Zu Besuch in einem Steuerparadies:Schweizer Löcher

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Immer mehr Unternehmen verlegen ihren Sitz in den Kanton Zug, weil das Finanzamt dort nur maximal 16,3 Prozent vom Gewinn eintreibt - jetzt schaltet sich die EU ein.

Judith Raupp

Die Bahnhofsstraße in Zug ist alles andere als eine schicke Einkaufsmeile. Eine Billigparfümerie, eine Kaffeekette und ein Supermarkt säumen den Straßenrand. Graue Häuser drücken aufs Gemüt. Wenige Schritte hinter der Reklame für die "Großpackung Schweinsnierstück, 46 Prozent billiger" weist ein Schild zur Finanzdirektion des Kantons Zug.

Im dritten Stock empfängt Peter Hegglin: Sein Arbeitszimmer könnte das Büro eines untergeordneten Staatsdieners sein: Ein karges Zimmer, ein gewienerten Tisch, die Ordner Seite an Seite im Regal. Hegglin ist aber kein kleiner Beamte. Er ist der Finanzdirektor des reichsten Kantons in der Schweiz.

Lokales Handelsregister ist das Who-is-Who der Geschäftswelt

Früher war Hegglin Bauer. Der Sinn für das Praktische ist ihm geblieben. "Wir in Zug legen keinen Wert auf Prunk, wir konzentrieren uns auf gute Dienstleistungen", sagt er. Was Hegglin "Dienstleistung" nennt, treibt den Finanzministern in der ganzen Welt den Schweiß auf die Stirn.

Vergrämt schauen sie zu, wie die Schweizer reihenweise ausländische Firmen mit niedrigen Steuern abwerben. Das Zuger Finanzamt treibt maximal 16,3 Prozent des Gewinns ein. Der deutsche Fiskus verlangt bis zu 38,3 Prozent, die Amerikaner 40, die Japaner 42 Prozent.

Viele Firmeninhaber verlegen deshalb ihren Hauptsitz oder Teile des Unternehmens nach Zug. Das Handelsregister liest sich wie das Who-is-Who der internationalen Geschäftswelt: Adidas, BP, Hugo Boss, C&A, Siemens Gebäudetechnik, BASF. 23.225 bekannte und unbekannte Namen. Im Jahr 2000 waren es noch 19.456. Etwa ein Drittel der Firmen gehört Deutschen.

Zum Beispiel die Boris Becker & Co. "zum Erwerb, Handel, Verwaltung und Vermarktung von Beteiligungen und Rechten aller Art". Die Firma des ehemaligen deutschen Tennisidols ist in einem riesigen Bürokomplex hinter weißen Platten und Glas beheimatet, ganz in der Nähe des Wirtschaftsförderers. Eine Frau im Mantel huscht über den Innenhof. Es ist still, so still wie in einer Geisterstadt.

Briefadresse genügt

Vor Überraschungsgästen schützen sich die Firmen mit einer elektronischen Kontrolle. Wer keine Chipkarte besitzt, kommt nicht ins Büro. "Herr Becker und die anderen Herren haben leider keine Zeit, um mit Ihnen zu sprechen", hat die Pressesprecherin ein paar Tage zuvor am Telefon mitgeteilt. Die Steuern seien aus deutscher Sicht sowieso uninteressant, sagt die Dame. Becker & Co. sei ja ein schweizerisches Unternehmen.

Wohl wahr, in Zug verdient eine steigende Zahl von Treuhändern und Anwälten Geld damit, Ausländern einen legalen Firmensitz zu verschaffen. Eine davon ist Marianne Lüthi. Sie ist Inhaberin der KD Zug Treuhand AG und Präsidentin der Zuger Treuhändervereinigung. Als Spezialgebiet gibt sie in der Verbandsbroschüre unter anderem "Verwaltungsratstätigkeit im In- und Ausland" an.

An der Hauswand ihres Büros hängt ein Schild mit 19 Firmennamen, geordnet nach dem Alphabet von Baccara bis Trust Technology Products. Einige Tausend Firmen besitzen in Zug nur eine Briefadresse. Das genügt, um Steuern zu sparen.

Ein Stück stadtauswärts, bei der Bushaltestelle "Kistenfabrik", teilen sich nicht weniger als 59 Firmen einen einzigen Stock im Bürohochhaus.

Lüthi könnte eine Menge darüber erzählen, wie solche Ansiedlungen vonstatten gehen. Sie ist aber mit einer großen Revision beschäftigt und hat keine Zeit für die Presse. "Herr Marti kann ihnen besser Auskunft geben", meint die Treuhänderin.

Hans Marti ist der Wirtschaftsförderer des Kantons Zug, wobei er sich nicht so nennen mag. Auf seiner Visitenkarte steht "Leiter der Kontaktstelle Wirtschaft".

Den feinen Unterschied erklärt Marti so: "Wir sorgen in erster Linie dafür, dass sich die ansässigen Unternehmen wohl fühlen. Erst in zweiter Priorität akquirieren wir im Ausland."

Marti ist ein großer stattlicher Mann mit weißen Haaren. Manchmal schaut er unschuldig wie ein kleiner Junge, zum Beispiel wenn er erzählt, dass "die Steuern wichtig, aber nicht das Wichtigste sind. Ebenso bedeutend ist der schnelle Service der Behörden".

Gerade die deutschen Unternehmer klagten, dass zu Hause "alles so lange" dauere. Und überhaupt, die Deutschen kämen ja auch, "weil es in ihrer Heimat keine politische Kontinuität mehr gibt".

Der Wirtschaftsförderer, der keiner sein will, weiß selbst am besten, dass er für Zug nicht groß werben muss. Der Ruf vom Garten Eden hat sich unter den Firmenbesitzern längst herumgesprochen. Trotzdem veranstaltet Marti jeden Winter in einem Schweizer Skiort einen "Informationsabend". Zwischen Weihnachten und Neujahr tummeln sich dort viele wichtige Leute in den Ferien.

5000 Millionäre

In der Idylle der Berge mögen die Unternehmer ihre Liebe zur Schweiz leichter entdecken als in Zug. Die Kantonshauptstadt bietet weder mondänen Luxus wie andere Steueroasen, noch die kuschelige Wärme vieler Schweizer Städte.

Der Landsgemeindeplatz am See, ein paar historische Häuser - ansonsten überwiegt die Tristesse der Büroblöcke. Selten rollt eine Luxuskarosse vorbei, obwohl im Kanton 5000 Millionäre gemeldet sind. Die übrigen 100000 Bürger scheren sich kaum um die Reichen.

Solange deren Steuergeld Schulen, Sport- und Kulturzentren finanziert, ist das Volk zufrieden. Finanzdirektor Hegglin freut sich über stetig steigende Steuereinnahmen. 2004 hat er 386 Millionen Franken verbucht, 16 Prozent mehr als 2003.

Und doch macht sich der Finanzdirektor Sorgen. Er schaut ernst und klagt: "Die anderen holen auf". Jahrzehntelang haben viele Kantone neidisch auf Zug geblickt. Nun senken sie selbst die Steuern und hoffen, dass die Rechnung aufgeht.

An die internationale Konkurrenz wie die Cayman-Inseln oder Dubai denkt Hegglin erst recht mit Schrecken. "Diese Länder erheben teilweise überhaupt keine Steuern", stellt er fest und behauptet: "Zug ist gar keine Steueroase. Wir verlangen ja Abgaben". Allerdings immer weniger. Demnächst will die Regierung zum Beispiel die Abgabe für Holdinggesellschaften von 0,075 Promille des Eigenkapitals auf 0,02 Promille senken.

Die Diplomaten der Europäischen Union ärgern sich über solches Treiben. Vor kurzem hat EU-Kommissar Richard Wright einen Brief an den Schweizer Botschafter in Brüssel geschickt. Der EU-Direktor für Außenbeziehungen will Auskunft über "gewisse Steuern in gewissen Kantonen". Explizit erwähnt er Zug in dem Brief.

Feste Regeln statt Geschenken

Das findet Hegglin ungerecht: "Wir halten uns ans Gesetz und machen nichts, was andere nicht auch machen könnten". Außerdem besteuere Zug die Unternehmen nach festen Regeln: "Sonderbestimmungen für Einzelne gibt es nicht".

Ein Kenner der Schweiz und der EU findet, dass die Europäer ein falsches Spiel spielen: "Versprechen Sie in Deutschland doch mal ein paar Arbeitsplätze. Dann bekommen Sie sofort ein dickes Steuergeschenk".

Hegglin hält Steuerwettbewerb für eine gute Sache: "Schauen Sie, in der Schweiz ist die Konkurrenz zwischen den Kantonen viel größer als in Deutschland zwischen den Ländern. Das hat uns Disziplin bei den Ausgaben gelehrt".

Manchmal kann die Steuerdiskussion für den christlichsozialen Politiker jedoch heikel werden. Zum Beispiel, wenn man wissen will, ob es Zufall ist, dass Zuger Firmen auffällig oft in zwielichtige Geschäfte verwickelt sind. Eben erst ist die Ölhandelsgesellschaft Glencore in Verruf geraten. Die Kommission, die den Bestechungsskandal im UN-Hilfsprogramm für den Irak untersucht hat, bezichtigt sie illegaler Machenschaften. Hegglin schweigt einen Moment und sagt dann: "Wir tun viel für einen sauberen Finanzplatz. Aber gegen kriminelle Energie ist man nie gefeit".

Hanspeter Uster kann ein Lied davon singen. Er ist in der Kantonsregierung für die Sicherheit zuständig. Seit Jahren kämpft der Politiker der Linkspartei "Alternative Kanton Zug" gegen die Wirtschaftskriminalität. "Es darf kein schmutziges Geld in Zug geben", hat er als einer der Ersten gesagt.

Die Politiker müssten das klar signalisieren und Geld und Personal für die Verbrechensbekämpfung zur Verfügung stellen. Diese Aufgabe wird allerdings immer anspruchsvoller. Im Jahr 2000 sind in Zug 13 Strafuntersuchungen eröffnet worden. 2004 waren es 29.

Die Kleinen leiden

Treffpunkt Bahnhofscafé in Zürich. Josef Lang, Parteikollege von Hanspeter Uster, sprüht vor Energie. "Die niedrigen Steuern in Zug ziehen suspekte Firmen geradezu an", wettert er. Lang hat es im Februar 2001 auf die erste Seite des Wall Street Journal geschafft.

Er war der schärfste Kritiker des Rohstoffhändlers Marc Rich, der auch in Zug wohnte. Einst galt Rich als Wohltäter, bis er in den USA wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde. Bill Clinton hat ihn 2001 begnadigt. Lang hat zu Richs Enttarnung wesentlich beigetragen. Noch heute blitzen die Augen, wenn er davon erzählt.

Die Zeit der großen Schlachten ist zwar vorbei. Aber Lang kämpft weiter, aus Überzeugung. Er zieht Sakko und Strickjacke aus, lehnt sich nach vorn und sagt: "Die niedrigen Steuern in Zug sind unsolidarisch, weil anderen Ländern dringend notwendiges Geld entzogen wird".

Der Historiker ist überzeugt, dass die Zuger Politik den Nachbarländern der Schweiz am meisten schadet. Von dort wandern viele Firmen ab. Weil in Zug zahlreiche Händler sitzen, die Öl und Kaffee aus der Dritten Welt vermarkten, sieht Lang aber auch die Entwicklungsländer benachteiligt: "Gerade sie bräuchten Steuern für Gesundheit, Bildung und Straßen".

Natürlich denkt der 51 Jahre alte Vollblutpolitiker auch an die eigene Klientel.

Er kramt in der Aktentasche und zieht einen Zeitungsartikel mit dem Titel "30 Jahre Mieterinnen- und Mieterverband des Kantons Zug" heraus. Lang, seit zehn Jahren Revisor des Verbands, kritisiert darin die hohen Mieten.

Sie entstehen, weil die niedrigen Steuern reiche Leute anziehen, die viel für ihre Häuser und Wohnungen bezahlen. Das streiten nicht einmal die Anhänger der Zuger Steuerpolitik ab.

In der Kantonshauptstadt bezahlen Mieter durchschnittlich 275 Franken pro Quadratmeter im Jahr. Das schlägt selbst die 260 Franken in der vier Mal größeren Bankenmetropole Zürich. "Der Steuerwettbewerb trifft die kleinen Leute übermäßig und begünstigt die Großen.

Ein zivilisiertes Zusammenleben ist so nicht mehr lange möglich", sagt Lang. Seine Partei will die geplante Steuersenkung in Zug verhindern - mit einer Volksabstimmung. Auf das Ergebnis wird die EU-Kommission sehr genau schauen.

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