Zertifikate:Zocken statt Sparen

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Tausende Anleger haben mit Zertifikaten der US-Pleitebank Lehman viel Geld verloren. Trotzdem könnten spekulative Papiere jetzt ein Comeback erleben.

Philipp Mattheis

Es klingt absurd: Der vergangene Oktober war für die Zertifikate-Branche der umsatzstärkste Monat dieses Jahres.

(Foto: Foto: dpa)

Trotz der Finanzkrise wechselten Produkte im Wert 10,5 Milliarden Euro ihre Besitzer - ein Umsatzplus von fast 33 Prozent gegenüber dem Vormonat. Grund zum Feiern hatte trotzdem niemand. Den Löwenanteil des Wachstums dürften nämlich Verkaufsaufträge verschreckter Kunden gewesen sein.

Als im September die US-Investmentbank Lehman Brothers Konkurs anmelden musste, erhielten die ahnungslosen Anleger einen Brief ihrer Hausbank, in dem stand: "Da aktuell keine Kurse festgestellt werden, wird Ihr Zertifikat im Depot bis auf Weiteres als ,unbewertet" oder mit 0 Euro angewiesen."

Viel Kritik

Da Zertifikate Inhaberschuldverschreibungen sind - und nicht wie bei Investmentfonds Teil eines Sondervermögens - standen die Anleger bei der Pleite der Bank mit leeren Händen da.

Seitdem musste die Branche viel Kritik einstecken. Doch angesichts weiter fallender Börsenkurse könnte den Zertifikaten bald ein Comeback bevor stehen. Vor einigen Wochen veröffentlichte der Internationale Währungsfonds eine düstere Prognose: Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs wird die Weltwirtschaft 2009 schrumpfen.

Die Hoffnungen, wonach der Sturm an den Börsen im Oktober nur ein kleines Zwischenspiel in einem ansonst stetig wachsenden Markt gewesen ist, verflüchtigen sich zunehmend. Privatanleger haben in Deutschland kaum eine andere Möglichkeit, in einem Abwärtsmarkt Geld zu verdienen. Put-Optionsscheine sind zwar ein altbewährtes Vehikel, aber für viele Anleger schwer verständlich und aufgrund der hohen Tagesschwankungen mittlerweile sehr teuer.

Anfang 2007 entwickelte die Deutsche Börse den Short Dax. Der Zusatz "short" steht dabei nicht für "klein". Unter Short Selling versteht man den Leerverkauf von Aktien. Dabei leiht sich der Kunde Aktien aus, die er gar nicht besitzt, und verkauft sie in der Hoffnung, sie später zu einem billigeren Preis zurückkaufen zu können.

Short Dax statt Dax

Der Short Dax schnellte innerhalb der letzten acht Wochen von 7000 auf über 10.500 Punkte und notiert momentan knapp über 9000 Zählern. Wie das sein kann? Der Index bildet die Bewegungen des Dax invers ab. Steigt der "normale" Dax um fünf Prozent, verliert der Short Dax genau fünf Prozent.

Fällt der Dax dagegen um fünf Prozent, legt der Short Dax um fünf Prozent zu. So groß die Verluste im Dax in den letzten Wochen waren, so groß waren auch die Gewinne im Short Dax. Wer Anfang dieses Jahres auf einen fallenden Dax gesetzt hätte, könnte sich nun über ein Plus von fast 100 Prozent freuen.

Über Zertifikate lässt sich von der Entwicklung des Short Dax profitieren: Der "Schatten-Index" dient als Basiswert für Index-Zertifikate. Diese Produkte wiederum bilden den Index im Verhältnis eins zu eins ab. Fällt der Dax um zwei Prozent, legt der Short-Dax um zwei Prozent zu und damit auch der Wert des Zertifikats.

Die Index-Zertifikate gehören zu den einfachsten Vehikeln, um aus fallenden Kursen Profit zu schlagen. Sie haben allerdings noch einen weiteren Vorteil: Um die Konstruktion zu ermöglichen, verkauft die Bank am Terminmarkt Dax-Futures.

Der erzielte Erlös wird dem Kunden gut geschrieben. "Zusätzlich wird dem Zertifikatewert täglich anteilig ein Zinsertrag in Höhe des zweifachen Tagesgeldsatzes (aktuell etwa sieben Prozent pro Jahr) gutgeschrieben," heißt es bei der Bank Société Générale. "Dies liegt in der Anlagestrategie begründet, da aus der Short-Position im Dax Kapital zinsbringend angelegt werden kann." Fast alle Produkte weisen keine Laufzeitbeschränkung auf.

Exchange Trade Funds statt Indexzertifikate

Angesichts der Nachteile, die Zertifikate mit sich bringen, sind Exchange Traded Funds (ETFs) eventuell die bessere Alternative. ETFs sind passiv gemanagte Fonds - und damit im Fall einer Insolvenz der Fondsgesellschaft geschützt. Sie bilden einen Index im Verhältnis eins zu eins ab.

Bisher darf nur die Deutsche Bank ETFs auf den Short Dax auflegen. Bereits in besseren Börsenzeiten 2006 und 2007 emittierten viele Banken Zertifikate mit dem Zusatz "Reverse". Damals stand noch der Absicherungsgedanke im Vordergrund. Mittlerweile sind die Produkte als Short-Spekulation interessant geworden. Vor allem zwei Produktgattungen sind interessant, da sie über eine Art Fallschirm verfügen: Reverse-Discount- und Reverse-Bonus-Zertifikate.

Mit einem normalen Discount-Zertifikat ist der Anleger vor einem begrenzten Kursrückgang des Basiswerts geschützt. Dafür ist sein möglicher Gewinn allerdings auch durch einen "Cap" gedeckelt. Reverse-Discount-Zertifikate funktionieren eben genau in die Gegenrichtung: Als Inhaber eines Reverse-Discount-Zertifikats mit beispielsweise einem Cap bei 3500 Punkten und einem Puffer bei 4300, profitiert man von Kursrückgängen bis zu einem Dax-Stand bei 3500 und ist auch vor leicht steigenden Kursen bis zu einem Niveau von 4300 Punkten geschützt. Allerdings ist die Produktpalette bei Reverse-Discount-Zertifikaten momentan sehr dünn.

Beliebter als die Discounter sind Reverse-Bonus-Zertifikate. Gegenüber den Index-Zertifikaten haben sie ebenfalls den Vorteil eines Sicherheitspuffers. Bei einem Reverse-Bonus-Zertifikats mit einer Barriere bei 7000 Punkten, erhält der Inhaber am Ende der Laufzeit eine Bonus-Zahlung. Allerdings nur unter einer Bedingung:

Der Index darf zu keinem Zeitpunkt während der Laufzeit die Barriere überschreiten oder sie berühren. Ob der Index dann bei 4000 oder 6000 Punkten steht, ist egal. Wird der Bonus deaktiviert, verwandelt sich das Produkt in ein herkömmliches Partizipations-Zertifikat, das die Bewegungen des Basiswerts im Verhältnis eins zu eins abbildet. Bonus-Zertifikate sind vor allem in moderat fallenden Märkten eine gute Wahl.

Selbst bei einem leichten Kursanstieg des Basiswerts können Anleger noch eine attraktive Rendite erzielen. Für Bonus-Zertifikate spricht noch ein anderer Punkt: Die Zertifikate werden mittlerweile auf eine Vielzahl von Basiswerten emittiert. So lässt sich mit Sicherheitspuffer sowohl von sinkenden Gold- und Rohölpreisen als auch fallenden US-Dollar und Einzelaktien profitieren.

Bei allen Möglichkeiten, die die Produkte bieten, sollte man eines nicht vergessen: Die Kritik, die in den letzten Wochen an der Zertifikatebranche geübt wurde, bleibt weiterhin aktuell. Im Fall einer weiteren Bankenpleite stehen Inhaber von Zertifikaten mit leeren Händen da.

Bis jetzt wurden nur kleine Schritte seitens Branche unternommen, um daran etwas zu ändern: Zum Beispiel veröffentlicht die Branchenvereinigung Deutscher Derivateverband auf seiner Website Bonitätsstatistiken, die Auskunft über die Kreditwürdigkeit des einzelnen Emittenten geben.

Zwei Emittenten haben außerdem Zertifikate entwickelt, bei denen das Emittentenrisiko eliminiert wurde. "Die Emittenten sind selbstkritischer seit der Lehman-Pleite. Was wir sehr begrüßen ist, dass sich die Produktpalette deutlich ausgedünnt hat - es sind nicht mehr so viele komplizierte Konstruktionen auf dem Markt", heißt es bei der Anlegerschutzvereinigung DSW.

"An den grundlegenden Problemen wie dem Emittentenrisiko hat sich jedoch wenig geändert. Dem Anleger bleibt mittelfristig nichts anderes übrig, als sich genau mit den Produkten auseinanderzusetzen. Zertifikate haben auf jeden Fall ihre Existenzberechtigung, nur sollten sie von Privatanlegern nur als Beimischung im Portfolio verwendet werden."

© SZ vom 24.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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