Außen-Wissenschaftspolitik:Köder für akademische Auswanderer

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Viele deutsche Wissenschaftler arbeiten in den USA, weil die Bedingungen dort besser sind. Mit großzügigen Förderprogrammen sollen sie nun zurück nach Deutschland gelockt werden.

Christopher Schrader

Bisweilen hängt der Lebensweg von lächerlichen Kleinigkeiten ab. Für Jens Netzer zum Beispiel könnten tausend Euro für ein Flugticket darüber entscheiden, ob er seine akademische Karriere an einer kalifornischen Universität fortsetzt oder nach Deutschland zurückkehrt.

Die Forschungsbedingungen waren für viele junge Wissenschaftler in den USA besser als in Deutschland. (Foto: Foto: dpa)

Dort hat sich der Sozialwissenschaftler auf eine Stelle als Juniorprofessor beworben. Doch falls er die Einladung zum Probevortrag bekommt, muss er sich ein teures Ticket nach Deutschland kaufen - und sein Stipendium gibt die Ausgabe eigentlich nicht her. Eigene Fördertöpfe dafür gibt es nicht, und die einladende Universität bezahlt keinem der sechs oder acht Kandidaten die Anreise.

Mit dieser Frage ist Netzer zur Jahrestagung von Gain gekommen, dem Netzwerk deutscher Nachwuchsforscher in den USA (German Academic International Network). Etwa 220 von ihnen haben sich dazu am vergangenen Wochenende an der University of California in San Francisco versammelt. Das Thema: "Neue Karriereperspektiven" junger Forscher in Deutschland.

Als Netzer, dessen Name wegen der Vertraulichkeit des Berufungsverfahrens geändert worden ist, die Frage nach dem Ticket in einem Workshop stellt, herrscht zunächst Ratlosigkeit.

Die Vertreterin seines Stipendiengebers, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), weiß keine Antwort: "Eigentlich finanzieren wir Forschung. Aber so ein Vorsingen ist keine Forschung." Wenn er mehr Zeit habe, könne er ja Reisemittel für einen akademischen Vortrag beantragen, den er einen Tag später irgendwo anders hält, bietet sie augenzwinkernd an.

Aber die Zeit für solche Deals wird Netzer nicht haben. "Sprechen Sie mit dem Dekan", schlägt dann schräg hinter ihm Margret Wintermantel vor, die Vorsitzende der Hochschulrektoren-Konferenz von der Universität des Saarlandes. "Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Hochschule eine Ausnahme macht, wenn sie wirklich an Ihnen interessiert ist." Netzer, und mit ihm drei Dutzend anderer Stipendiaten im Raum, wiegen skeptisch die Köpfe.

Die Top-Manager der deutschen Wissenschaftsszene sind angereist

Margret Wintermantel ist nur eine der Top-Managerinnen der deutschen Wissenschaftsszene, die zu dem Treffen nach San Francisco gereist ist. Der Präsident der DFG Matthias Kleiner ist da, der Vizepräsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), hohe Vertreter der Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaften, der Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaften, Firmenrepräsentanten, Gesandte etlicher Universitäten, Bundestagsabgeordnete von drei Fraktionen, der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz ebenso wie der Staatssekretär im Bildungsministerium.

Im Foyer des Konferenzzentrums Mission Bay bieten 15 Stände Informationen über die Karriere in Deutschland an. Sie alle betreiben an diesem Wochenende "Außen-Wissenschaftspolitik", wie es Georg Schütte, Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, nennt.

"Die Spitze der deutschen Wissenschaft ist heute in diesem Raum", sagt er und streicht den deutschen Nachwuchswissenschaftlern Honig ums Maul. "Das zeigt unsere Wertschätzung für Sie."

Seit etlichen Jahren haben die Gremien und Organisationen erkannt, dass Deutschland stetig einen Prozentsatz der brillantesten Köpfe vor allem an die USA und Kanada verliert. Sie kommen zu einem zunächst vielleicht nur zweijährigen Forschungsaufenthalt an eine Hochschule zwischen Boston und San Diego, Calgary und Dallas, und bleiben hängen.

"Der Karriereweg ist hier einfach viel glatter, ist viel besser vorgezeichnet", sagt der Maschinenbauingenieur Pierre Mertiny, Professor an der Universität von Alberta im kanadischen Edmonton. Universitäten investieren mehr in Nachwuchs, mehr Geld, aber auch mehr Aufmerksamkeit. Mertiny verfügt in seinem Labor über einen Maschinenpark, den er sich in Deutschland mit viel mehr Kollegen teilen müsste als in Kanada.

"Warum sollte ich nach Deutschland zurückkehren?", fragt auch Ulrike Malmendier. Die Ökonomin gilt als einer der kommenden Stars ihres Fachs und bekommt gerade an der Universität Berkeley eine feste Stelle als Professorin für Finanzwissenschaft.

"In Deutschland muss ich mehr lehren, habe schlechtere Studenten, vielleicht weniger interessante Kollegen, die nichts mehr forschen und publizieren, aber trotzdem im Department die Entscheidungen treffen - und dann verdiene ich auch noch die Hälfte."

Solche Klagen sind gerade von den etwa 20 Prozent deutscher Stipendiaten zu hören, die später in Nordamerika bleiben. Aber auch der große Rest findet nach der Rückkehr oft verkrustete Strukturen vor, die Sehnsucht nach den Verhältnissen an der amerikanischen Gastgeber-Hochschule auslösen.

Die Politik hat reagiert

Doch darauf hat die Politik inzwischen reagiert: "Die Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland sind so gut wie lange nicht mehr", sagt Jürgen Zöllner, der als Bildungssenator in Berlin zurzeit die Konferenz der Kultusminister leitet. Fast alle Redner wiederholen das, und legen den Zuhörern im Saal dann Details über eine fast unüberschaubare Zahl von Förderprogrammen vor.

Viele dieser Angebote sind für Forscher ausgelegt, die nach der Promotion zwei oder vier Jahre als "Postdoc" in den USA gearbeitet haben und sich in Deutschland dann eine Nachwuchsgruppe aufbauen wollen als Sprungbrett zu einer Professur. Die Hürden seien wesentlich geringer als früher, die finanzielle Ausstattung großzügiger, heißt es immer wieder.

"In Deutschland bekommen Sie heute viel mehr Euro pro Seite jedes Antrags, den Sie stellen, als in anderen Ländern", sagt Achim Bachem, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich. Etwa jedem dritten Antragsteller, der zurückkehrt, werde in seiner Helmholtz-Gemeinschaft eine Nachwuchsgruppe bewilligt. Als er abends beim Empfang eine junge Wissenschaftlerin aus seiner Heimatstadt trifft, die sich nach dem Programm erkundigt, posiert er gleich mit ihr und Staatssekretär Thomas Rachel zum Erinnerungsfoto.

10.000 neue Stellen für Forscher

Die Botschaft scheint anzukommen. Etliche Teilnehmer berichten, auf der Jahrestagung 2006 in Boston sei die Stimmung noch gereizter gewesen, die verbreitete Skepsis der Nachwuchskräfte über den Wandel in Deutschland habe sich in aggressiveren Fragen entladen.

Doch inzwischen hat das Land bei der Exzellenz-Initiative mit einem Mythos gebrochen: dass im Prinzip die Ausbildung in jeder Universität zwischen Oldenburg und Passau gleichwertig sei. Zudem hat die Politik insgesamt sechs Milliarden Euro "frisches Geld" bereitgestellt, sagt Thomas Rachel.

Davon sollen im Lauf der kommenden Jahre etwa 10.000 neue Stellen für Forscher geschaffen werden. Etliche der Vertreter der deutschen Wissenschaft treibt offenbar die Sorge um, ob sich auch wirklich genug Hochqualifizierte finden, um die Stellen zu besetzen.

Die DFG hat zudem bereits damit begonnen, Antragstellern 20 Prozent mehr Geld zu geben, als diese erbitten. Die Mittel sind an keine Bedingungen geknüpft, damit kann die Hochschule zum Beispiel die Infrastrukturkosten decken, die bisher nicht beantragt werden konnten. "Oder auch mal ein Gehalt leistungsgerecht aufstocken", ergänzt DFG-Chef Matthias Kleiner. 700 Millionen Euro verteilt über einige Jahre stünden allein für diesen Zuschuss bereit, den Geldgeber in anderen Ländern längst und teilweise in höherem Ausmaß gewährten.

Viele Jung-Forscher bleiben skeptisch

Dennoch bleiben viele der so umworbenen Jung-Forscher skeptisch. Besonders das Ausmaß der Lehrverpflichtung bedrückt sie. "Sie überlasten uns mit neun Wochenstunden pro Semester und erwarten trotzdem noch Exzellenz in der Forschung. Hier hätten wir nur vier zu geben", lautet ein typischer Einwand.

Doch dem Literaturwissenschaftler, der das im Plenum sagt, fährt Jürgen Schölmerich, Klinikdirektor in Regensburg und Vizepräsident der DFG, über den Mund. "Sie sollten es als Privileg empfinden, neun statt vier geben zu dürfen. Wenn Ihnen die Lehre keinen Spaß macht, dann haben Sie an einer deutschen Hochschule vielleicht auch nichts zu suchen."

Etwas konzilianter zeigt sich Margaret Wintermantel, die allerdings einräumt: "Bei der Lehrverpflichtung können wir mit amerikanischen Spitzen-Universitäten nicht konkurrieren."

Später versucht Manfred Nettekoven, Kanzler der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen eine verbreitete Fehlinformation zu korrigieren: "Juniorprofessoren müssen in Deutschland vier Wochenstunden machen. Vier", sagt er, und reckt vier Finger in die Luft. Doch offenbar setze manche Hochschule das Deputat in der Stellenausschreibung höher an, wie die Fragesteller berichten.

Viele der Nachwuchswissenschaftler erschreckt besonders die Diskussion über die sogenannten Lehrprofessuren, die in Deutschland ausgebrochen ist. Der Wissenschaftsrat hatte Anfang des Jahres vorgeschlagen, in Zukunft solle jeder fünfte Professor auf einer solchen befristeten Stelle mit einem noch erhöhten Lehrdeputat von bis zu zwölf Wochenstunden sitzen; für Juniorprofessoren sind jedoch nur sechs Wochenstunden vorgesehen.

Ziel der Forderung ist, die oft katastrophale Qualität der Lehre an vielen Universitäten deutlich zu verbessern. Doch die Vorstellung, dass es in den kommenden Jahren womöglich nur noch solche Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs geben könnte, schreckt die jungen Forscher im Saal. Sie empfinden das als Sackgasse für ihre Karrieren. Schließlich ist zu erwarten, dass die Entscheidung über den Sprung auf eine reguläre Stelle vor allem auf der Basis der Forschung gefällt wird, für die ihnen dann kaum Zeit bliebe.

Daher sind sie nur wenig beruhigt, dass Margaret Wintermantel den Vorschlag wenigstens privat zurückweist. Als Vorsitzende der Hochschulrektoren kann sie nicht sprechen, weil diese sich noch nicht über eine Position zu den Lehrprofessuren verständigt haben.

Wunsch nach beruflicher Sicherheit

Als weiteres Problem sehen die Nachwuchskräfte die berufliche Sicherheit. Viele von ihnen, wie der Ingenieur Mertiny und die Ökonomin Malmendier, preisen das amerikanische Tenure-Track-System. "Tenure" heißt so etwas wie Festanstellung. Hochschulen in den USA und Kanada stellen junge Wissenschaftler für fünf oder sechs Jahre als Assistant Professor ein mit der Zusage, dass ihre Stelle entfristet wird, wenn sie sich bewähren.

Ähnliche Zusagen versuchen etliche der Anbieter von Förderprogrammen in Deutschland auch zu geben, doch haben sie dabei gelegentlich unerwartete Probleme, wie May-Britt Becker berichtet, die in Heidelberg Geschäftsführerin des Exzellenzclusters Zelluläre Netzwerke ist. "Als wir die entsprechenden Passagen in die Satzung schrieben, bekamen wir das vom Justiziat zurück. Es verstoße gegen das Hochschul- und womöglich sogar gegen das Grundgesetz."

Dort regelt nämlich der Artikel 33, Absatz 2, dass jeder Deutsche nach seiner Qualifikation Zugang zu jedem öffentlichen Amt haben muss. Offenbar legen das Juristen so aus, dass eine Professur nicht ohne öffentliche Ausschreibung vergeben werden darf, bei der der Forscher auf dem Tenure-Track dann mit anderen Wissenschaftlern um seine eigene Stelle konkurrieren müsste. Außerdem sind sogenannte Hausberufungen an vielen Universitäten verpönt, wenn nicht verboten.

Refrain vom Podium

Für den Karriereschritt muss man umziehen. Doch offenbar soll unter anderem in Baden-Württemberg das Hochschulgesetz so geändert werden, dass Ausnahmen möglich sind. "Jahrelang gab es auf dieser Tagung den Refrain: 'Tenure-Track', und der kam immer aus dem Publikum", sagt der Mitorganisator Ulrich Grothus vom Deutschen Akademischen Austauschdienst. "Diesmal gab es wieder den Refrain, aber diesmal kam er vom Podium."

Auch an vielen anderen Punkten sei das deutsche Wissenschaftssystem in Bewegung gekommen, erklären die angereisten Manager den Nachwuchsforschern. Die Verwaltungsabteilungen würden sich zunehmend als Service-Institutionen zur Unterstützung von Forschung verstehen, so Cornelia Wilhelm von der Universität München.

Die Verwaltung einer Hochschule sei schließlich kein Selbstzweck, hatte zuvor Margret Wintermantel gesagt, was ihr Publikum mit höhnischem Kichern quittierte, weil es viele anders erlebt haben. Auch Fragen nach Betreuungsplätzen für Kinder, der Gleichstellung der Frauen oder einem adäquaten Job für den mitanreisenden Ehepartner versuchen viele Hochschulen inzwischen zu beantworten - und ziehen damit den Angeboten amerikanischer Universitäten nach. "Endlich tun sie etwas", entfährt es daher beim Frühstück einer Mathematikerin, die für ihre Doktorarbeit nach Austin in Texas gegangen ist.

An der gleichen Universität wertet zurzeit Jakob Flury die Rohdaten über regionale Unterschiede des irdischen Schwerefelds aus, die die Grace-Satelliten aus dem Orbit zur Erde funken. Raumfahrt ist seit Jahren ein sehr internationales Forschungsgebiet, der Schweizer hat also lange an der Technischen Universität München gearbeitet, bevor er nach Texas wechselte.

Er warnt nun davor, den nationalen Gedanken überzubetonen, wenn es darum geht, deutsche Forscher zurück nach Deutschland zu holen. "Hier in Amerika kümmert es niemanden, woher man kommt, wenn man gut ist." Solche internationalen Kontakte sollten in jedem Fall aufrechterhalten bleiben, wenn Nachwuchsforscher zurückkehren.

Ohnehin sind viele der neuen Stellen auch als Anreiz gedacht, um hochqualifizierte Ausländer nach Deutschland zu locken, wie Politiker gern betonen. Das Land stehe im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe, auch wenn oft die Sprachbarriere verhindert, dass viele Amerikaner an Rhein, Neckar oder Isar kommen.

Darum warnt der Staatssekretär Thomas Rachel auch weniger vor dem "Brain Drain" als dass er die "Brain Circulation" preist - nicht der Verlust, der Austausch von Gehirnen präge die Situation. Und ganz am Ende sagt er noch: "Auslandsaufenthalte an sich sind kein Problem, sondern eine Chance für den Einzelnen und die Gesellschaft." Das hatte so simpel vorher keiner der Wissenschaftsmanager ausgesprochen.

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