Aids-Therapie:Pillen ohne Pause

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Eine erste Studie zum Nutzen von Therapiepausen hat ein überraschendes Ergebnis erbracht: Unterbrechungen sind schädlich für den Patienten.

Hanno Charisus

Wenn medizinische Studien vor ihrem geplanten Ende abgebrochen werden, ist immer etwas passiert, mit dem niemand gerechnet hat - ein Schutzmechanismus, der Probanden vor schlimmen Folgen bewahren soll.

Die morgendliche Medikamentendosis eines HIV-Patienten. (Foto: Foto: dpa)

Manchmal sind die Ergebnisse aber auch so eindeutig positiv, dass die Wissenschaftler mit ihren Ergebnissen schnell an die Öffentlichkeit wollen, damit die Patienten rasch profitieren.

Die Ergebnisse der SMART-Studie (Strategien für das Management von anti-retroviralen Therapien) erachteten die führenden Wissenschaftler hinter diesem internationalen HIV-Forschungsgroßprojekt als so wichtig, dass sie nicht einmal warteten, bis sie die angepeilte Probandenzahl von 6000 beisammen hatten.

Schon 500 Patienten vor dem Ziel und etliche Monate vor offiziellem Studien-Ende war klar, dass Menschen mit HIV-Infektion, die eine medikamentöse Behandlung benötigen, die Therapie nicht unterbrechen, sondern lebenslang fortsetzen sollten (New England Journal of Medicine, Bd. 355, S. 2283, 2006).

Wegen der zum Teil schweren Nebenwirkungen der Aids-Medikamente wird seit einigen Jahren diskutiert, ob systematische Therapiepausen das Leiden nicht lindern könnten. "Genau das Gegenteil ist der Fall", sagt Gerd Fätkenheuer vom Universitätsklinikum Köln, Leiter des deutschen Teils der Studie mit 215 Patienten und Koautor der Veröffentlichung: "Patienten mit Therapieunterbrechungen hatten ein größeres Risiko, Krankheiten zu erleiden, die nicht direkt mit der HIV-Infektion zusammenhängen."

Auch das Risiko, in Folge der Infektion zu sterben, sei für Patienten mit Therapiepausen höher gewesen. Fätkenheuer: "Die Effekte sind viel größer, als wir es erwartet hatten."

Laut Fätkenheuer leite dieses Ergebnis einen grundlegenden Strategiewechsel in der Therapie ein. Norbert Brockmeyer vom Klinikum der Universität Bochum, Sprecher des Kompetenznetzes HIV/Aids und seit jeher skeptisch gegenüber Therapiepausen, ist überrascht von den so "deutlich ungünstigen Auswirkungen" der Unterbrechungen.

Weltweit größte Patientenzahl

SMART ist nicht die erste Studie, die den Nutzen von Therapiepausen untersucht hat, aber die bislang größte, die zu HIV/Aids je durchgeführt wurde. Hält man die Ergebnisse der drei anderen Untersuchungen daneben, steht es Unentschieden in der Frage: "Pause oder nicht?" "Allerdings hat SMART die bei weitem größte Patientenzahl untersucht", sagt der Aids-Experte Keikawus Arastéh vom Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass über die Strategie der Aids-Behandlung diskutiert wird: Welche Medikamentenkombination ist die beste? Wann muss man sie wechseln? Und zu welchem Zeitpunkt soll man überhaupt mit der belastenden Behandlung beginnen?

Darauf gebe auch SMART keine klaren Antworten, sagt Arastéh. "Die Leitsätze ändern sich etwa alle zwei Jahre", kaum ein anderes medizinisches Feld entwickele sich derart dynamisch. Viele Ärzte haben Probleme damit, ihr therapeutisches Wissen auf dem aktuellen Stand zu halten, sie sind zu Experten auf Zeit geworden.

Einigkeit besteht immerhin darin, dass eine HIV-Infektion mit der "hochaktiven anti-retroviralen Therapie" (HAART) behandelt werden sollte, sobald sich körperliche Symptome zeigen. Doch knifflig wird es, wenn der Patient gar keine Beschwerden hat.

Normalerweise fällt dann die Entscheidung aufgrund der im Labor gemessenen Zahl der so genannten T-Helferzellen, die für die Immunabwehr unerlässlich sind, von den HI-Viren jedoch im Verlauf der Krankheit zerstört werden. Unumstritten ist, die Behandlung bei einer Helferzellzahl von weniger als 200 pro Mikroliter Blut zu beginnen.

Bei Gesunden finden sich normalerweise 800 bis 1200 dieser Zellen in dem Stecknadelkopf-großen Blutstropfen. Die SMART-Studie hat nun gezeigt, dass insbesondere Infizierte mit noch relativ hohen Zellzahlen von einer frühzeitigen Therpaie profitieren.

Medikamente heute besser verträglich

"Als nächstes sollten wir klären, ob die Empfehlungen für den Therapiebeginn nicht auf mindestens 350 Helferzellen angehoben werden sollten", sagt Fätkenheuer. Das wäre auch unter dem Gesichtspunkt der Vorbeugung sinnvoll, sagt Norbert Brockmann. Die Medikamente reduzieren auch die Zahl der Viren im Blut - manchmal bis unter die Nachweisgrenze - und damit "vielleicht sogar die Ansteckungsgefahr".

Sollte sich das bewahrheiten, könnte die Zahl der Neuinfektionen sinken. Nach der alljährlichen Erhebung des Robert Koch-Instituts in Berlin anlässlich des Weltaidstages am 1. Dezember, leben derzeit etwa 56 000 Menschen mit einer HIV-Infektion in Deutschland.

Geschätzte 2700 von ihnen haben sich in diesem Jahr infiziert, ähnlich viele wie im Vorjahr, aber rund 50 Prozent mehr als in den Jahren 1999 bis 2001.

Dank neuer Wirkstoffe mit weniger schweren Nebenwirkungen ist die langfristige Gabe von antiviralen Medikamenten heute weitaus besser verträglich als noch vor zwei oder drei Jahren.

Zu Beginn der HAART-Ära Mitte der 1990er-Jahre musste ein Patient noch mindestens 22 Tabletten minutiös verteilt auf den Tag schlucken. Heute genügen zwei bis drei, "in Amerika gibt es sogar Präparate, die alle drei notwendigen Wirkstoffe in einer Tablette vereinen", sagt Fätkenheuer. In vielleicht einem Jahr könnte sie auch für den deutschen Markt zugelassen sein.

© SZ vom 30.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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