Astronomie:Reiseziel Mond

Lesezeit: 4 min

Der Reiz liegt in der Ferne, im Unbekannten. Immer tiefer haben Astronomen in den vergangenen Jahren ins Universum geblickt, ferne Planeten entdeckt und die kosmischen Echos des Urknalls abgebildet. Raumsonden haben fast jeden Winkel im Sonnensystem durchstöbert. Doch nun richten sich die Blicke der Weltraumforscher wieder fasziniert auf den erdnächsten Himmelskörper: den Mond.

Von Alexander Stirn

(SZ vom 26.09.2003) - Mehr als drei Jahrzehnte nach Neil Armstrongs historischer Landung steht der Erdtrabant wieder im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Mehrere Missionen werden in den kommenden Jahren zu dem felsigen Himmelskörper starten. Den Anfang macht in der Nacht zum kommenden Sonntag die erste europäische Mondsonde mit dem Namen Smart-1. Das kantige Flugobjekt mit nur 370 Kilogramm Masse nutzt eine bislang kaum erprobte, revolutionäre Antriebstechnik. Und einmal am Mond angekommen, wird Smart-1 dem bleichen, verkraterten Erdanhängsel so manches Geheimnis entlocken.

Wie ist der Mond entstanden? Was kann er über die Entstehung der Erde berichten? Und welche Bodenschätze warten darauf, erschlossen zu werden? Das sind Fragen, die trotz intensiver Forschung noch immer nicht geklärt sind. Sicher scheint auch, dass die Menschen in absehbarer Zeit zum Erdtrabanten zurückkehren werden. Sogar die Vision einer Stadt auf dem Mond hat inzwischen die Führungsetagen der Raumfahrtagenturen erreicht. Die Ergebnisse der Apollo-Missionen der Jahre 1969 bis 1972 sind aus heutiger Sicht unbefriedigend. Nur auf der letzten Mission, Apollo 17, war ein Wissenschaftler an Bord.

Und obwohl der Geologe Harrison Schmitt sofort erkannte, welch' interessante Geschichte die Mondoberfläche zu erzählen hätte, stoppte die Nasa das Programm. Für den deutschstämmigen Raketenforscher Heinz Hermann Koelle, der in Amerika die Apollo-Missionen vorbereitet hatte, bis heute eine fragwürdige Entscheidung: "Der Job war längst nicht zu Ende gebracht." Die wissenschaftliche Ausbeute des 100-Milliarden-Dollar-Programms waren 382 Kilogramm Mondgestein. Die jedoch seien "von unschätzbarem Wert", wie Jürgen Oberst sagt, der sich am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit der Geologie der Himmelskörper beschäftigt.

Mond war einst komplett geschmolzen

Die Analyse der Brocken hätte gezeigt, dass der Mond einst komplett geschmolzen war, dass er über einen Mantel und über eine Kruste verfügt. Auch sein Alter ließ sich bestimmen. Doch alle Proben stammen aus der Nähe des Mondäquators, auf der Seite des Trabanten, die ständig der Erde zugewandt ist.

Der Rest der Mondoberfläche, groß wie der gesamte amerikanische Kontinent, ist bis heute kaum erforscht. Merkwürdige Spiegelungen Dass dort noch Überraschungen lauern, zeigten in den 90er-Jahren zwei US-Sonden. Clementine, ein Projekt des Pentagons, fand mit dem Aitken-Becken am Südpol des Mondes den bislang größten Einschlagkrater im Sonnensystem. Und merkwürdige Spiegelungen weckten den Verdacht, auf dem Mond könnte Eis existieren. Eine Vermutung, die Lunar Prospector vier Jahre später bestätigte.

Der erste Euro-Orbiter soll nach seiner Ankunft in 16 Monaten die erste umfassende Röntgenkarte der Mondoberfläche erstellen und die Verteilung von Elementen wie Silizium, Aluminium und Eisen messen. Diese Daten sind wichtig, denn der Mond ist nicht nur ein Begleiter der Erde, sondern auch ein Verwandter: Vor 4,5 Milliarden Jahren rammte ein Asteroid von der Größe des Mars die damals noch junge, heiße Erde. Der Streifschuss schleuderte gewaltige Massen ins All, aus denen sich der Mond bildete. 700 Millionen Jahre später, auf der Erde entwickelte sich das erste Leben, war der Planet erneut einem schweren Bombardement ausgesetzt. Wind, Wetter und die sich ständig ändernde Erdkruste haben die Spuren der Einschläge jedoch ausgelöscht. Auf dem Mond hingegen blieben die Urzeit-Krater sichtbar.

"Wie ein Geschichtsbuch lehrt uns der Mond, was auf der Erde passiert ist", sagt Bernard Foing, Chefwissenschaftler der Smart-1-Mission. Die gewaltigen Asteroideneinschläge müssen sogar Splitter der jungen Erde bis auf den Mond geschleudert haben. In manchen Gegenden auf dem Mond könnte das alte Erdgestein noch zu finden sein, vermuten Theoretiker. Im Mittelpunkt künftiger Mondmissionen wird aber die Suche nach Wasser stehen.

Sollten die bis zu zwölf Kilometer tiefen, in ewiger Dunkelheit liegenden Krater an den Polen tatsächlich Eis enthalten, könnte das bemannte Flüge erheblich vereinfachen: Mit Wasser und dem im Boden reichlich vorhandenen Sauerstoff wären zwei lebenswichtige Grundstoffe auf dem Mond vorhanden. Auch andere Rohstoffe und Ressourcen wecken die Neugier. Solarenergie gibt es reichlich, genauso wie Helium-3. Die ungewöhnliche Variante des Edelgases, auf der Erde kaum anzutreffen, könnte eines Tages als Brennstoff für die Kernfusion dienen: "Mit 20 Tonnen Helium-3, der Ladung einer Mondrakete, könnte man den europäischen Energieverbrauch für ein Jahr sichern", sagt Foing.

Schüsse auf die Oberfläche All diese Aussichten haben nicht nur Europäer für den Mond begeistert. Japan will im kommenden Jahr eine eigene Mission auf den Weg bringen. Die Sonde Lunar-A soll zwei Geschosse auf die Oberfläche abfeuern. Seismographen an Bord werden die Schallwellen auffangen, die zwischen den gegenüber liegenden Einschlagspunkten durch den Mittelpunkt des Mondes dringen. Damit soll geklärt werden, ob der Himmelskörper so wie die Erde einen harten Kern besitzt. Auch Indien hat vor zwei Wochen offiziell sein Mondprogramm gestartet: Chandrayan-1 könnte im Jahr 2008 ins All abheben. Der Orbiter soll den Mond in nur 100 Kilometer Höhe umkreisen.

China als Konkurrent im Wettlauf um den Mond

Doch der wahrscheinlich wichtigste Teilnehmer beim soeben neu gestarteten Wettlauf zum Mond ist China - noch immer traumatisiert von den Rückschlägen der 60er-Jahre, als Mao den "großen Sprung nach vorn" herbeizureden suchte, und Armstrong mit einem kleinen Schritt Geschichte schrieb. 2005 will die Volksrepublik eine erste unbemannte Sonde zum Mond schießen. Details sind noch nicht bekannt, doch Foing ist sicher: "Wenn die Chinesen erst richtig loslegen, könnte alles sehr schnell gehen." Auch Deutschland will beitragen, wenn auch in kleinerem Maßstab. Das Stuttgarter Institut für Raumfahrtsysteme entwickelt derzeit einen Minisatelliten, der 2008 starten und den Mond mit Radaraugen vermessen soll.

"Wir möchten demonstrieren, dass heute eine mittelgroße Universität leisten kann, was früher ganze Nationen beschäftigte", sagt Institutschef Hans-Peter Röser. Nur aus den USA sind zurzeit kaum Mondphantasien zu hören. Stattdessen hat das dortige Außenministerium grünes Licht für die ersten kommerziellen Mond-Missionen gegeben: Im Frühjahr 2004 soll die Trailblazer-Sonde zum Erdtrabanten fliegen, dabei jede Menge Fotos und Videos schießen, die anschließend teuer verkauft werden. Mit an Bord werden auch Visitenkarten, Juwelen und die Asche Verstorbener sein - all das, was die zahlende Menschheit schon immer auf den Mond schießen wollte. "Früher oder später werden wir auch wieder bemannte Mondflüge sehen", sagt jedoch DLR-Experte Jürgen Oberst. Zuvor muss allerdings das Transportproblem gelöst werden.

Mit gegenwärtigen Raumschiffen wie dem Space Shuttle lassen sich Menschen nur in 300 Kilometer Höhe bringen - etwa zur Internationalen Raumstation. Bis zum Mond sind es aber fast 400000 Kilometer. Ein neues Mondprogramm müsste angeschoben werden. "Selbst wenn die Politik heute den Scheck dafür auf den Tisch legt, würden bis zum Bau der ersten Raumfahrzeuge noch sieben oder acht Jahre vergehen", schätzt Koelle. Erst nach 150 bis 200 Transportflügen wäre ein Mondlabor bezugsfertig. Dennoch träumt der Nasa-Veteran von einer Einweihung 2019, 50Jahre nach der ersten Mondlandung.

Auch Esa-Forscher Foing, zugleich Vorsitzender der Lunar Explorers Society, hält das für realistisch. 2015 könnte ein erstes "Roboterdorf" entstehen. Spätestens 2020 sollten sich die ersten Astronauten auf dem Mond niederlassen; 20 Jahre später könnten bereits 200 Menschen auf dem Mond wohnen, sagt Bernard Foing. Und die müssten dann testen, was bemannte Raumfahrt am meisten beschäftigt: die Wirkung eines außerirdischen Wohnorts auf den Menschen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: