Aromastoffe:Fragwürdiger Beigeschmack

Lesezeit: 4 min

Lebensmittel enthalten oft unüberschaubare Mengen von Zusatzmitteln - welche davon schädlich sind, ist ungewiss.

Wiebke Rögener

Was nach Himbeere, Braten oder Vanille schmeckt, muss nichts von diesen Zutaten enthalten. Denn billiger als mit natürlichen Rohstoffen lassen sich verführerische Aromen mit Hilfe der Chemieindustrie erreichen. Ob dies nur eine harmlose Täuschung der Sinne ist, oder Gesundheitsgefahren birgt, weiß niemand.

Sicherheitschecks für Aromastoffe wurden von einem Expertengremium der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA in Parma zwar 2000 begonnen, sind aber noch immer nicht abgeschlossen. Völlig unklar ist, wie viele dieser Substanzen europäische Verbraucher täglich schlucken.

Bis Mitte 2005 sollte die Behörde eine Positivliste unbedenklicher Aromastoffe vorlegen, so beschloss es die Europäische Kommission 1999. Inzwischen wurde der Termin auf 2007 verschoben. Die EFSA nennt methodische Probleme, aber auch unvollständige Unterlagen der Hersteller als Gründe für die Verzögerung. Eine Saumseligkeit, die sich für Aroma-Produzenten womöglich lohnt. Denn erst wenn die Liste zulässiger Aromen komplett vorliegt, dürfen alle anderen Stoffe nicht mehr verwendet werden, um Lebensmittel geschmacklich aufzupeppen.

350 Substanzen unter der Lupe

Dabei begutachtet das wissenschaftliche Gremium der EFSA für "Lebensmittelzusatzstoffe, Aromastoffe, Hilfsstoffe und Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen", kurz AFC-Panel genannt, nur 800 der etwa 2800 Aromastoffe aus der Lebensmittelindustrie. Die übrigen wurden schon früher durch Sachverständigenausschüsse der EU und der Weltgesundheitsorganisation überprüft.

Die Aromafachleute der EFSA haben bisher 350 Substanzen unter die Lupe genommen. Vier Stoffen wurde die Aufnahme in die Positivliste verweigert, etwa Pentan-2,4-dion, weil es das Erbgut schädigt.

"Es ist gut möglich, dass noch etliche weitere Substanzen von der Liste gestrichen werden", sagt Harald Hahn, Obmann der Arbeitsgruppe Aromastoffe der Gesellschaft Deutscher Chemiker. "Denn das AFC-Panel hat sich zunächst die weniger problematischen Stoffgruppen vorgenommen. Substanzen die toxikologisch bedenklicher sind, kommen erst noch dran."

Zwar stellten die EU-Experten bisher nur bei wenigen Aromastoffen ungesunde Wirkungen fest. "Diese dürfen schon jetzt nicht mehr für die Aromatisierung von Lebensmitteln verwendet werden", erklärt der deutsche Vertreter im AFC-Panel, der Lebensmittelchemiker Karl-Heinz Engel von der TU München.

In elf weiteren Fällen konnte das Gremium das Risiko nicht bewerten, weil die Hersteller keine ausreichenden Daten zur Giftigkeit ihrer Produkte vorgelegt haben. Sie bleiben vorerst weiter erlaubt.

Grenzwerte weit überschritten

Vor allem ist für einen großen Teil der Aromastoffe unklar, welche Mengen Verbraucher täglich zu sich nehmen. Eventuelle Gefahren lassen sich kaum abschätzen. Für etliche Substanzen fordern Experten daher genauere Angaben über Verzehrmengen. "Erst wenn dazu Daten vorliegen, werden wir über diese Stoffe entscheiden", erläutert Hahn. Solange dürfen auch diese Aromen faden Speisen Geschmack verleihen.

Für ihre Bewertung haben die Fachleute der EFSA die vielen Stoffe, die Duft und Wohlgeschmack verleihen, in drei Gruppen eingeteilt. Gruppe I gilt als so unbedenklich, dass jeder bis zu 1800 Mikrogramm pro Tag schlucken darf. In der Gruppe II dürfen es höchstens 540 Mikrogramm sein, für Stoffe der Gruppe III sind 90 Mikrogramm das Limit.

Wahrscheinlich werden die Grenzen häufig überschritten. Zwei Verfahren, die Gutachter für die Schätzung des alltäglichen Aromakonsums einsetzen, kommen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen, die manchmal um das 100000fache auseinander liegen. Die eine Methode heißt MSDI (Maximised Survey Derived Daily Intake). Hier wird die Jahresproduktion des jeweiligen Aromastoffs, die von den Herstellern genannt wird, durch die Zahl der Konsumenten in Europa geteilt.

Fachleute bezweifeln jedoch, dass die Schätzungen realistisch sind. So bemängelten Ernährungswissenschaftler, dass nie geprüft wurde, ob die Produktionsmengen stimmen und auf wie viele Konsumenten sich der Stoff tatsächlich verteilt (Food and Chemical Toxicology, Bd.43, S.105, 2005).

Auch nach Meinung der EFSA-Experten unterschätzt die MSDI-Methode den Verzehr vieler Stoffe beträchtlich. Sie errechneten daher, wie viele Aromastoffe verschiedenen Lebensmitteln zugesetzt sind und wie viel ein Verbraucher täglich maximal isst und trinkt. Nach diesem TAMDI-Verfahren (Theoretical Added Maximum Daily Intake) kommt das AFC-Panel zu weit höheren, oft besorgniserregenden Aufnahmemengen.

Das Ausmaß der Unsicherheit wird bei 53 Aromastoffen deutlich, für die die Gutachter der EFSA im Dezember 2005 Empfehlungen vorlegten. Drei schädigen möglicherweise das Erbgut und wurden von der weiteren Bewertung ausgeschlossen, bis die Hersteller dazu Testergebnisse vorlegen. Die übrigen Stoffe liegen zwar nach dem MSDI-Verfahren weit unter der Grenze, bei der die Gesundheit gefährdet wäre.

Rechneten die Experten aber nach dem TAMDI-Verfahren, fanden sie 31 Stoffe, die Grenzwerte überschritten. So nehmen Verbraucher zwar laut MSDI täglich nur 0,011 Mikrogramm Methyl-Vanillat zu sich, nicht mal ein Hunderttausendstel dessen, was noch als ungefährlich gilt. Laut TAMDI aber sind es täglich 3700 Mikrogramm, und damit gut das Doppelte des Schwellenwerts von 1800 Milligramm.

Für Piperonylalkohol sind mehr als 90Mikrogramm bedenklich. Kein Problem, so lange nach MSDI gerechnet wird - kommt man doch nur auf eine Tagesdosis von etwa einem hunderstel Mikrogramm. Gemäß TAMDI kann es aber 300000mal so viel, und damit das Vierzigfache der unbedenklichen Menge sein. Einen Grund für die Widersprüche kann die Lebensmittelbehörde nicht nennen. "EFSA ist für die Bewertung der Aromastoffe zuständig. Die Erhebung von Daten wie den Produktionsmengen, liegt nicht in ihrem Aufgabenbereich", erklärt EFSA-Sprecherin Carola Sondermann.

Pfirsicharoma aus Schimmelpilz

Wer nur Produkte mit "natürlichen" oder "naturidentischen" Aromen kauft, ist nicht auf der sicheren Seite. Ohnehin werden in Europa nur 15 künstliche Aromen verwendet. Doch "naturidentische" Aromastoffe stammen auch aus dem Labor, haben aber ein Vorbild in der Natur - etwa das Vanillin, synthetischer Nachbau eines Stoffs der Vanilleschote. Natürliche Aromen müssen hingegen aus natürlichen Rohstoffen gewonnen werden. Auch das heißt nicht, dass Himbeeraroma im Joghurt aus den Beeren stammt. Oft wird es aus Zedernholz extrahiert, auch ein Naturprodukt. Andere "natürliche" Aromastoffe werden von Bakterien oder Pilzen produziert. So kann Fleischgeschmack aus Hefe stammen, Pfirsicharoma aus Schimmelpilzen.

Näher gekennzeichnet werden müssen solche Stoffe nicht - so steht auf Joghurtbecher oder Fertiggericht meist nur "Aroma" auf der Zutatenliste. Auch garantiert natürliche Herkunft keine Harmlosigkeit: Zu den Aromastoffen, die wegen Krebs erregender Wirkung aus der Liste gestrichen wurden, gehören Methyleugenol und Estragol - Bestandteile von Basilikum, Lorbeer und Estragon und in vielen Kräutertees enthalten. Verboten ist es, die Stoffe zuzusetzen und so den Konsum weiter zu erhöhen. Tees und Kräuter dürfen verkauft werden.

© SZ vom 1. Februar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: