Wohnungsbau für Flüchtlinge:Hauptsache schnell

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Der Bedarf an Unterkünften für Flüchtlinge ist gewaltig und fordert die Fertighausbranche heraus - doch die Bürokratie ist langsam, und viele Fragen sind weiter ungeklärt.

Von Elisabeth Dostert, Neuruppin

Es gibt Tage, da kommt sich Martin Opitz wie im "Tollhaus" vor. Der Hersteller vor Fertighäusern aus Holzwerkstoffen muss sich jetzt mit Campingplatzverordnungen beschäftigen. Er dachte, dass er sich gut auskennt im Dickicht deutscher Bürokratie. "Jedes Land hat seine eigenen Richtlinien für den Brandschutz in Gebäuden." Opitz kennt alle Bauordnungen. Opitz will Unterkünfte für Flüchtlinge bauen. Nun kämpft er sich auch durch das "Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen", diskutiert mit Behörden, ob Flüchtlingsunterkünfte die Energieeinsparverordnung (EnEV) erfüllen müssen, ob zweigeschossige Bauten wirklich eine "eingehauste" Treppe haben müssen oder ob eine Stahlkonstruktion mit rutschfesten Stufen reichen würde. "Das wäre preiswerter", sagt Opitz.

Er breitet Zeichnungen auf dem Tisch in seinem Büro aus. Ein lang gestreckter Flachbau für 60 Personen, gepflasterte Wege, gesäumt von Blumenbeeten, kurz geschnittener Rasen, Büsche, im Hintergrund Bäume. Fast ein Idyll. Das Modell gibt es auch mit zwei Geschossen. Ein anderes Blatt zeigt ein Häuschen für eine Familie, 40 Quadratmeter, es sieht aus wie eine Laube im Schrebergarten. Jede Immobilie besteht aus einfachen Modulen, die aneinandergereiht werden wie Schuhkartons. Das kleine Häuschen besteht aus zwei Modulen - Wohnraum sowie Sanitäranlagen und Küche - zum Preis von 48 000 Euro. Der eingeschossige Flachbau koste schlüsselfertig unter einer halben Million Euro. Wenn er die Anforderungen der EnEV nicht erfüllen müsste, wären es 40 000 bis 50 000 Euro weniger, sagt Opitz.

Große Pläne: Hunderttausende Unterkünfte werden gebraucht, das Angebot ist bunt gemischt. (Foto: Opitz)

Es sollen Unterkünfte auf Zeit sein, die später anders genutzt werden könnten - "als Kindergarten, zum Beispiel". Oder sie werden zerlegt und an einem anderen Ort wieder aufgebaut. "Ein fester Bau wäre zehn bis 20 Prozent preiswerter", sagt Opitz: "Aber es soll ja auch schnell gehen."

Es muss schnell gehen. Der Bedarf ist gewaltig. In den kommenden fünf Jahren müssen jährlich 400 000 Wohnungen neu gebaut werden, schätzt das Pestel-Institut. Die wachsende Zahl der Flüchtlinge ist nur ein Grund dafür. Aber bei Weitem nicht der einzige. Deutschland schiebe ein riesiges Wohnungsdefizit vor sich her, weil immer mehr Menschen in die Städte ziehen und aus anderen EU-Ländern zuwandern. "Sicher kann der Fertigbau einen Beitrag dazu leisten, den zusätzlichen Bedarf an Wohnungen zu decken", sagt Johannes Schwörer, Unternehmer und Präsident des Verbandes Deutscher Fertigbau. Aber, fügt er einschränkend hinzu: "In kurzer Zeit deutlich mehr neuen Wohnraum zu schaffen als bislang vorhergesehen, das lassen die vollen Auftragsbücher vieler Fertighaushersteller nicht zu."

Vor allem gehe es um die Frage der Qualität der Unterkünfte. Als Anbieter schnell errichteter, billiger Häuser wollen viele Fertighaushersteller nicht gesehen werden. Sie haben hart daran gearbeitet, ihr Image als Lieferant standardisierter, seelenloser Pappschachteln abzulegen. Das Produkt sei das individuell geplante und hochwertige Zuhause, nicht der "schnelle und billige Behelfsbau", sagt Schwörer. Dies könne nicht die Erwartungshaltung kommunaler und privater Investoren sein.

Flexible Holzbauten können später auch als Kindertagesstätten eingesetzt werden. (Foto: Bernd Settnik/dpa)

Anders als Massivhäuser, die komplett auf der Baustelle entstehen, werden die Teile für Fertighäuser in Fabriken vorgefertigt und dann auf der Baustelle zusammengesetzt. Das macht die Herstellung unabhängiger von der Witterung.

Opitz hat Ende Oktober von der Stadt Kremmen in Brandenburg den Zuschlag für drei zweigeschossige Gebäude mit Satteldach bekommen: Auftragswert 2,1 Millionen Euro. Bis Ende Februar werde die Anlage "bezugsreif" sein. Auch andere sind aktiv. Das bayerische Familienunternehmen Haas Fertigbau etwa lieferte den "Bausatz" für eine Gemeinschaftsunterkunft in Baden-Württemberg. Noch vor Weihnachten können dort 120 Flüchtlinge untergebracht werden. Anfang 2016 will Haas Fertigbau eine zweigeschossige Unterkunft in Neukirchen am Sand bei Nürnberg fertigstellen: 30 Appartements mit Platz für 90 Menschen.

Der Unternehmer würde auch Asylbewerber einstellen - aber er darf nicht

Auch ohne solche Unterkünfte: Die Auftragsbücher von Opitz sind voll. Vergangenes Jahr hat er mit seinen 65 Beschäftigten 20 Millionen Euro umgesetzt. Mehr als ein paar Tage braucht seine Firma nicht, um einen Flachbau für 60 Personen aufzubauen, der Aufbau eines Häuschens geht an einem Tag. Opitz hat viel zu tun. Unten in der Halle steht schon verpackt der Bausatz für eine Schule in Großbritannien. Opitz will eine zweite Produktionshalle bauen, die nächsten Sommer den Betrieb aufnehmen soll. Dann könnte er zehn Module pro Tag bauen.

Auf dem Sportplatz zwischen Camerloher Gymnasium und Berufsschule an der Wippenhausener Straße waren bereits in den Jahren 2015 bis 2018 Geflüchtete untergebracht. (Foto: Marco Einfeldt)

Opitz würde auch Flüchtlinge einstellen - "20, sofort." Der Bau der Fertigteile sei kein Kunststück. "Das kann man in zwei Wochen lernen. Dazu reichen geringe Deutschkenntnisse." Aber sie sollten erst ein unbezahltes Praktikum machen dürfen. "Ich sehe dann schon, ob sie arbeiten können oder nur in die Luft gucken." Am liebsten würde er zur Unterkunft in Neuruppin fahren und gleich ein paar Flüchtlinge mitnehmen. Das geht nicht.

So verhandelt er mit der Bundesagentur für Arbeit über die Konditionen. Opitz geht alles zu langsam. Er fühlt mit. "Wenn ich den ganzen Tag in so einer Unterkunft sitzen würde, würde mir auch die Decke auf den Kopf fallen." Opitz wird bald 60 Jahre alt, er wirkt wie einer dieser Männer, deren Ungeduld mit jedem Jahr noch wächst. "Ich gehe davon aus, dass in 20 Jahren die Hälfte meiner Beschäftigten einen afrikanischen Migrationshintergrund hat."

Er will mit seinen Flüchtlingsunterkünften Geld verdienen. "Aber ich habe es nicht nötig, das Doppelte und Dreifache draufzuschlagen", sagt Opitz. "Ich muss das nicht machen, um noch ein bisschen reicher zu werden. Aber wenn dem Land geholfen ist, mache ich das. Ich fühle mich dem Land verpflichtet und den Mitarbeitern hier in Neuruppin." Er habe auch viel Geld vom Staat gekriegt, als er in den 90er-Jahren das Werk in Neuruppin übernommen hat.

Weit oben unter der Bürodecke hängt ein Schild: "Gott segne das ehrliche Handwerk." Hinter seinem Schreibtisch hängt ein Foto von Angela Merkel (CDU), 2009 hat sie das Werk besucht. Auch Matthias Platzeck (SPD) war da in seiner Zeit als Ministerpräsident von Brandenburg. Und andere. Solche Besuche führt Opitz auf seiner Homepage unter dem Punkt "Würdigungen" auf. In Neuruppin kommen seine Pläne für die Flüchtlingsunterkünfte nicht bei jedem gut an. Neulich sind Mitarbeiter von ihm in der Stadt angepöbelt worden. "Warum der das jetzt mit den Flüchtlingen macht?"

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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