Zwielichtige Auftragsvergabe:Brisante Nummer 95

Lesezeit: 2 min

Diesmal geht es um Auftragsvergaben des Regionalclubs Westfalen. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Den ADAC holen einmal mehr die Geister der Vergangenheit ein. Diesmal in Westfalen. Es geht um Mauscheleien bei Auftragsvergaben.

Von Uwe Ritzer

München/Dortmund Der entscheidende Hinweis wurde schlicht als "Nummer 95" registriert. Er ging am 5. Februar 2015 ein und löste im ADAC ein mittleres Beben aus, dessen Nachwirkungen den Automobilclub noch immer erschüttern. Der Hinweisgeber zeigte an, die Spitze des ADAC-Regionalclubs Westfalen habe Aufträge für millionenschwere Bauvorhaben in Hagen und Gelsenkirchen ohne Ausschreibung oder auch nur sorgfältige Prüfung vergeben, unter anderem an einen Freund des Vorsitzenden Klaus-Peter Reimer.

Der amtierte zudem seit 2012 als Vizepräsident und Schatzmeister des Gesamt-ADAC. Im Juli vorigen Jahres trat Reimer angesichts der Vorwürfe zurück, der westfälische ADAC-Geschäftsführer wurde geschasst. Doch dabei bleibt es nicht. Ein neuer, ADAC-interner Untersuchungsbericht, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, belastet nicht nur Reimer, sondern den kompletten westfälischen Vorstand.

Was die Mitgliederversammlung des Regionalclubs am Sonntag jedoch nicht davon abhielt, den verbliebenen Funktionären den Rücken zu stärken. Dabei soll die alte Führungsriege bei der Auftragsvergabe für eine Seniorenwohnanlage in Hagen und den Umbau eines Parkhauses in Gelsenkirchen zu einem Wohn- und Geschäftskomplex mit Stellplätzen "pflichtwidrig gehandelt" und ihre Sorgfaltspflichten "grob verletzt haben. So steht es im Abschlussbericht des ADAC-Compliance-Ausschusses, der die Vorgänge akribisch geprüft hat. Dieses im Zuge der Neuausrichtung des Autoclubs nach den Manipulationen bei der Autowahl Gelber Engel und anderen Fragwürdigkeiten geschaffene Gremium wacht über die Einhaltung der Grundsätze für korrektes Wirtschaften beim ADAC.

In seinem Bericht zeigt sich der Ausschuss regelrecht entsetzt über die Art und Weise, wie in Westfalen bei den fraglichen Projekten gehandelt wurde. Weder seien Aufträge ausgeschrieben noch die Bauvorhaben hinterfragt und sorgfältig geprüft worden. Den Schaden, der dem ADAC durch die Mauscheleien entstanden sei, beziffern die Compliance-Experten auf knapp eine Million Euro, mindestens. Ziemlich unmissverständlich fordern die Compliance-Wächter den Regionalclub Westfalen auf, seine zum Teil altgedienten Spitzenfunktionäre auf Schadenersatz zu verklagen. Dazu sei man sogar verpflichtet, heißt es.

Doch es kam anders. Die regionale Mitgliederversammlung am Sonntag in Dortmund lehnte in sechsstündigen Beratungen zumindest personelle Konsequenzen ab. Der Compliance-Bericht sei nicht mehr als eine "Orgie an Konjunktiven und juristisch nicht belastbar", so ein Sprecher des ADAC-Westfalen im Anschluss. "Da steht nichts Handfestes drin". Deshalb habe die Mitgliederversammlung eine Kanzlei beauftragt, ihrerseits die Vorgänge juristisch zu untersuchen. Sie solle "vor allem klären, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist", so der Sprecher. Wenn ja, dann hafte dafür ohnehin eine Versicherung. Sämtliche involvierten und noch amtierenden Vorstände seien bis zur endgültigen Klärung zwar nicht entlastet, wohl aber "mit großen Mehrheiten in ihren Ämtern bestätigt worden". Damit begibt sich der Regionalclub Westfalen in einen offenen Konflikt zum ADAC-Präsidium. Dieses hatte im Vorfeld der Dortmunder Mitgliederversammlung den Regionalclub öffentlich zu "voller Transparenz und angemessenen Konsequenzen" aufgefordert. Es ist auch kein Geheimnis, dass ADAC-Präsident August Markl westfälische Spitzenleute vorab zum freiwilligen Rückzug gedrängt hat - vergeblich. Abberufen kann sie das Präsidium nicht; Regionalclubs sind autonom. Nun keilen die Westfalen zurück. Die Äußerungen des Präsidiums im Vorfeld seien "ein Eingriff in eine souveräne Mitgliederversammlung" und damit "ein Angriff auf die ganze ADAC-Familie", so der Regionalclub-Sprecher am Sonntagabend. Dies und der Compliance-Bericht hätten Mitglieder und Mitarbeiter nur unnötig verunsichert.

© SZ vom 21.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: