Zusatzvorsorge:Ewige Baustelle

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Auch in Zukunft wird es in Deutschland Rentenreformen geben, die Demografie macht das unumgänglich. Chancen liegen in einer besser funktionierenden Zusatzvorsorge.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Gerade einmal drei Wochen ist es her, dass ein äußerst zufriedener Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) gegen Mitternacht vors Bundeskanzleramt trat und verkündete, die Koalition habe sich soeben auf sein Rentenpaket geeinigt. Das klang nach: So, das war's jetzt erst mal. Aber natürlich war es das noch nicht. Die Mütterrente II kommt zwar, die "Haltelinien" für Beitragssatz und Rentenniveau auch, künftige Erwerbsminderungsrentner werden besser gestellt, Geringverdiener bei den Sozialabgaben entlastet und alle Beitragszahler beim Beitrag zur Arbeitslosenversicherung. Aber 2019 steht schon die nächste Renovierung des Rentensystems an. Eine Versicherungspflicht für Selbständige etwa, und eine Mindestrente für langjährige Beitragszahler.

Weil zumindest ein Teil der aktuellen Reformen ein Verfallsdatum hat, wird es auch danach weitergehen mit den Reformen. Die Haltelinien etwa, dass also der Beitragssatz (derzeit 18,6 Prozent) nicht über 20 Prozent steigen und das Rentenniveau (Verhältnis von Standardrente zum Durchschnittsverdienst) nicht unter 48 Prozent sinken soll, gelten nur bis 2025. Über die Zeit danach denkt gerade die neue Rentenkommission nach. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte kürzlich vorgeschlagen, die Rente bis 2040 zu garantieren, in erster Linie durch hohe Steuermittel, drang damit aber nicht durch.

Notwendig sind Reformen wegen der demografischen Entwicklung. Das deutsche Rentensystem ist ein Umlagesystem: Die Beiträge der heutigen Einzahler finanzieren die aktuellen Renten. Heute kommen gut zwei Beitragszahler auf einen Rentner, 2030 dürfte es nur noch einer sein. Lücken werden noch mehr als heute über Steuerzuschüsse ausgeglichen werden müssen, wenn der Beitragssatz nicht steigen und es bei der Rente mit 67 bleiben soll. Schon im kommenden Jahr werden die verschiedenen Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung 98,1 Milliarden Euro betragen. Das Problem: Auf ihre gezahlten Beiträge haben die Versicherten einen Anspruch. Bei einer hauptsächlich aus Steuern finanzierten Rente hinge dagegen die Höhe der Rente im schlimmsten Fall von der Kassenlage im Finanzministerium ab.

Die Unterschiede zwischen den Renten von Frauen und Männern sind hierzulande eklatant

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schaut sich regelmäßig die verschiedenen Rentensysteme an. Das deutsche hat aus Sicht der Experten Schwachstellen. Eine ist die im internationalen Vergleich niedrige "Nettoersatzquote". Nach Berechnungen der OECD wird ein heute 20-jähriger Niedrigverdiener, der nur die Hälfte des Durchschnittseinkommens verdient, im Alter mit 55 Prozent seines Nettoverdiensts auskommen müssen. Im Durchschnitt der OECD-Länder sind es dagegen 73 Prozent. Auch Durchschnittsverdiener schneiden mit 51 Prozent Nettoersatzquote gegenüber 63 Prozent im OECD-Mittel schlechter ab. Die Organisation sieht durchaus "Anlass zur Sorge über die Angemessenheit der Alterseinkommen für Menschen mit geringem Einkommen und unterbrochener Erwerbsbiografie". Letzteres trifft vor allem auf Frauen zu, die wegen der Kinder häufig eine gewisse Zeit zu Hause bleiben und auch danach oft in Teilzeit arbeiten. Die Unterschiede zwischen den Renten von Frauen und Männern sind hierzulande eklatant - allerdings profitieren alleinlebende Rentnerinnen häufig von den Witwenrenten ihrer verstorbenen Männer.

Die OECD sagt voraus, dass in Deutschland im Jahr 2050 der Anteil der öffentlichen Rentenausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) voraussichtlich bei rund 12,5 Prozent liegen werde; derzeit seien es etwa zehn - schon das ist mehr als im OECD-Durchschnitt. Eine "Herausforderung für die finanzielle Tragfähigkeit des öffentlichen Rentensystems", findet die Organisation. Das österreichische Rentensystem, auf das viele deutsche Rentner neidvoll schauen, ist allerdings noch teurer: Schon jetzt liegen die Kosten bei über 13 Prozent des BIP, auch die Beitragssätze sind höher.

„Hände weg von meiner Pension“: Tausende Rentner haben im März in Paris gegen zusätzliche Steuern demonstriert. (Foto: Christophe Ena/AP)

Fiele in Deutschland die Beitragsbemessungsgrenze weg - derzeit muss man jenseits von 6500 Euro Monatseinkommen keine weiteren Rentenbeiträge zahlen, hätte die Rentenversicherung zwar höhere Einnahmen. Sie müsste aber auch entsprechend höhere Renten auszahlen. Umstritten ist, ob Beamte und Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollten. Befürworter sagen, das würde das System stabilisieren, zudem seien die deutlich höheren Pensionen der Beamten - für die sie nicht selbst einzahlen mussten - zunehmend ungerecht. Kritiker glauben dagegen nicht an eine große finanzielle Entlastung; schließlich müssten auch Beamtenrenten später ausgezahlt werden.

Etwas abschauen aber könnte Deutschland sich zum Beispiel von den Niederlanden, wo es ein quasi obligatorisches Betriebsrentenwesen gibt, das der Lebensstandardsicherung dient. In Deutschland sollte das sinkende Rentenniveau in der gesetzlichen Rente eigentlich über die Riester-Rente aufgefangen werden, was aber gründlich misslang. Es gibt zwar knapp 16,6 Millionen Verträge. Die Policen sind wegen der Provisionen aber oft zu teuer, zu renditeschwach und zu wenig verbreitet. Rund ein Fünftel der Verträge ruht, das heißt: Niemand zahlt ein. Immer wieder ist deshalb im Gespräch, ein neues, einfaches und günstiges Anlageprodukt zu schaffen.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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