UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung:Das Leck in der Arche Noah

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Die biologische Vielfalt ist bedroht, doch die Staatengemeinschaft fördert lieber das Geschäft mit den Arten als deren Schutz.

Martin Thurau

(SZ vom 20.08.2002) - Im Anfang war das Wort: Auf dem Gipfel in Rio einigten sich die Regierungen der Welt auf ein umfassendes Vertragswerk, so umfassend, als wollten sie die Welt umarmen.

Jedes Jahr verschwindet eine Waldfläche der Größe von 35 Fußballfeldern. Dabei könnte ein gezielter Anbau große Mengen CO2 binden. Auch der Kauf langlebiger Holzprodukte ist hilfreich. (Foto: N/A)

Schluss mit dem Raubbau an der Natur, verhieß es, Schluss mit Artenschwund und Waldvernichtung.

Der biologische Reichtum als Ganzes sollte geschützt werden, forderten sie in dem Übereinkommen - ein völkerrechtliches Unikum in seinem wahrhaft globalen Anspruch.

Bisher sind dieser Konvention zum Schutz der Artenvielfalt, kurz CBD, rund 180 Staaten und die EU beigetreten. Doch was hat das kollektive Besserungsgelöbnis bewirkt?

Wenig, sagen alle Experten. Die Arche Noah ist leckgeschlagen, der alltägliche Artenverlust geht weiter. Die Geschwindigkeit, mit der Wälder abgeholzt, Meere überfischt und Insekten dezimiert werden, hat sich kaum vermindert.

"Es gibt keinen Zweifel", sagt der Würzburger Ökologe Karl Eduard Linsenmair, "die Krise ist so groß wie die bisher schlimmsten in der Geschichte des Lebens."

Jährlich 27.000 Arten ausgelöscht?

Wie hoch die Verlustrechnung aber tatsächlich ausfällt, dafür gibt es nur wenig verlässliche Zahlen. Nach Schätzungen des UN-Umweltprogrammes Unep sind derzeit 1100, rund ein Viertel aller Säugetierarten, vom Aussterben bedroht, ebenso jede achte Vogelart und 5000 Pflanzenspezies. Forscher vermuten, dass jährlich rund 27.000 Arten ausgelöscht werden.

Andere Angaben schwanken zwischen 1000 und 40.000. Damit geht nicht nur ein Reichtum der Natur unwiederbringlich verloren; auch die Störanfälligkeit von Ökosystemen wächst.

Die meisten dieser Spezies, sagt Linsenmair, würden ausgelöscht, ohne dass irgend jemand von ihrer Existenz erfahre. Gerademal 1,8 Millionen Arten sind klassifiziert, doch das ist nur ein Bruchteil, bei Käfern und besonders artenreichen Ordnungen sei der Kenntnisstand der Taxonomie "erbärmlich", klagt der Würzburger Zoologe.

Schätzungsweise 6 bis 15 Millionen Spezies gibt es insgesamt, kaum einer mag ausschließen, dass es 50 oder gar 100 Millionen sein können.

Artenreichtum ungleich verteilt

Dabei ist der Artenreichtum äußerst ungleich über die Erde verteilt. Die tropischen Regenwälder zum Beispiel nehmen nur 2,3 Prozent der Erdoberfläche ein, darin lebe aber die Hälfte aller Arten, und die meisten von ihnen nur dort, vermuten Wissenschaftler.

Insgesamt haben die Systematiker zwischen 16 und 25 so genannte Hot Spots identifiziert, in denen die Vielfalt der Arten besonders groß ist. Auf 1,4 Prozent der Landfläche sammeln sich mehr als 40 Prozent der Gefäßpflanzen und mehr als ein Drittel aller Säuger, Vögel, Amphibien und Reptilien. Zu diesen Regionen gehören Amazonaswälder ebenso wie die Inselwelten der Philippinen oder der Karibik.

Bedroht ist diese Welt von Umweltverschmutzung und Naturzerstörung, vom Kahlschlag und von der Umwandlung in Nutzfläche. Auch eingeschleppte fremde Arten verdrängen angestammte Spezies und zerstören so das meist fein austarierte Gleichgewicht der Lebensgemeinschaften.

Fahnder im Regenwald

Doch schon die Weltkarte des Naturreichtums offenbart die Asymmetrie der Konvention und jeglicher Schutzbemühungen - eine Fortsetzung des Nord-Süd-Konfliktes. Besonders reich an Arten sind die armen Weltregionen.

Kein Wunder, dass der Aktionsplan, der in Johannesburg verabschiedet werden soll, den engen Zusammenhang zwischen Artenschutz und Armutsbekämpfung hervorhebt. Die Absichtserklärung allerdings, den Verlust der Vielfalt bis zum Jahre 2010 zu begrenzen, steht darin noch als strittiger Punkt in Klammern.

Überhaupt gehe es den Vertragsstaaten wohl vornehmlich darum, mit der Konvention allgemeine Geschäftsbedingungen für die Ausbeutung der Artenvielfalt festzulegen, argwöhnt Wolfgang Sachs vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Das habe die Geschichte der Verhandlungen seit 1992 gezeigt. Denn egal ob Urwald oder Korallenriff, die artenreichen Regionen der Erde sind nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Schatzkammern.

Fahndung nach neuen Arznei-Wirkstoffen

Längst fahnden westliche Konzerne dort nach neuen Wirkstoffen. Arzneimittel auf der Basis von tropischen Pflanzenwirkstoffen versprechen beträchtliche Gewinne.

Und um die langwierige Suche gezielt einzugrenzen, lassen sich die Bioprospektoren die traditionellen Heilpflanzen zeigen und zapfen mitunter uraltes kollektives Wissen an.

Für Aufsehen hat zum Beispiel der Fall des indischen Neembaums gesorgt, dessen Extrakte seit Jahrhunderten in Medizin und Pflanzenschutz genutzt werden. Westliche Konzerne halten mehrere Dutzend Patente auf Zubereitungen.

Ähnliches gilt für das Agrobusiness: Saatgutkonzerne nutzen alte Landsorten und Wildformen, die in Afrika, Asien oder Mittel- und Südamerika beheimatet sind, als Reserve für neue Pflanzen- Varietäten. Mit der modernen Biotechnologie hat das Geschäft mit den genetischen Ressourcen seine eigentliche Brisanz erhalten.

Nichtregierungsorganisationen sehen darin eine Art postkolonialer Ausplünderung und beklagen, dass die Kornkammern in der Dritten Welt zu Selbstbedienungsläden würden. Tatsächlich haben sich Konzerne mitunter ungeniert bedient, in anderen Fällen haben Unternehmen Musterverträge mit den Herkunftsländern geschlossen.

Zusammenschluss der "Allianz gegen Biopiraterie"

Anfang des Jahres hat sich ein Dutzend Länder mit besonders artenreicher Natur darum zu einer "Allianz gegen Biopiraterie" zusammengeschlossen. Der Interessenverbund, dem unter anderen Mexiko, Brasilien, China, Costa Rica, Indonesien und Kenia angehören, will eine schwarze Liste von Firmen und Organisationen anlegen, die durch unsaubere Beschaffungspraktiken auffallen.

Und am Donnerstag dieser Woche beginnt in Johannesburg ein "Gipfel des Südens", auf dem die zwölf Staaten weitere Bündnispartner gewinnen wollen. Von den Gewinnen, die mit ihren genetischen Ressourcen gemacht würden, hätten sie nicht viel gesehen, beklagen die zwölf.

Wie aber lassen sie sich angemessen beteiligen? Wie kann man die biogenetischen Schürfrechte fair vergelten? Und wie kommen Urvölker zu ihrem Recht, wenn sie ihr Heilwissen preisgeben?

Nach der Artenvielfaltskonvention sind Gene kein Allgemeingut; sie gehören dem Land, aus dem sie stammen. Ausgenommen sind die der wichtigsten Nahrungspflanzen, da verteilt ein Regime der Welternährungsorganisation FAO die Claims. Die CBD-Vertragsstaaten segneten in Den Haag im April einen Leitfaden ab, der bestehende Regelungen und damit den Zugang zu Gen-Ressourcen vereinheitlichen soll. Rechtlich bindend ist er nicht.

"Die bisherigen Konstruktionen kranken an dem Problem der Kontrolle", bemängelt Peter-Tobias Stoll, Experte für Völker- und internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Göttingen. Ein kleines Pflänzchen sei schnell ausgeführt, und vieles sei längst in den Ländern des Nordens, etwa in Botanischen Gärten oder Universitätsinstituten vorhanden.

Woher all die Exemplare in den Probenbanken für die Massentests der Industrie stammen, lasse sich oft kaum mehr zurückverfolgen. "Das meiste bleibt in der Grauzone", so Stoll. Die Herkunftsländer reagierten darauf mit schärferen Kontrollen, die Forschung und Entwicklung behinderten. Zudem sei es ein ungeheurer Aufwand, jedes Gentransfer-Geschäft einzeln abzurechnen.

Immer stärker würden darum Fondsmodelle diskutiert, die den Zugang auf zwischenstaatlicher Ebene regeln. Diese Frage der Nord-Süd-Gerechtigkeit zu lösen, dürften die Staaten jedenfalls nicht allein Forschung und Industrie überlassen.

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