Zielgruppe Senioren:Im Abendkleid ins Kino

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Die Senioren haben das Kino neu für sich entdeckt und die Branche reagiert: Mit ausgefeilten Events rund um den gezeigten Film und Knabberware jenseits von Nachos mit Käseimitat.

Judith Pfannenmüller

Gurken-Papaya-Salat, Kartoffelpfanne mit Hähnchen und Pfifferlingen, Crêpes mit Heidelbeerquarkfüllung, Verkostung von Frankenweinen und dazu die Vorpremiere der Komödie Wer schneller stirbt ist länger tot - alles zusammen für 15 Euro.

Die Kinowerbung hat Senioren als Zielgruppe entdeckt. (Foto: Foto:)

Wenn das Bayreuther Cineplex-Kino zu seiner Veranstaltungsreihe "Kino & Vino" lädt, darf und soll der Besucher schlemmen, manchmal kulinarisch abgestimmt auf den Film, den es im Anschluss zu sehen gibt.

Die Event-Reihe ist ein Angebot der inhabergeführten Thomas Filmtheater für das Publikum ab 45 Jahren. "Man muss sich schon etwas einfallen lassen, um Leute ins Kino zu holen, die dort meist schon lange nicht mehr waren", sagt Betreiber Michael Thomas, im Zweitberuf Vizepräsident der Gilde Deutscher Filmtheater.

Schmackhaft gemacht

Filme wie "Die Reise des jungen Che", "Die weiße Massai" oder "Stolz & Vorurteil" wurden dem Publikum mittleren Alters schon erfolgreich schmackhaft gemacht.

Gemeinsam mit dem evangelischen Bildungswerk etablierte Thomas die Reihe "Delikatessen" - eine Kombination aus Filmsehen und Diskutieren.

So konnten sich Kinobesucher im Anschluss an "Im toten Winkel - Hitlers Sekretärin" mit einem Historiker austauschen. Eine Streetworkerin diskutierte nach Detlev Bucks Jugendgang-Film "Knallhart" mit dem Publikum.

Demografischer Wandel

Kein Zweifel, auch die Filmwirtschaft bekommt den demografischen Wandel zu spüren: Obwohl die Anzahl der Kinobesucher insgesamt in den letzten fünf Jahren um 26 Millionen auf 127 Millionen jährlich schrumpfte, stieg der Anteil der über 50-jährigen Kinobesucher an - um sechs Millionen auf 14 Millionen Zuschauer.

Zugleich ging der Anteil der 20- bis 29-jährigen Kinobesucher von 40 auf 28 Millionen zurück. Die deutschen Best Ager sind allerdings ziemliche Kinomuffel, im Gegensatz zu Schweizern und Franzosen, die gerade bei anspruchsvollen Filmen bis zu zehnmal häufiger ins Kino gehen.

Immerhin 80 Prozent der über 50-Jährigen würden sich öfter für einen Kinobesuch mobilisieren lassen, vorausgesetzt, Filminhalte, Preisangebote und Kundenservice stimmen. Das ist das Kernergebnis einer aktuellen Studie des Erich-Pommer-Instituts zum Thema "Demografie und Filmwirtschaft".

Klaus Keil, Direktor des Instituts, sieht bei den jungen Alten ein riesiges Potenzial für die Kinos: "Das potenzielle Publikum umfasst 20 Millionen Menschen. Da lohnt sich jede Anstrengung."

Dass auch Ältere ins Kino gehen, wenn die Stoffe sie interessieren, haben Filme wie "Good Bye Lenin" bereits gezeigt: Immerhin jede dritte Eintrittskarte der Erfolgskomödie wurde an über 50-Jährige verkauft.

Gemeinsame Marketingstelle

"Der Untergang", "Das Wunder von Bern", "Luther" oder "In den Schuhen meiner Schwester" sind ebenfalls Filme, die bei Älteren gut ankamen. Den Kinobetreibern ist das nicht entgangen. Sie reagieren: So haben die meist mittelständischen Cineplex-Kinos dieses Jahr eine gemeinsame Marketingstelle geschaffen.

Sie bietet zum Beispiel Kunden des Otto-Versands und ADAC-Mitgliedern vergünstigte Kino-Tickets an - im Austausch für Werbeplätze in den Unternehmensmedien.

Double-Features für Best Ager

Selbst Multiplexxe werden aktiv. So lässt sich etwa Kurt Schalk, Marketingleiter des Mathäser Filmpalasts in München, einiges einfallen, um die Best Ager ins Kino zu locken. So soll eine Double-Feature-Reihe gezielt Publikum ab 40 ansprechen.

Gezeigt wird beispielsweise der Dürrenmatt-Krimi "Es geschah am hellichten Tag" - einmal in der Neuverfilmung von Nico Hoffmann und einmal in der US-Version "Das Versprechen" von Sean Penn - mit anschließender Diskussion. Mittlerweile habe man sich damit ein Stammpublikum erschlossen, sagt Schalk.

Mailings an Seniorenheime

Monatliche Sonderreihen mit Filmen wie "Das weiße Rössl" für 3,50 Euro sollen die Senioren locken. Die Angebote werden gezielt über Mailings an Seniorenheime beworben. So werden die Rentner auch zu Führungen durch das Kino eingeladen, um die Hemmschwellen abzubauen. Denn Ältere fühlen sich - aus Angst, sich nicht zurechtzufinden - von großen Multiplex-Kinos oft abgeschreckt.

Und weil sie meist länger brauchen, bis sie sich zu einem Kinobesuch entschließen, lässt das Mathäser die entsprechenden Filme inzwischen länger im Programm.

Selbst an Senioren mit empfindlichen Ohren wird gedacht: Es gibt Sonderveranstaltungen mit reduziertem Tonpegel.

Spagat

Das ist ein Spagat für die Kinos. Denn nicht nur der anspruchsvolle Cineast über 50 soll sich in den Sälen wohlfühlen, auch der pubertierende Harry-Potter-Fan. Arne Schmidt, Sprecher der CinemaxX-Gruppe, formuliert das ehrgeizige Ziel: "Wir wollen möglichst für jede Altersgruppe jede Woche einen Film im Angebot haben."

Fingerspitzengefühl beim Timing der Filmstarts ist Pflicht: Der an der Literaturverfilmung interessierte 50-jährige Banker soll dem mit Popcorn um sich werfenden jungen American Pie-Seher möglichst nicht über den Weg laufen.

Kulinarische Versorgung

Zum Wohlfühlfaktor für Ältere im Kino zählt vor allem die Inszenierung des Kinobesuchs als besonderes Erlebnis und die kulinarische Versorgung jenseits von Nachos mit Käse-Imitat und Cola.

"Süßwaren und Getränke, Sitzgelegenheiten und Beschallung in den Foyers werden zunehmend auf älteres Publikum eingestellt", sagt Kim-Ludolf Koch, Geschäftsführer der Cineplex-Gruppe. Statt Nachos und Coca-Cola serviert etwa das Lichtwerk in Bielefeld Bionaden und belegte Ciabattas, andere Kinos testen Diätprodukte oder ausgefeilte Weinkarten. Im Mathäser gibt es seit kurzem auch Biochips.

In Bayreuth lockt die Kaffeekränzchen-Atmosphäre. Im monatlichen "Filmcafé" wird ab 14.30 Uhr Kaffee und Kuchen serviert, um 16 Uhr laufen etwa die "Kalendergirls" an - alles zusammen für sechs Euro.

Mundpropaganda

Das Angebot rechnet sich für Betreiber Thomas zwar noch nicht. Eine begeisterte Clique von 80-jährigen Damen betreibt aber schon fleißig Mundpropaganda.

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