Aids-Medikamente:Die Bedrohung bleibt

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Die Ausbreitung von Aids hat sich verlangsamt. Doch nur ein Fünftel aller HIV-Infizierten kommt an Medikamente.

Werner Bartens

Die gute Nachricht zuerst: Die Ausbreitung der Immunschwächekrankheit Aids hat sich im vergangenen Jahr offenbar verlangsamt. Die schlechte Nachricht: Noch immer steht viel zu wenig Geld im Kampf gegen Aids zur Verfügung. Noch immer fehlen in Risikogebieten Kondome und Medikamente, die die Krankheit hinauszögern oder die Übertragung während der Schwangerschaft verhindern können.

Eine HIV-Infizierte auf den Philippinen mit dem Aids-Sybmol (Foto: Foto:)

Und noch immer wissen mehr als die Hälfte der weltweit fast 40 Millionen Infizierten nichts von ihrer Erkrankung. "Trotz einiger bemerkenswerter Fortschritte ist die Antwort auf die Aids-Epidemie bislang nirgends auch nur annähernd angemessen", heißt es in dem soeben veröffentlichen zehnten Jahresbericht der Vereinten Nationen. Am gestrigen Mittwoch begann in New York eine dreitägige UN-Konferenz zur globalen Bedrohung durch Aids, um die neuen Zahlen und notwendige Hilfsmaßnahmen zu diskutieren.

2005 haben sich nach neuesten Erhebungen der Vereinten Nationen 4,1 Millionen Menschen mit HIV infiziert, davon 3,2 Millionen in Afrika südlich der Sahara. 2004 hatte es noch 4,9 Millionen neue Infektionen gegeben. Von 2004 bis 2005 ging auch die Zahl der Todesopfer durch Aids von 3,1 auf 2,8 Millionen etwas zurück; 2,4 Millionen Menschen davon starben im südlichen Afrika.

Peter Piot, Direktor des Aidsbekämpfungsprogramms der UN, berichtete zu Beginn der Konferenz von ersten Erfolgen, die Aufklärung und Vorbeugung in Thailand und Indien, aber auch in Kenia und Simbabwe bewirkt hätten. "Mehr Kondome, späterer Sex und weniger Partner", seien laut Piot die Erklärung für niedrigere Infektionsraten in diesen Ländern.

An der erworbenen Immunschwäche, die einst in der Mehrzahl homosexuelle Männer betraf, leiden immer mehr Frauen. "Aids hat ein weibliches Gesicht", sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan zum Auftakt der Tagung. Denn mehr als 50 Prozent der Aids-Kranken sind Frauen.

"Solange Frauen keine Mitsprache über ihr sexuelles Leben haben, wird die Aids-Epidemie bestehen bleiben", sagte Peter Piot. Gewalt gegen Frauen, sowie Männer, die mit mehreren Partnerinnen Geschlechtsverkehr haben, aber keine Kondome benutzen, würden dazu beitragen, dass sich die Seuche immer weiter unter Frauen ausbreitet.

Auch in den Bereichen, in denen effektive Hilfe möglich ist, wird laut UN-Bericht noch viel zu wenig getan. So gibt es seit mehreren Jahren Medikamente, die verhindern können, dass eine mit HIV infizierte Schwangere das gefährliche Virus an ihr Kind weitergibt.

2001 hatte die UN das Ziel ausgegeben, 80 Prozent aller infizierten Schwangeren bis zum Jahr 2005 mit den entsprechenden Arzneimitteln zu versorgen. Bisher sind aber gemäß neuesten Erhebungen nur neun Prozent dieser Schwangeren mit den Mitteln versorgt worden, die ihr Kind retten könnten.

Von allen HIV-Infizierten und Aids-Kranken weltweit hat nur ein Fünftel Zugang zu Medikamenten, die ihre Beschwerden lindern oder den Ausbruch der Erkrankung hinauszögern könnten. Besonders vernachlässigt werden die Kinder; nur etwa fünf Prozent der Infizierten bekommen die Arzneimittel, die sie bräuchten.

Peter Piot und seine Kollegen schätzen den jährlichen Finanzbedarf zur wirksameren Bekämpfung der Aids-Epidemie auf knapp 15 Milliarden Dollar. Für das Jahr 2006 stünden aber nur 8,3 Milliarden Dollar zur Verfügung.

Die reicheren Länder seien zurückhaltender mit Finanzhilfen zur Bekämpfung und Erforschung der Krankheit, seit Aids in den Industrienationen nicht mehr einem sofortigen Todesurteil gleichkommt, sondern eher zu einem chronischen Leiden geworden ist. "Bei der Erstellung des Berichts hielten sich die entwickelten Länder schon sehr zurück", sagte Piot. "Vielleicht denken sie, auch die Konferenz sei nur etwas für die Armen."

Dabei ist Entwarnung keineswegs angebracht: Obwohl Erfolge im Kampf gegen Aids zu verzeichnen sind, tauchen im UN-Bericht dramatische Prognosen auf. Seit der erstmaligen Beschreibung der Krankheit vor 25 Jahren sind etwa 25Millionen Menschen an Aids gestorben, 65 Millionen wurden infiziert.

Doch damit hat die Seuche noch nicht ihren größten Tribut gefordert. Laut UN-Bericht werden sich in den kommenden zehn Jahren 88 Millionen Menschen mit HIV anstecken.

© SZ vom 1.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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