25 Jahre HIV:"Verzichten Sie auf Sex!"

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Sexverbot, Zwangstests und Lager für Infizierte - Anfang der achtziger Jahre bricht eine Hysterie um eine bislang unbekannte Krankheit aus. Und manche Politiker wie Peter Gauweiler schüren Vorurteile gegen die Patienten.

Birgit Taffertshofer

"Es gibt einen einfachen Weg, Aids vorzubeugen. Verzichten Sie auf Sex!", hieß es in den panischen achtziger Jahren in einer Anzeige des U.S. Centers for Disease, Control and Prevention.

Die Lösungsstrategien waren in den Anfängen der Krankheit nicht selten so schlicht, was nicht nur in den USA einen idealen Nährboden für Hysterie und Verschwörungstheorien bot.

Panik vor der "Schwulen-Seuche"

Die Verunsicherung in Deutschland war so groß wie die Gerüchte um die Ansteckungsmöglichkeiten vielfältig.

"Aids - Eine Epidemie, die erst beginnt", kündigte zum Beispiel am 6. Juni 1983 der Spiegel eine apokalyptische Titelgeschichte an.

Aids galt als "Schwulenkrebs", "Sex-Seuche", "Schwarze Pest". Wilde Spekulationen über den Ursprung der Krankheit füllten die Zeitungen: "Abwehrschwäche durch Hasch?" fragt der Spiegel im Mai 1982, "Aids ein Impfschaden?" die Süddeutsche Zeitung wenig später.

Die britische Ärztezeitschrift Lancet glaubte im Tod einer kanadischen Nonne, die in Haiti gelebt hatte, einen Hinweis auf den Krankheitsursprung gefunden zu haben.

Seuchen-Sheriff Gauweiler schlägt zu

Andere wie zum Beispiel Peter Gauweiler suchten den Virenherd im eigenen Land.

Für den damaligen Münchner Kreisverwaltungsreferenten war Aids nichts als die Konsequenz einer jahrelangen, öffentlich geduldeten, gesellschaftlichen Verwahrlosung, von sexueller Kommerzialisierung, Prostitution, Straßenkriminalität und Drogenhandel.

Niemand in Deutschland legte die neu geschaffenen Aids-Paragraphen des Bundesseuchengesetzes so hart aus wie der spätere Staatssekretär im bayerischen Innenministerium. In seinem "Maßnahmenkatalog" galten Schwule pauschal als ansteckungsverdächtig.

Gauweiler dachte über Lager für Aids-Kranke nach, forderte die Einführung einer Meldepflicht und die Zwangstestung von Homosexuellen. In deren Clubs sollte ab sofort helles Licht brennen, um keine "Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr" zu bieten.

Schutz gegen menschliche "Aids-Bomben"

Besorgte Bürger riefen damals bei Beratungsstellen an, weil sie nicht wussten, ob sie sich anstecken können, wenn sie aus einem fremden Glas trinken.

In München begleiteten Polizisten eine Demonstration der Homosexuellen mit Schutzhandschuhen aus Gummi, um sich vor Aids zu schützen.

Schwule mussten sich als "Aids-Bomben" und "Virusschleudern" beschimpfen lassen. Es gehörte viel Mut dazu, in dieser Zeit etwa zum Christopher Street Day zu gehen.

Aufklärung tut Not

Das Feindbild Gauweiler schweißte die Homosexuellen-Bewegung aber auch zusammen. Der CSD entwickelte sich allmählich zur schwul-lesbischen Großdemonstration gegen Diskriminierung.

Gauweilers Gegenspielerin war Rita Süssmuth, die von 1985 bis 1988 als CDU-Gesundheitsministerin die bundesweite Aids-Politik bestimmte.

Eine nationale Aufklärungskampagne tat Not, schließlich mussste sie nicht nur der Hysterie einiger Kollegen begegnen, sondern auch düsteren Prophezeiungen von Epidemiologen.

Prominente Aids-Kranke schaffen Bewusstsein

Erst durch die Todesfälle einiger prominenter Künstler gelangte langsam ins Bewusstsein der Normalbürger, dass Aids nicht nur die Krankheit der "Anderen" war.

Als der offenbar bisexuelle Hollywood-Schauspieler und Frauenliebling Rock Hudson im Sommer 1985 erstmals über seine Erkrankung sprach, war die Bestürzung groß. Doch die amerikanische Öffentlichkeit reagierte mit einer Sympathiekundgebung, wie es sie bis dahin für HIV-Infizierte nicht gegeben hatte.

Anfang der Neunziger war das Thema Aids schließlich überall in den Industriestaaten präsent, Leute von Hilfsorganisationen standen in den deutschen Fußgängerzonen, in der Kneipe wurde darüber geredet, in den öffentlichen Toiletten hingen Plakate und Kondom-Automaten.

Tödliche Ignoranz

Im Rückblick kann wohl kaum jemand mehr sagen, wann genau die große Furcht vor dem Virus wich. Mitte der Neunziger? Als das Thema aus den Medien verschwand, weil die Zahl der Toten abnahm?

Oder Ende der Neunziger, als die Medikamente so gut wurden, dass manche schon hoffnungsvoll von Heilung sprachen?

Irgendwann verschwand die Angst in Europa und den USA - wurde zu einem Gespenst einer anderen Zeit. Denn die Katastrophe, die viele befürchtet oder gar beschworen hatten, war nicht eingetreten.

Ein Grund zur Entwarnung ist das jedoch nicht. Denn mit der Sorglosigkeit der vergangenen Jahre ist die Anzahl der Neuinfektionen mit HIV wieder gestiegen - auch in Deutschland. Selbst nach 25 Jahren ist die Krankheit keineswegs überwunden.

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