Zinssicherung:Die Gunst der Stunde nutzen

Lesezeit: 3 min

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Viele Firmen treffen Vorkehrungen für eine Zinswende.

Von Norbert Hofmann

Wenn die Wirtschaft dauerhaft boomt, wächst bei den Unternehmen auch der Mut zum Risiko. Seit der zweiten Jahreshälfte 2017 hat die Investitionsbereitschaft deutlich zugenommen und vieles deutet darauf hin, dass sich das 2018 fortsetzen wird. Allein schon deshalb, weil viele Firmen nur so weiter auf der Erfolgswelle reiten können. "Die Unternehmen kommen angesichts voller Auftragsbücher an ihre Kapazitätsgrenzen", sagt Sandra Heinrich, die bei der Deutschen Bank deutschlandweit die Spezialberatung Finanzierung leitet. Einzig die hohe Eigenfinanzierungskraft durch starke Eigenkapitalquoten, die in der Zeit von 2002 bis 2016 im Durchschnitt von 20 bis auf 30 Prozent gewachsen sind, könnte die Kreditnachfrage hier und da noch bremsen.

Doch bei der Verwendung der eigenen Mittel ändert sich die Sichtweise. "Konzerne und insbesondere auch mittelständische Unternehmen denken zunehmend darüber nach, ihre Finanzierungsbasis nun wetterfest zu machen, ihr Eigenkapital zu schonen und sich mittel- und langfristig über Fremdkapital zu finanzieren", sagt Christine Rademacher, Leiterin Financial Engineering der Commerzbank. Auch wenn je nach Geschäftsmodell und Bonität unterschiedliche Sicherheiten und Konditionen vereinbart werden, muss sich derzeit kaum eine Firma um den Zugang zum Bankkredit sorgen.

Für die Geldhäuser rechnet sich das Geschäft trotz der Niedrigzinsen. "Die Margen sind unter Druck, aber nach wie vor attraktiv", sagt Stefan Hattenkofer, Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse München. Das konjunkturelle Hoch belebe nicht nur die Kreditnachfrage von produzierenden Unternehmen, sondern auch von Handwerkern, Handelsbetrieben und Dienstleistern von der IT-Beratung bis hin zur Gastronomie. "Die Firmen suchen Wachstumschancen und müssen gleichzeitig aufpassen, dass sie mit ihren Geschäftsmodellen in Zeiten des digitalen Wandels nicht den Anschluss verpassen."

Viele nutzen die Gunst der Stunde auch deshalb, weil die günstigen Finanzierungskonditionen von heute nicht in Stein gemeißelt sind. Laut dem Credit Index der Finanzierungsberatung Barkow Consulting sind die Zinsen für Unternehmenskredite mit fünfjähriger Laufzeit im Januar auf 1,99 Prozent gestiegen. Sie lagen damit um einen knappen halben Prozentpunkt über dem Tief vom Juli 2016. Das sind Durchschnittswerte. Bei kleinen und mittleren Krediten von unter einer Million Euro waren im Januar im Durchschnitt 2,92 bis 3,46 Prozent zu zahlen. Größere Darlehen kosteten einen Zins von 1,80 Prozent. "Die jüngste Aufwärtsbewegung kann noch nicht das Ende sein, denn historisch bewegt sich der Markt noch immer auf einem sehr niedrigen Niveau", sagt Geschäftsführer Peter Barkow. Eine Zinswende aber könne schnell und stark kommen.

Vor allem kleinere Firmen mit nicht ganz so guter Bonität haben ein höheres Risiko

Nur eine Frage der Zeit dürfte es sein, bis die Europäische Zentralbank (EZB) nach dem zum Jahresende erwarteten Ende ihrer Anleihekäufe auch den Leitzins vorsichtig anheben wird. "Ein Aufkeimen der Inflation, zusätzliche Unsicherheiten im internationalen Umfeld und nicht zuletzt auf wieder höhere Margen bedachte Banken dürften dazu beitragen, dass wir über längere Zeit eher wieder höhere Zinsen sehen werden", sagt Dirk Schiereck, Professor für Unternehmensfinanzierung an der TU Darmstadt. Die Firmen, so warnt er, sollten lieber nicht auf eine Rückkehr zu alten Tiefs hoffen. Vor allem kleinere Firmen mit nicht ganz so guter Bonität tragen Zinsänderungsrisiken. "Sie verfügen nicht über die gleiche Verhandlungsmacht wie die Großen und es fehlt ihnen ein ähnlicher Zugang zu Alternativen wie etwa einer kapitalmarktorientierten Finanzierung."

Doch auch dem kleineren Mittelstand stehen neue Möglichkeiten offen. Über digitale Kreditplattformen etwa mobilisiert eine wachsende Zahl kleiner und mittlerer Firmen Betriebsmittelfinanzierungen mit sechs bis zwölf Monaten Laufzeit. "Der Kreditvergabeprozess bei solchen Fintechs läuft schneller und ist von der Dokumentation her weniger aufwendig als ein Bankdarlehen", sagt Schiereck. Die Geldhäuser haben diese Vorteile ebenfalls erkannt und damit begonnen, eigene digitale Angebote oder Kooperationen mit Fintechs (Finanztechnologieunternehmen) aufzubauen.

Gerade erst hat die Direktbank ING Diba Deutschlands größte Firmenkredit-Plattform Lendico gekauft. Die Commerzbank finanziert über ihre Tochtergesellschaft Main Incubator junge suchende Start-ups. Auch die Deutsche Bank investiert in neue Geschäftsmodelle und sucht die Zusammenarbeit mit Anbietern von Kreditplattformen. "Wir sehen junge Fintechs, die Neues manchmal schneller ausprobieren können, nicht als Bedrohung, sondern als Chance" sagt Sandra Heinrich.

Gleichzeitig sind alternative oder ergänzende Finanzierungsinstrumente gefragt. "Der schon seit einigen Jahren nachhaltig wachsende Trend zum Leasing, insbesondere auch zu der von den Herstellern selbst angebotenen Vermietung von Geräten, Maschinen und Anlagen, ist ungebrochen", sagt Heinrich. Auf Interesse würden zudem Zinssicherungsinstrumente stoßen. Die Firmen kombinieren sie mit variabel verzinslichen Krediten, die sie bei entsprechender Liquidität ohne zusätzliche Kosten vorzeitig zurückzahlen können.

Noch ist bei den Großbanken von einer Zinswende zwar nicht die Rede. Signale wie etwa die Anhebung der Zinsen in einigen KfW-Programmen registrieren sie jedoch. Ebenso das Bestreben der Unternehmer, die derzeit noch günstigen Konditionen zu nutzen und sich diese für kommende Jahre zu sichern. Ob es um langfristige Investitionen geht oder der Kreditbedarf an die Forderungs- und Lagerbestände angepasst werden soll, viele Firmen hätten derzeit die Chance, sich optimal zu finanzieren, sagt Christine Rademacher von der Commerzbank.

© SZ vom 09.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: