"140 000 zum Ersten, 140 000 zum Zweiten, 140 000 zum Dritten." Mit diesen Worten erteilt Ulrike Viebrock dem letzten Bieter den Zuschlag für ein Haus, das gerade zwangsversteigert wird. Viebrock ist Rechtspflegerin an einem Amtsgericht. Bei einer Zwangsversteigerung legt sie den Termin der Sitzung fest, leitet sie, nimmt Gebote entgegen, erteilt den Zuschlag. Dabei wird sie von einem Gutachter unterstützt, der den Preis der Immobilie ermittelt. "Ich dachte früher, als Rechtspflegerin muss man nur Akten bearbeiten und ist Einzelkämpfer. Das stimmt nicht, man arbeitet viel im Team, hat Kontakt mit vielen Menschen und kann Kollegen bei schwierigen Fällen fragen. Die Praxis hat mich positiv überrascht", sagt Viebrock.
Ungefähr 12 000 Rechtspfleger gibt es in Deutschland. Sie arbeiten an Gerichten und Staatsanwaltschaften, haben keinen Vorgesetzten und handeln auf der Grundlage von Gesetzen - kein Richter darf ihre Entscheidung beeinflussen. Die Tätigkeit ist vielseitig. Rechtspfleger eröffnen Testamente, nehmen Erbscheinanträge auf, verkünden den Erben den Letzten Willen des Verstorbenen und erteilen Erbscheine. Sie richten Vormundschaften ein, informieren über die damit verbundenen Rechte und Pflichten, überwachen die Vermögensverwaltung und erteilen gerichtliche Genehmigungen. Sie nehmen Eintragungen in Grundbücher sowie in Handels-, Vereins- und Genossenschaftsregister vor. Sie führen Insolvenzverfahren selbständig durch oder erlassen Beschlüsse auf Pfändungen von Geldforderungen. Bei Staatsanwaltschaften sind Rechtspfleger unter anderem für die Strafzeitberechnung, die Ladung zum Strafantritt eines Verurteilten und den Erlass von Haftbefehlen zuständig. Ihre Entscheidungen sind weitreichend, denn sie entscheiden zum Beispiel über einen Vollstreckungsschutzantrag eines Mieters, der wegen nicht gezahlter Miete vor der Räumung seiner Wohnung steht.
Nach einer Ausbildung im Strafrecht können Rechtspfleger als Amtsanwälte tätig werden
Drei Jahre dauert die Ausbildung. Erfolgreiche Bewerber aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen absolvieren ein duales Studium an der Norddeutschen Hochschule für Rechtspflege in Hildesheim. Das besteht aus zehn Monaten Grundstudium und 14 Monaten Hauptstudium, unterbrochen von zwei Praxisphasen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften von insgesamt einem Jahr. Die Abschlussprüfung besteht aus einer Diplom-arbeit, einer mündlichen Prüfung sowie fünfstündigen Klausuren in Strafvollstreckungsrecht, Zivilprozessrecht, Vollstreckungsrecht sowie nach Wahl in drei der folgenden Schwerpunkte: Erbrecht, Immobiliensachrecht, Familienrecht, Handelsrecht und Gesellschaftsrecht.
Melanie Marhenke ist Rechtspflegerin am Oberlandesgericht Celle. "Man weiß im Studium, wofür man lernt, denn man kann die Theorie gleich in der Praxis anwenden", sagt sie. Sie hätte mit einem Abiturschnitt von 1,2 auch Jura studieren können, doch das Jurastudium war ihr zu lang und die Perspektiven danach zu ungewiss. "Die Hildesheimer Absolventen haben als Diplom-Rechtspfleger sehr gute Übernahmechancen, denn Rechtspfleger werden bedarfsgerecht ausgebildet", erklärt Marhenke. Bewerber sollten nach ihrer Überzeugung entscheidungsfreudig, kommunikativ, empathisch und unparteiisch sein, über ein gutes Textverständnis verfügen und sich schriftlich gut ausdrücken können, da sie Entscheidungen begründen müssen. Zudem müsse man sich seiner Verantwortung bewusst sein und lernen, mit menschlichen Schicksalen umzugehen.
Nach einer Zusatzausbildung im Strafrecht können Rechtspfleger als Amtsanwalt tätig werden. In dieser Funktion vertreten sie die Staatsanwaltschaft in Strafrichtersitzungen bei Amtsgerichten. Der Verband der Rechtspfleger setzt sich für mehr Kompetenzen für Rechtspfleger und für die berufsbegleitende Weiterqualifikation zum Richter ein.