Zahl der Erwerbslosen auf Rekordniveau:"Die Zeit der Dunkelziffern ist vorbei"

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Fünf Millionen Arbeislose im Januar — die Lage am Arbeitsmarkt ist dramatisch. Doch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement verteidigt Hartz IV weiterhin. Zumindest seine Statistiken.

Von Nina Bovensiepen

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist weiter dramatisch.

Bundeswirtschafts-minister Wolfgang Clement. (Foto: Foto: ddp)

Die Bundesagentur für Arbeit wird an diesem Mittwoch voraussichtlich die höchste Arbeitslosenzahl der Nachkriegszeit vermelden.

Aussagen von Clement deuten darauf hin, dass im Januar offiziell erstmals die Fünf-Millionen-Marke überschritten wurde.

Dennoch verteidigte der Wirtschaftsminister Hartz IV. "Die Zeit der Dunkelziffern und der Verschiebebahnhöfe ist endgültig vorbei", sagte Clement der SZ.

Zu Jahresbeginn gingen die Erwerbslosenzahlen wegen der Wintertemperaturen immer nach oben, meistens um rund 350.000, sagte der Wirtschaftsminister der Bild am Sonntag. Das werde auch dieses Jahr so sein.

Dadurch werde die Zahl der Arbeitslosen auf etwa 4,8 Millionen steigen, nachdem im Dezember 4,5 Millionen Menschen ohne Job waren. Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Zuge von Hartz IV würden nun aber mehr als 200.000 frühere Sozialhilfeempfänger mitgezählt.

Damit räumte Clement erstmals indirekt ein, dass die Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen im Januar wohl überschritten wird. In der vergangenen Woche hatte der Minister bereits vorgewarnt und "schreckliche Zahlen" angekündigt.

Der bisherige Höchststand der Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt bei 4,823 Millionen. Er wurde im Januar 1998 gemessen. Zugleich verwies Clement darauf, dass die Statistik die tatsächliche Situation in Zukunft wirklichkeitsgetreuer abbilde.

"Die Zeit der Dunkelziffern vom Arbeitsmarkt ist vorbei"

Am Anfang unserer Reform steht ein klares Bild vom Arbeitsmarkt. Es hat ja keinen Sinn, davor die Augen zu verschließen. Wenn wir Jede und Jeden einzeln betreuen und vermitteln wollen, müssen wir auch Jede und Jeden kennen", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Clement wies darauf hin, dass die Statistik zu Zeiten der Regierung unter Altkanzler Helmut Kohl (CDU) das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit verschleiert habe.

"Die Zeit der Dunkelziffern vom Arbeitsmarkt und der bürokratischen Verschiebebahnhöfe ist endgültig vorbei. Es weiß doch jeder, dass die Zahl der Arbeitslosen in Wirklichkeit auch beispielsweise im Winter 1997/98 schon über fünf Millionen lag", erklärte er.

"Die Statistik zeigt nicht das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit"

Dem Arbeitsmarktexperten der FDP-Fraktion, Dirk Niebel, gehen die Änderungen bei der Erfassung der Arbeitslosen durch die Hartz-IV-Reform indes nicht weit genug.

"Die Statistik zeigt immer noch nicht das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit", sagte er. So tauchten zehntausende Erwerbslose, die derzeit in Trainingsmaßnahmen geschult werden, in dem Zahlenwerk der Nürnberger Bundesagentur nicht auf.

Die Regierung hatte die Statistik Anfang vergangenen Jahres dahingehend geändert, dass diese Personen nicht mehr als arbeitslos gezählt werden. Das hatte die Erwerbslosenzahl im Januar 2004 um gut 80.000 gesenkt. Zudem würden Menschen, die an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilnehmen oder die in Personalserviceagenturen auf eine Vermittlung warten, nicht mitgezählt, kritisiert Niebel.

Auch die so genannte stille Reserve, also diejenigen Personen, die sich gar nicht erst arbeitslos melden, weil sie keinen Anspruch auf staatliche Hilfe haben, sei nicht berücksichtigt. "Die Statistik muss aussagekräftiger werden und zeigen, wie viele Menschen gar nicht oder weniger arbeiten als sie können oder wollen", erklärte der Politiker.

Die FDP und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, forderten zudem schnelle Korrekturen an der Arbeitsmarktreform. Diejenigen Empfänger des Arbeitslosengeldes II, die einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, sollten mehr von ihrem Zuverdienst behalten können, als bisher erlaubt.

Es sei kein wirklicher Anreiz zur Aufnahme eines Mini-Jobs, wenn der Betroffene von dem Verdienst nur 15 Prozent behalten dürfe, sagte Landsberg. "Die Grenze sollte auf 20 bis 30 Prozent erhöht werden, damit das Ziel erreicht wird, Betroffene wieder ans Arbeitsleben heranzuführen." Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Andreas Pinkwart forderte sogar, dass die Erwerbslosen 40 Prozent von ihrem zusätzlichen Verdienst behalten dürfen.

Zu strenge Regeln

Die strengen Zuverdienstregeln hatte die Union im Vermittlungsverfahren zu Hartz IV durchgesetzt.

Das Gesetz sieht derzeit folgende Stufenregelung vor: Wer einen Nebenjob annimmt, darf von einem Bruttolohn bis zu 400 Euro 15 Prozent behalten, von 401 bis 900 Euro sind es 30 Prozent, von 901 bis 1500 Euro wiederum 15 Prozent.

Oberhalb der Grenze von 1500 Euro wird der Zuverdienst vollständig auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Clement hatte zuletzt erklärt, er müsse das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens akzeptieren, sich aber für Änderungen offen gezeigt. "Wir werden sehr rasch sehen, ob man an dieser Stelle Korrekturen vornehmen muss", hatte er gesagt.

© SZ vom 31.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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