Zoff um die Minuszeichen:"Deutschland soll EU-Stimmrecht verlieren"

Lesezeit: 2 min

Falls die Bundesrepublik weiter gegen den Stabilitätspakt verstößt, soll dies härter bestraft werden — verlangt Österreichs Finanzminister Grasser. Deutschland habe die Glaubwürdigkeit des Pakts zerstört.

Von Ulrich Schäfer

Grasser gilt seit langem als Kritiker der Schuldenpolitik von Finanzminister Hans Eichel. Vergeblich hatte er sich im Dezember zusammen mit Kollegen aus mehreren kleineren EU-Ländern dagegen gestemmt, das Defizitstrafverfahren gegen Deutschland und Frankreich vorläufig zu stoppen.

"Abenteuerlich"

Bei einem Treffen mit Wirtschafts- und Medienvertretern in Berlin verlangte Grasser, der mit 35 Jahren jüngster Finanzminister Europas ist, eine Reform des Schuldenregelwerks: "Dieser Pakt hat die Zukunft schon hinter sich. Er hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Das, was Deutschland unter Theo Waigel erfunden hat, hat Deutschland in gleicher Weise auch wieder beerdigt." Grasser ist 2002 aus der FPÖ ausgetreten und seither parteilos.

Anders als die Regierungen in Paris und Berlin will Grasser den Stabilitätspakt nicht lockern, sondern verschärfen und die bisherigen Regeln durch Sanktionen ersetzen, "die wirklich umsetzbar sind".

Er schlug vor, jenen Ländern, die dauerhaft gegen das Drei-Prozent-Kriterium bei der Schuldenaufnahme verstoßen, für eine begrenzte Zeit das Stimmrecht in der Europäischen Union zu entziehen.

Man müsse überlegen, ob es ein sinnvoller Sanktionsmechanismus sei, "wenn Du sagst, Deutschland verliert sein Stimmrecht", sagte Grasser. Auf die Nachfrage, ob dies ein ernst gemeinter Vorschlag sei, antwortete er: "Ich finde es gut." Die EU-Staaten sollten "kreativ darüber nachdenken, wie neue Regeln aussehen können".

In Kreisen der deutschen Regierung wurde Grassers Vorschlag als "abenteuerlich" bezeichnet. Er sei "weder unter ökonomischen noch unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten geeignet, der Umsetzung des Paktes Genüge zu tun".

Bislang drohen den Ländern, die gegen die Auflagen des Stabilitätspakts verstoßen, milliardenschwere Bußgeldzahlungen, die aber erst am Ende eines mehrjährigen Strafverfahrens fällig werden.

Grasser bezweifelt jedoch, dass sich dafür jemals eine Mehrheit im Rat der EU-Finanzminister finden wird. Zudem würden Länder wie Deutschland oder Frankreich eine ihnen aufgebrummte Strafe wohl ohnehin nicht zahlen.

Mit seinem Vorschlag verschärft der österreichische Finanzminister den Konflikt, der seit langem zwischen den kleinen und großen EU-Staaten schwelt.

Österreich gehört, ebenso wie Belgien oder Luxemburg, zu jenen Ländern der Gemeinschaft, die selber über solide Staatsfinanzen verfügen, während mit Frankreich, Großbritannien und Deutschland inzwischen die drei größten Länder gegen das Drei-Prozent-Limit verstoßen.

Insbesondere Paris und Berlin hätten, so Grasser, "in guten Zeiten nicht genug konsolidiert, und deswegen ist es in schlechten Zeiten deutlich über die drei Prozent hinausgegangen".

"Da fehlen mir die Worte"

Er kritisierte, dass die Bundesregierung nun offenbar zu noch höheren Defiziten bereit sei, um die Wirtschaft anzukurbeln: "Sie können sich mit Schulden kein Wachstum oder eine geringere Arbeitslosigkeit erkaufen." Vielmehr zeige ein europaweiter Vergleich, dass in jenen Staaten, in denen der Schuldenstand hoch sei, auch die Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit besonders schnell gestiegen sei.

Anders als Eichel ist Grasser auch zum Steuerwettbewerb in der EU bereit. Während der deutsche Finanzminister niedrige Steuersätze in den neuen Beitrittsländern immer wieder kritisiert hat, will Grasser nun seinerseits die Körperschaftsteuer, die Firmen in Österreich bezahlen müssen, von 34 auf 25 Prozent senken: "Wir handeln, wir schauen nicht zu, bis der Schaden da ist."

Über die Steuerbelastung in Deutschland, die bei Aktiengesellschaften inklusive der Gewerbesteuer annähernd 40 Prozent beträgt, sagte Grasser: "Da fehlen mir die Worte. Mit 40 Prozent bist Du einfach nicht wettbewerbsfähig." Der Steuerwettbewerb in Europa werde irgendwann zu einem Punkt führen, "wo Investoren in Europa verwundert fragen werden, warum ein Land überhaupt noch Ertragssteuern erhebt".

Auch für Grasser gibt es deshalb eine - wenn auch niedrige - Untergrenze, die in Europa für die Unternehmensbesteuerung gelten sollte: Ein solcher Mindesttarif könne bei 15 Prozent liegen.

© SZ vom 27.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: