von den Ärzten. So sollen Kliniken und Praxen bekanntmachen, wie viele Komplikationen und Infektionen bei ihnen vorkommen.

Doch solche Statistiken führen womöglich in die Irre. Denn es gibt in der Chirurgie wie auch in anderen Teildisziplinen der Medizin Experten, die sich schwierige Eingriffe zutrauen, die viele andere Ärzte nicht mehr bewältigen würden. Zwangsläufig kommen bei solch komplizierten Operationen auch häufiger Infektionen und andere Komplikationen vor. In einer Statistik der Zwischenfälle und Nebenwirkungen hätten solche Ärzte eine höhere Fehlerrate, obwohl sie die besseren Operateure sind.

© SZ vom 04.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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