Autark mit Bioenergie:"Wir haben den richtigen Moment erwischt"

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Das Dorf Jühnde in Niedersachsen versorgt sich als erster Ort Deutschlands selbständig mit Biomasse-Energie. Die Preise für die Bewohner orientieren sich an denen für Heizöl - allerdings aus dem Jahr 2002.

Den rasanten Anstieg der Energiepreise nimmt Bürgermeister August Brandenburg gelassen zur Kenntnis: "Das war abzusehen", sagt der 75-Jährige. Dennoch bestätigen die hohen Preise die Entscheidung der Jühnder, sich selbst mit Energie zu versorgen. "Wir haben den richtigen Moment erwischt", meint Brandenburg.

Jühndes Bürgermeister August Brandenburg. (Foto: Foto: AP)

Das Dorf Jühnde in Südniedersachsen produziert als erster Ort in Deutschland seine gesamte Energie selbst aus Biomasse. Angesichts der hohen Preise für Öl und Gas können sich die Jühnder freuen. Ihre Heizkosten orientieren sich am Heizölpreis des Jahres 2002: pro Liter 35 Cent.

Doppelt so viel Strom wie benötigt

Doch die Einwohner des 750-Seelen-Ortes bei Göttingen sind nicht nur vom Ölpreis unabhängig. Die Biogasanlage produziert mit etwa vier Millionen Kilowatt-Stunden rund doppelt so viel Elektrizität, wie im Dorf selbst verbraucht werden.

Zudem werden die Kohlendioxid-Emissionen pro angeschlossenem Bewohner um 60 Prozent gesenkt. Und: Das Geld für die Energie fließt weder ins Ausland, noch an Energiekonzerne, sondern bleibt in der Region und bietet damit auch den Landwirten eine langfristige Perspektive. Diese bauen auf etwa 15 Prozent der Agrarflächen des Dorfes Energiepflanzen wie Raps, Mais oder Sonnenblumen an.

Weil die Pflanzen schon im Grünstadium genutzt werden, können die Bauern zwei Mal im Jahr ernten. Die Grünmasse wird durch Vergären konserviert und zusammen mit der Gülle des Viehs in die Biogasanlage eingespeist. Dort zersetzen Bakterien den Brei zu dem Biogas Methan, das im benachbarten Blockheizkraftwerk verbrannt wird.

Die mit der Hitze erzeugte Elektrizität fließt in das Netz des regionalen Energieversorgers. Die frei werdende Wärme geht über ein unterirdisches Leitungssystem direkt in die Häuser. Zusätzliche Wärme liefert ein Holzhackschnitze-Heizwerk durch die Verbrennung von Restholz aus den umliegenden Wäldern.

Genossenschafts-Einlagen rentieren sich

Die Investition in das vom Verbraucherschutz-Ministerium geförderte Fünf-Millionen-Euro-Projekt lohnt sich für die angeschlossenen Haushalte. Sie zahlen zwar jeweils eine Einlage von 1.500 Euro für die Mitgliedschaft in der Bioenergiedorf-Genossenschaft und weitere 1.000 Euro für den Anschluss an das Nahwärmenetz. Die Heizkosten-Kalkulation orientiert sich aber an dem Ölpreis von 35 Cent pro Liter. Mittlerweile kostet der Liter Heizöl etwa das Doppelte. Möglich wird der günstige Preis durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung. Es garantiert dem Erzeuger für 20 Jahre 17 Cent pro eingespeister Kilowatt-Stunde. Das Dorf kann also mit Einnahmen von etwa 680.000 Euro pro Jahr rechnen.

Teure Infrastruktur, "spotbillige" Energie

Der Nutzpflanzenkundler Professor Konrad Scheffer von der Universität Kassel, der das Projekt von Anfang an begleitet hatte, sieht in der Biomasse die Energieform der Zukunft. Nach seinen Berechnungen lassen sich insgesamt 25 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland durch nachwachsende Rohstoffe decken. Geht man dann noch davon aus, dass etwa die Hälfte der Energie in Deutschland eingespart werden könnte, wäre laut Scheffer sogar ein Anteil der Biomasse an der erzeugten Energiemenge von 50 Prozent denkbar. Im Vergleich zu Heizöl ist die Energie aus Biomasse dem Experten zufolge "spottbillig". Vergleichsweise teuer werde es erst durch die zusätzlich erfoderliche Infrastruktur. In Jühnde mussten die Straßen gut einen Meter tief aufgerissen werden, um die Leitungen zu den angeschlossenen Haushalten zu legen.

Internationale Vorreiterrolle

Mit den steigenden Energiepreisen nimmt auch das Interesse am Bioenergiedorf Jühnde zu. Schon seit Monaten ist der Ort das Ziel von Delegationen aus aller Welt. "Das Interesse kommt aus allen Richtungen", sagt Eckhard Fangmeier, der Sprecher der Betreibergesellschaft. Aus Deutschland pilgern Gemeinderäte ebenso wie Sportvereine und Wandergruppen herbei, aus Japan wurde vorigen Monat bereits die vierte Delegation vorstellig. Fangmeier: "Ich bin felsenfest überzeugt: Jühnde wird nicht das einzige Bioenergiedorf bleiben."

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