Atombomben-Pläne:Vor den Nazis verborgen

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Papiere über den Bau von Atombomben lagen 65 Jahre lang in einem Londoner Archiv: Die Experimente zweier französischer Physiker sollten vor den Nationalsozialisten geheimgehalten werden.

Michael Fuhs

Auf dem roten Wachssiegel aus dem Jahr 1941 war noch das eingravierte "C" sichtbar, als Mitarbeiter der Royal Society den Umschlag in ihren riesigen Archiven fanden. Es steht für James Chadwick, einen der führenden englischen Kernphysiker, der 1932 das Neutron entdeckt hatte.

Atomtest in Nevada (1955) (Foto: Foto: AP)

In seinem Begleitbrief schrieb er über den Inhalt, es sei "nicht ratsam, den Artikel in diesem Moment zu veröffentlichen". Das war am 18. Dezember 1941. Zu dieser Zeit herrschte Krieg in Europa und das Wettrennen um die Atombombe hatte bereits begonnen.

Laut Royal Society ist der Inhalt der Umschläge brisant. Darin befanden sich Artikel mit "Instruktionen, wie man Plutonium herstellen und einen Kernreaktor bauen kann". Sie stammen von den französischen Physikern Hans von Halban und Lew Kowarski, die 1940 vor der deutschen Wehrmacht aus Frankreich nach England geflüchtet waren. Ihre Manuskripte berichten unter anderem über "die Entwicklung von Kettenreaktionen mit Deuterium in Cambridge", erklärt Keith Moore, Leiter der Bibliothek und Archive der Royal Society.

Da das ein entscheidender Baustein war, der zur Nutzung der Kernenergie noch fehlte, scheint es nicht erstaunlich, dass die Ergebnisse dem Kriegsgegner nicht durch eine wissenschaftliche Veröffentlichung in die Hände fallen sollten.

Der Kettenreaktion auf der Spur

Die Suche nach der Kettenreaktion hatte im Januar 1939 begonnen. Da berichteten die Berliner Forscher Otto Hahn und Fritz Straßmann über ihre Experimente vom Dezember 1938, in denen sie die Atomkerne von Uran gespalten hatten.

Schlagartig wurde damals der eng verwobenen, internationalen Gemeinde von Physikern klar, was das bedeutete: Die riesigen Energien, die die Atomkerne zusammen halten, könnten zur Energiegewinnung genutzt werden - oder in der Logik des heraufziehenden Kriegs zum Bau einer Bombe.

Unerlässlich ist dazu jedoch die Kettenreaktion. Stößt ein Neutron nicht zu schnell auf einen Atomkern des Urans, kann es den Nukleus spalten. Es entstehen zwei etwa gleich große Bruchstücke und zwei bis drei neue Neutronen, die im Prinzip weitere Atomkerne spalten können, immer mehr und mehr.

Im Oktober 1939 war James Chadwick noch sehr "skeptisch" gewesen, dass solch eine Kettenreaktion möglich ist, schreibt die Wissenschaftshistorikerin Margaret Gowing. Zwei Monate später änderte er seine Meinung.

Die Physiker Niels Bohr aus Kopenhagen und John Wheeler von der Princeton University hatten die theoretische Basis berechnet; die Entwicklung der Bombe wurde realistisch.

Das schwere Wasser geschmuggelt

Zu dieser Zeit veröffentlichten Physiker noch recht freizügig. 1940 hatten alle Kriegsparteien ungefähr den gleichen Wissensstand. "In der Folge starteten Deutschland, England, Frankreich, die USA und etwas verzögert auch die UdSSR Programme zur Untersuchung der Kernspaltung", erklärt Horst Kant, vom Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte.

Die Kettenreaktion scheiterte zunächst daran, dass die Neutronen zu schnell waren. Die Wissenschaft kannte zwei Substanzen, um die Kernteilchen zu bremsen. Hochreiner Kohlenstoff, der schwer erhältlich war, und so genanntes schweres Wasser, das Deuterium, also schweren Wasserstoff, enthielt. Dessen Kern birgt nicht nur ein Proton, sondern auch ein Neutron.

Die einzige europäische Fabrik für schweres Wasser stand in Norwegen. Die Deutschen hatten die Fabrik im Auge, als sie Norwegen besetzen wollten. Der französische Geheimdienst kam ihnen jedoch zuvor. Er organisierte den Transport des gelagerten schweren Wassers nach Frankreich.

Und als die beiden Autoren der nun aufgetauchten Papiere nach England kamen, hatten sie nicht nur Forschungsergebnisse aus der Gruppe des führenden französischen Kernphysikers Frederick Joliot-Curie bei sich. Sie schmuggelten auch die 26 Fässer schweres Wasser über den Kanal.

Kurz zuvor hatte England bereits das sogenannte Maud-Komitee ins Leben gerufen. Es sollte die Entwicklung einer englischen Atombombe erkunden. James Chadwick koordinierte den experimentellen Teil und hatte deshalb die Möglichkeit, die Artikel aus dem Verkehr zu ziehen.

Es war kein ungewöhnlicher Vorgang. "Ab Mitte 1940 wurden keine Ergebnisse mehr veröffentlicht, die zum Bau der Atombombe hätten benutzt werden können", sagt Horst Kant. "So wie der Stand der Forschung damals war, stand aber wahrscheinlich nichts in den Artikeln, was die deutschen Wissenschaftler nicht auch wussten."

Die Möglichkeit der Bombe führte zum Manhattan-Projekt

Hans von Halban und Lew Kowarski arbeiteten damals in Cambridge zusammen mit den englischen Kollegen an der Kernforschung. "Ihre Ergebnisse führten mit dazu, dass das Maud-Komitee 1941 sowohl Bombe als auch Kernkraftwerk für möglich hielt", sagt Keith Moore. Erst diese Einschätzung veranlasste später die amerikanischen Wissenschaftler, sich bei ihrer Regierung für den Bau der Atombombe stark zu machen.

Daraufhin wurde das Manhattan-Projekt gestartet, das im Abwurf der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki endete. "Ohne den britischen Beitrag hätte der Zweite Weltkrieg geendet - zum Guten oder zum Schlechten - bevor eine Atombombe abgeworfen wurde", kommentiert Margaret Gowing.

Weder für Hans von Halban und Lew Kowarski noch für das schwere Wasser war die Reise in Cambridge zu Ende. "Ab Herbst 1943 wurde das britische Programm in das amerikanische Manhattan-Projekt integriert", erklärt Horst Kant.

Die Wissenschaftler gingen nach Kanada, wohin auch das Wasser verschifft wurde, und entwickelten den ersten Schwerwasserreaktor. Für den Bau der Bombe war das allerdings nicht mehr entscheidend. Die Amerikaner nutzten Kohlenstoff, um Neutronen zu bremsen.

Bleibt die Frage, warum die Artikel von Hans von Halban und Lew Kowarski nach dem Krieg nicht mehr veröffentlicht wurden. Horst Kant vermutet, dass der Erkenntnisstand darüber hinweg gegangen war.

© SZ vom 9.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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