Archäologie:Die Wiege des Teufels

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100 Jahre Deutsches Archäologisches Institut in Kairo: Ein Besuch auf der Insel, Elephantine, wo das antike Ägypten dem modernen verblüffend ähnelt.

Heiko Flottau

Die Realität des Alltags ist oft gnadenlos - auch in Momenten, die als die schönsten des Lebens gelten wie etwa eine Hochzeit. Diese eher triste Einsicht hat über Jahrtausende ihre Gültigkeit bewahrt.

Auf Elephantine wünschten sich die Nachbarn in der Antike böse Geister auf den Hals. Das Bild zeigt den Hathorpfeiler mit dem Gesicht der Göttin Hathor in einem Tempel der Satet auf Elephantine (18. Dynastie, um 1475 v. Chr.) (Foto: Foto: DAI)

Eher in nüchternem Ton bezeugt ein Mann auf einer seiner Braut übergebenen Papyrusrolle dreieinhalb Jahrhunderte v. Chr.: "Ich habe dich zur Frau genommen" und beschreibt sogleich ohne Umschweife die geschäftliche Seite der Beziehung: "Sollte ich Dich verstoßen oder solltest Du mich verlassen, so sollst Du wieder bekommen, was Du gebracht hast. Ich kann nicht behaupten, dass ich Dir alles Eigentum zurückgegeben habe, solange diese Rolle in Deiner Hand ist."

Ein Ehevertrag mit der Regelung über die mögliche Rückgabe der Mitgift, geschrieben in demotischer Schrift, einer damals in Ägypten gebräuchlichen Verständigungsweise, abgefasst auf der Nilinsel Elephantine bei Assuan vor mehr als 2300 Jahren: Alltagsleben in der Antike - das ist es, wonach hier das "Deutsche Archäologische Institut" (DAI) Kairo seit fast vier Jahrzehnten, seit 1969 forscht - zusammen mit dem "Schweizerischen Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde" in Kairo.

Anlass und Grund, diese geduldige und bewundernswerte archäologische Langzeitleistung zu würdigen, ist das hundertjährige Jubiläum, welches das DAI Kairo an diesem Wochenende feiert.

Als Professor Werner Kaiser, damals Leiter des Instituts, entschied, Elephantine zu einem Dauerprojekt und damit zu einem Aushängeschild des DAI Kairo zu machen, war das für eine auf vergoldete Mumien, imposante Tempelbauten und monumentale Statuen fixierte Öffentlichkeit nicht sehr verständlich.

Erforschung des Alltagslebens

Kaiser versucht nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Ägyptologie: Er wollte das Alltagsleben jener Menschen erforschen, die in Geschichtsschreibung und Archäologie oft schon deshalb zu kurz kommen, weil sie kaum Spuren und Zeugnisse hinterlassen haben - weder schriftliche noch archäologische. Ein schwieriges Unterfangen.

Zwar sind die Kult- und Grabbauten der Pharaonen aus massivem Stein ausgeführt. Doch das Material für die unspektakulären Behausungen der Menschen waren Ziegel aus Nilschlamm. Bauten aus solch witterungsanfälligem Material sind durch Regen, die jährliche Nilflut und Wind einem langsamen Zerfall ausgesetzt. Elephantine aber liegt so hoch, dass auch die Nilflut seine Bauten nicht völlig überschwemmen konnte. Zudem ist Elephantine vom modernen Assuan nicht überbaut, und Regen gibt es hier so gut wie nie.

Für die Ägypter, die sich bis auf den heutigen Tag nicht als Teil Afrikas begreifen, war Elephantine die Schnittstelle zu Afrika und zum stets verachteten, südlich gelegenen Nubien. Elephantine war zudem ein wichtiger Militärposten, gerichtet gegen das "elende Kusch", wie Nubien genannt wurde. Es war der letzte Handelsposten, an dem Waren vom Mittelmeer nach Afrika umgeschlagen werden. Vor allem aber beginnt hier für die Ägypter - im mythologischen Sinne - ihre Lebensader, der Nil, denn der geographische Ursprung des Nils interessierte wenig.

Was also verbergen die Besiedlungsschichten aus mehreren Jahrtausenden, die auf dem nur 250 mal 250 Meter großen Areal von Süd-Elephantine in fast vier Jahrzehnten mit höchster Sorgfalt freigelegt wurden ? Die Antwort lautet: Wissen. "Wir graben nicht in erster Linie nach Schätzen", sagt Günter Dreyer, Leiter des DAI in Kairo, "sondern wir graben nach Wissen." Das ist ganz im Sinne von Ludwig Borchardt, einem in kaiserlichen Regierungsdiensten stehenden deutschen Architekten, der 1896 den offiziellen Auftrag erhielt, den von der britischen Kolonialmacht begonnenen Bau des ersten Staudammes bei Assuan zu beobachten.

"Graben nach Wissen"

Die Briten wollten die Anbauflächen vergrößern - vor allem für Baumwolle, die daheim zu kostbaren Textilien verarbeitet wurde. Borchardt aber interessierte sich bald mehr für Ägyptologie. 1907 gründete er das DAI Kairo, das erst Jahre danach dem schon 1829 entstandenen, in Berlin ansässigen DAI mit seinen vielen Außenstellen angegliedert wurde. Nach seiner Pensionierung gründete Borchardt ein eigenes Institut, aus dem später das heutige "Schweizerische Institut" hervorging. Auch begann Borchardt zusammen mit dem französischen Ägyptologen Gaston Maspero die Herausgabe jenes Kataloges, der alle im Ägyptischen Museum gesammelten Funde auflistet. Bis heute.

Das "Graben nach Wissen" hat für das DAI in Ägypten Tradition. In Buto, einer Stadt im Delta, fand man Besiedlungsspuren, welche auf das vierte Jahrtausend v.Chr. zurückgehen. Das DAI gräbt in Maadi bei Kairo, in der Oase Siwa, in Sakkara, in Luxor, in Abu Mena. In Abydos, etwa 100 Kilometer nördlich von Luxor, fand Dreyer Beweise dafür, dass die erste phonetische Schrift nicht, wie bis dato angenommen, aus Mesopotamien stammt, sondern aus Ägypten.

Doch das Aushängeschild bleibt Elephantine. Hier haben in den letzten knapp vier Jahrzehnten insgesamt 400 Menschen aus siebzehn Nationen gearbeitet - Ägyptologen, Architekten, Prähistoriker, Botaniker. Internationalität war stets ein Merkmal auf Elephantine. Dietrich Raue, ein Deutscher, ist derzeit Grabungsleiter auf Elephantine, Philip Speiser, ein Schweizer Denkmalspfleger von der Technischen Universität Berlin, restauriert in Assuan mit dem DAI den mittelalterlichen Friedhof.

Cornelius von Pilgrim, ein Deutscher, ist Leiter des "Schweizerischen Instituts". Zusammen mit dem DAI wird er die nächsten Jahre die Grabungen auf Elephantine weiterführen. Und wenn bei Bauarbeiten im Stadtgebiet von Assuan antike Funde vermutet werden, wird Pilgrim gerufen, um die antike Substanz zu erforschen, zu dokumentieren und, soweit möglich, dem Publikum zugänglich zu machen.

Verwünschungen vor der Tür des Nachbarn

Die ägyptische Antikenbehörde achtet immer mehr darauf, dass die Forschungsergebnisse besichtigt werden können. Und schon Werner Kaiser hatte es sich zum Ziel gesetzt, einst der Öffentlichkeit die Ergebnisse der Grabungen zu präsentieren. So ließ das DAI auf Elephantine ein kleines Museum errichten. Hier kann man den erwähnten Ehevertrag besichtigen.

Und hier findet sich auch eine handgroße, aus Lehm geformte Figurine aus dem dritten Jahrtausend v. Chr. Darauf steht so viel wie "Jeder Tote - jeder Geist". Das Werkchen wurde von einem Manne verfasst, der möglicherweise seinem Nachbarn wegen eines Streits übel wollte. Man legte solche Verwünschungen vor die Tür des Nachbarn, auf dass die bösen Götter und Geister diesen heimsuchten - Alltag damals, Alltag heute.

Überhaupt erinnert vieles im alten Elephantine an das Leben im heutigen Ägypten. Wohn- und Werkstätten liegen unter einem Dach. Die Häuser ähneln in der Größe jenen von heute - wie man nebenan im dicht besiedelten Dorf Elephantine feststellen kann. Dort liegen die Türschwellen manchmal bis zu einem Meter unter dem Straßenniveau - wie im antiken Elephantine. Durch die Erosion der Nilschlammhäuser entstand Staub, der niemals vollständig beseitigt werden konnte. So hob sich das Straßenniveau in Elephantine - damals wie heute - pro Jahr etwa um eineinhalb Zentimeter.

Im alten Elephantine gab es Führer von militärischen Expeditionen wie jenen, der stolz schrieb, er habe in Nubien "Holz für Schiffe" besorgt. Das heißt nichts anderes, als dass er die verachteten Nubier überfallen hatte und in Nubien kostbare Akazienhölzer für den ägyptischen Schiffsbau requiriert hatte. Einen Krieg um strategisch wichtige Ressourcen würde man einen solchen Feldzug heute nennen.

Von Ziegeln und Ziegen

Man hat in Elephantine eine jahrhundertelang funktionierende Großbäckerei gefunden. Vielleicht war es auch eine zentrale Küche für die dortige Garnison. Die persischen Herrscher Ägyptens stationierten auf der Insel im fünften Jahrhundert v. Chr. ein aramäisch sprechendes Militärkontingent - unter den Söldnern waren auch Juden aus Palästina. Man fand einen Gebäudekomplex aus der Regierungszeit des Pharaos Djoser (3. Dynastie, 2700 v.Chr.) mit Verwaltungskomplex und Wohngebäuden.

Man entdeckte Anhaltspunkte dafür, dass bei schwächer werdenden Königtum die alte lokale Klientelgesellschaft erstarkte, und dass lokale Führer wie Heqaib im späten dritten Jahrtausend v. Chr. nach ihrem Tod weiter verehrt wurden. Lange wunderte man sich, warum in die kleinen Mauern, welche die Straßen begrenzten, oft lange Kerben in die Schlammziegel eingeritzt waren. Des Rätsels Lösung fand man im neuen Elephantine. Ziegen laufen im Schatten der Mauern und ritzen mit ihren Hörnern die Schlammziegel auf - heute wie vor ein paar tausend Jahren.

So setzten die Ägyptologen Mosaikstein um Mosaikstein zusammen, bis aus einem Puzzle schließlich ein einigermaßen zusammenhängendes Bild wurde. Das Ergebnis: Der starke ägyptische Zentralstaat existiert heute wie damals, die Menschen waren diesem Zentralstaat untertan, lebten ärmlich, aber vermutlich genügsam, versuchten - wie die im Museum ausgestellten Dokumente des Ehevertrages und der Verwünschung des Nachbarn zeigen - ihren Alltag so gut wie möglich zu bewältigen.

Wenn es im kleinen Kosmos Elephantine ein Mann zu Wohlstand und Ansehen (beim Pharao) gebracht hatte, so kaufte er sich zuweilen, wie ein schriftliches Zeugnis aus dem späten dritten Jahrtausend beweist, ein Stück Land auf der Insel oder am Westufer und baute ein Haus.

Die Herrschaft aber übte allein der Pharao aus. Im Gegensatz zu heute jedoch glaubten die Menschen diesen Pharao im Besitz göttlicher Kräfte und Weihen. Auf Papyri und Tonscherben fand man Inschriften in hieroglyphischer, in hieratischer und demotischer Schrift, auf Aramäisch, Griechisch, Koptisch, Latein, Arabisch - ein weiterer Beweis dafür, dass das strategisch wichtige Stückchen Erde seit etwa 3300 v.Chr. ununterbrochen besiedelt ist.

Der Monotheismus entstand am Nil

Freilich, Ägypten ist nicht nur Elephantine. Was also hat die mit Napoleons ägyptischer Expedition 1798 entstandene Wissenschaft der Ägyptologie, was hat das "Graben nach Wissen" gebracht? Im alten Ägypten, sagt Dreyer, habe man es mit dem ersten zentral verwalteten Staat zu tun. "Bis heute ist die Entwicklung nicht wesentlich darüber hinaus gekommen", fügt er hinzu.

Auch lägen viele für die Entwicklung der monotheistischen Religionen wichtige Quellen im alten Ägypten: Pharao Echnaton habe im 14. Jahrhundert v. Chr. das Prinzip des Monotheismus geschaffen. Auch die Idee der sogenannten "unbefleckten Empfängnis" stamme ursprünglich aus Ägypten.

Denn im Mythos der Ägypter sei es der Gott Amun gewesen, der stets der jeweiligen Königin "beigewohnt" und den Nachfolger gezeugt habe, so Dreyer. Ebenso sei - der Totenkult zeige dies - die Vorstellung des ewigen Lebens und der Auferstehung ur-ägyptisch.

Man könnte sogar noch weiter gehen als Günter Dreyer dies tun will und fragen, ob nicht auch das Prinzip der christlichen Dreieinigkeit gewisse Vorbilder im alten Ägypten hat. Denn nach dem Scheitern der religiösen Revolution des Echnaton kehrten die Ägypter nicht mehr zur Verehrung von vielerlei Göttern zurück.

Vielmehr schuf man eine sogenannte "Reichstriade". Drei Hauptgötter wurden verehrt: Amun, Re und Ptach, schließlich der schon im dritten Jahrtausend v. Chr. verehrte Gott Seth. Er galt als Gegenkraft zur Ordnung, er symbolisierte Gewalt, welche nicht rechtmäßig legitimiert war, oft stand er für das Übel an sich. Diese Vorstellungen könnten, sagen manche Ägyptologen, die Ursprünge des späteren Teufelsbegriffes sein.

Hat man all diese Parallelen im Sinn, dann überrascht es eigentlich nicht, wenn Dreyer vorsichtig eine weitergehende, These aufstellt - jene nämlich, dass ohne das alte Ägypten Judentum, Christentum und Islam nicht recht vorstellbar seien. Das "Graben nach Wissen", welches die Ägyptologen des DAI und des Schweizerischen Institutes postulieren, hat erstaunliche Ergebnisse gezeitigt.

© SZ vom 16.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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