Wurstverarbeiter:Kartell vor Gericht

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Seit 1982 sollen sich 22 Wurst­hersteller abgesprochen haben - doch im Prozess deutet sich ein Kompromiss an.

Von Valentin Dornis und Benedikt Müller, Düsseldorf

Es ist einer der größten Kartell-Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Jahrelang sollen sich 22 Wurst-Hersteller abgesprochen haben, damit sie gegenüber Handelsketten höhere Preise durchsetzen können. Nach Ansicht des Bundeskartellamts mussten Verbraucher deshalb höhere Preise zahlen als bei einem funktionierenden Wettbewerb. Deshalb verhängte die Behörde im Jahr 2014 Bußgelder von gut 338 Millionen Euro. Dies war eine der höchsten Strafen, die das Kartellamt je ausgesprochen hat.

Nun rollt das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf das Wurstkartell neu auf. Denn die Firmen Rügenwalder Mühle, Heidemark und Wiltmann wollten die Bußgelder nicht akzeptieren. Beim Prozessauftakt am Dienstag deutet sich allerdings an, dass sich zwei der Fabrikanten außergerichtlich mit den Ermittlern einigen könnten.

Die Firma Wiesenhof hat ihren Einspruch gegen die Kartellstrafe kurz vor dem ersten Verhandlungstag zurückgezogen.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Herstellern ein "tradiertes Grundverständnis" vor, wonach sie Höhe und Zeitpunkt von Preiserhöhungen absprechen könnten. Demnach reicht das Kartell bis zu einem Treffen im Jahr 1982 im Hamburger Hotel Atlantic zurück. Seitdem hätten Fabrikanten immer wieder über Preisspannen diskutiert. "Ziel war es, gemeinsam und einheitlich auf den Lebensmittel-Einzelhandel zuzugehen", sagt Oberstaatsanwalt Niclas Börgers, "um Preiserhöhungsforderungen erfolgreicher durchzusetzen." Vom Jahr 2003 an hätten sich die Hersteller vor allem telefonisch abgestimmt.

Wären diese Regensburger Würstl ohne Kartell für die Verbraucher günstiger gewesen? Diese Frage kann man sich bei vielen Wurstwaren stellen. (Foto: imago)

Nach Hinweisen eines Informanten durchsuchte das Kartellamt im Juli 2009 die Branche. Die Bußgelder habe man mit Augenmaß gewählt, betont die Behörde. Schließlich bewegen sich die Hersteller in einem "besonderen Umfeld": Auf der einen Seite stehen sie Handelskonzernen mit großer Marktmacht gegenüber; auf der anderen kaufen sie Fleisch in einer ebenso stark konzentrierten Branche ein.

Beim Prozessauftakt zeigen sich die Rügenwalder Mühle und der Heidemark Mästerkreis offen für einen Kompromiss. So könnte die Staatsanwaltschaft alle Vorwürfe gegen Rügenwalder fallen lassen, die sich auf mögliche Absprachen vor dem Jahr 2006 beziehen. Im Gegenzug würde das Unternehmen ein Bußgeld zwischen 5,2 und 5,57 Millionen Euro akzeptieren. Das Kartellamt will keine Einwände gegen eine solche Verständigung erheben.

Heidemark betont zwar, es plädiere für einen Freispruch. Angesichts des Risikos und des hohen Aufwands der Gerichtsverhandlung wäre der Hersteller aber bereit, sich auf eine Kartellstrafe im Rahmen von etwa drei Millionen Euro zu verständigen.

Einzig die Firma Wiltmann holt in ihrem Eröffnungsstatement zu einem Generalangriff auf die ermittelnden Behörden aus: "Das Bundeskartellamt hat die Unschuldsvermutung missachtet", sagt der Anwalt des Unternehmens. Da viele Konkurrenten die Absprachen gestanden, habe das Kartellamt nicht glauben wollen, dass ein Hersteller erfolgreich wirtschafte, "ohne sich kartellrechtlich zu versündigen". Wiltmann wirft den Ermittlern vor, sie hätten Einwände des Unternehmens nicht berücksichtigt, als das Kartellamt den Fall an die Staatsanwaltschaft übergab. "Ich verlasse mich darauf, dass Sie meinen Mandanten zum Recht verhelfen", sagte der Anwalt. Die Vorwürfe hätten der Außenwirkung des Herstellers geschadet.

Brisant ist das Wurstkartell auch aufgrund der Tatsache, dass vor allem große Konzerne wie etwa Tönnies aus Westfalen die Geldbußen umgehen konnten. Sie nutzten eine Gesetzeslücke, die als sogenannte Wurst-Lücke bekannt wurde: Nach damaligem Recht führte das Kartellamt seine Verfahren nur gegen die unmittelbar handelnden Unternehmen, nicht aber gegen deren Mutter-Gesellschaften. Einzelne Hersteller überschrieben daher Vermögenswerte ihrer betroffenen Tochterfirma auf ein anderes Unternehmen - und lösten die ursprünglich handelnde Firma auf. So sind im Wurstkartell insgesamt nur Bußgelder in Höhe von 100 Millionen Euro übrig geblieben. Mittlerweile hat der Staat die Gesetzeslücke geschlossen.

Bislang hat das OLG in dem Rechtsstreit 40 Verhandlungstage anberaumt. Mit einer Entscheidung wäre somit nicht vor Mai 2018 zu rechnen. Doch könnte von den drei betroffenen Unternehmen bald nur noch eines in dem Prozess übrig bleiben.

© SZ vom 20.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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