Wunder der Werbung:Geist ist geil

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Es muss irgendwann Ende der siebziger Jahre gewesen sein, als Jugendliche in Deutschland anfingen, "geil" zu sagen, wenn etwas sie faszinierte. Musik konnte geil sein, Drogen, und mehr oder weniger unterschwellig meinte "geil" natürlich auch Sex.

Von Oliver Fuchs

(SZ vom 8.11.03) — "Geil" war die Steigerung des vorher gebräuchlichen, schlapp klingenden "stark" - ein Hinweis auf unüberbietbare Intensität.

Manche Eltern waren geschockt, wenn ihre Kinder das Wort gebrauchten, weshalb manche Jugendliche erst mal "steil" sagten, eine Mischform aus "stark" und "geil".

Doch es dauerte nicht lang, bis "geil" Mainstream wurde - heute ist es eine Floskel, ein Synonym für "gut". Knäckebrot kann geil sein, eine Pur-Platte oder private Pflegeversicherung.

Dankbarkeit für Saturn

Insofern muss man dem Elektrohändler Saturn fast dankbar sein, dass er die Vokabel Ende 2002 mit neuer Brisanz auflud: "Geiz ist geil" hieß der Slogan, der die Deutschen aufrüttelte: eine Todsünde wurde zur Tugend umgewertet, was für ein Coup!

Der Werbespruch wurde sofort zum geflügelten Wort, weil er der gesellschaftlichen Stimmungslage - Angst vor Krieg und Jobverlust - auf so kompakte Weise Ausdruck verlieh, wie es sonst nur Popsongs (The times they are a-changin) oder auch Politikern ("Mehr Demokratie wagen") gelang.

Der Spruch gewann Kreativ-Preise, wurde in den Feuilletons debattiert und animierte die Kunden zum Kaufen - über zwölf Prozent Umsatzplus! Was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass "Geiz ist geil" genau genommen ein Aufruf zur Konsumverweigerung ist.

Nullpunkt der Reklame

Schon beim ersten Hören dachte man: Moment mal, wenn ein Einzelhändler Geiz propagiert, ist das nicht in etwa so, als ob ein Bordell Anzeigen schaltet, in denen für Keuschheit geworben wird?

"Geiz ist geil" schien irgendwie der Nullpunkt der Reklame zu sein - Werbung, die Schluss macht mit Werbung. Es schien, als könnte danach nichts mehr kommen. Doch natürlich kommt, wie immer im Leben, doch was nach - die Kampagne geht weiter, "Geiz ist geil Teil II".

Während im ersten Spot eine gut aussehende Frau einfach nur "Geiz ist geil" brüllte, scheint die Fortsetzung komplexer zu sein: Es gibt jetzt eine Rahmenhandlung, in der die Frau wieder auftaucht und vor Außerirdischen einen Vortrag über das Thema "Geiz beim Menschen" hält.

"Falschgeiz"

Dann sieht man ein älteres Ehepaar im Wohnzimmer sitzen, der erwachsene Sohn steht daneben, ist aber unmöglich angezogen - er muss offenbar die viel zu kleinen Klamotten seiner älteren Geschwister tragen.

Was dieser Plot aussagen soll, erschließt sich, nun ja, nicht sofort. Um "Falschgeiz" soll es gehen - und um den Unterschied zu richtigem Geiz.

Das sei "bemüht und verkünstelt, vertrackt und kompliziert", bemängelt das Fachblatt Werben & Verkaufen. Aber die Lage ist ja auch vertrackt: Die "Geiz ist geil"-Kampagne war im Hause Saturn von Anfang an umstritten, bei der Vergabe ihres Werbeetats hatte sich die Firma erst gegen das von der Agentur Jung von Matt erarbeitete Konzept entschieden - womöglich aus Knausrigkeit?

"Provokativer Claim"

Vielleicht fürchtete man, mit dem Geiz-Appell die Kundschaft zu den Billig-Discountern zu treiben: "Ich bin ja nicht blöd."

Wie dem auch sei: Saturn wolle, ja müsse seine "Werbestrategie modifizieren", hieß es, weil der Knalleffekt eines "provokativen Claims" noch keine langfristige "Produktpositionierung" bedeutet.

So sieht der neue Spot auch aus: Man wird auch beim wiederholten Schauen nicht recht schlau, was die Außerirdischen bedeuten sollen. Und was, zur Hölle, ist "Falschgeiz"?

Aber es macht ja auch Spaß, über Werbung mal länger nachzudenken. Geist ist geil.

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