Imagewandel:Start-up statt Stiftung

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Die Philantropie steht vor dem größten Umbruch seit Jahrzehnten. Bürokratie und Niedrigzinsen machen Stiftungen zu schaffen, auch der Nachwuchs fehlt. Die nächste Generation hat ihre eigene Idee vom guten Zweck.

Von Nils Wischmeyer, München

Wenn Erman Tanyildiz über Stiftungen spricht, dann schimpft er viel. Nicht über die Stiftung an sich, immerhin hat er selbst erfolgreich eine gegründet. Sondern über all die Hindernisse, Hürden, Unwägbarkeiten. Er beschwert sich über die ausufernde Bürokratie, die fehlende Unterstützung der Politik und die Niedrigzinsen, die es seiner Stiftung fast unmöglich machten, vernünftig zu arbeiten. "Momentan kann ich nicht sagen, ob die Stiftung, so wie sie heute ist, noch überlebt", sagt Tanyildiz.

Und damit ist er nicht allein. Die Stiftungswelt steht vor der womöglich größten Existenzkrise ihrer noch jungen Geschichte. Zwar gründen Jahr für Jahr Menschen in Deutschland, Europa und auch den USA Stiftungen. Die Wachstumsrate aber nimmt kontinuierlich ab. Kamen im Jahr 2007 noch 1134 Stiftungen pro Jahr hinzu, verzeichnet der Bundesverband deutscher Stiftungen im Jahr 2017 nur noch einen Zuwachs von 549 (2,1 Prozent). Setzt sich der Trend so fort, könnten Stiftungen kurz nach ihrer Boomzeit bereits zum Auslaufmodell werden.

"Die deutschen Stiftungen stehen vor einem großen Umbruch. Das liegt zum Teil an den Niedrigzinsen und Bürokratie, aber viel an der nächsten Generation", sagt Felix Oldenburg, Generalsekretär des Bundesverbands Deutscher Stiftungen.

Die Generation der 20- bis 50-Jährigen, die bald eine Stiftung gründen könnten, weil sie entweder erben oder aber selbst zu Geld kommen, ist von der Idee einer klassischen Stiftung nicht allzu begeistert. Insbesondere der Ruf der Organisation ist längst nicht mehr das, was er einmal war. In der Bevölkerung gelten Stiftungen oft als Vehikel, um das Erbe geschickt an den Händen des Staats vorbei zu lenken. Kritiker wie Lobbycontrol prangern die zunehmende Macht und den Einfluss der unternehmensnahen Organisationen an. Die Stiftungen von Bertelsmann oder auch BMW seien intransparent und würden unter anderem politischen Einfluss nehmen. All das schreckt junge, potenzielle Stifter ab.

Das heißt allerdings nicht, dass die nächste Generation keine philanthropische Ader hätte. Im Gegenteil sogar: Viele setzen sich für soziale Projekte ein, spenden ihr Geld oder unterstützen Hilfsorganisationen. Anders ist nur, dass sie das nicht über das Vehikel einer Stiftung machen. Ein gutes Beispiel dafür ist Ise Bosch. Die Erbin hat schon früh ihre Anteile am Unternehmen verkauft, eine gemeinnützige GmbH, Fonds und ein Erbinnen-Netzwerk gegründet. "Jüngere Menschen gründen Start-ups, gründen Initiativen. Die Stiftungen von morgen werden ganz anders aussehen", sagt Oldenburg vom deutschen Stiftungsverband. Zukünftig will sich der Verband mehr mit neuen Formen und Konzepten auseinandersetzen.

In den 1990er Jahren wurde Wohltätigkeit zum Massenphänomen

Dabei sah es eine Zeit lang so aus, als könnte den Aufstieg der Stiftungen fast nichts bremsen. In den 1960er-Jahren wollte die Nachkriegsgeneration, die mit ihren eigenen Unternehmen zu Vermögen kam, der Gesellschaft etwas zurückgeben und sah die Stiftungen als optimales Vehikel dafür. In den 1990er-Jahren boomten die Stiftungen, weil das Vermögen der privaten Haushalte erstmals ein Level erreichte, das breitflächige Philanthropie erlaubte. Ein Effekt, der sich so auch im Rest Europas und den USA beobachten lässt. Heute liegen rund 80 Milliarden US-Dollar auf den Konten der rund 22 000 deutschen Stiftungen, zeigt eine Untersuchung der Harvard Kennedy School im Auftrag der Großbank UBS. Das sind etwa zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. 4,3 Milliarden Euro geben die Wohltäter jedes Jahr für gemeinnützige Zwecke aus.

Größer ist das Vermögen nur in den Niederlanden und - natürlich unangefochten an erster Stelle - den USA. Dort ist das Stiftungswesen wesentlich ausgeprägter als in Europa. Microsoft-Gründer Bill Gates hat zusammen mit seiner Frau Melinda die "Bill and Melinda Gates Foundation" ins Leben gerufen. Heute ist sie die mächtigste, reichste und bekannteste Stiftung der Welt. Mit einem Gesamtvermögen von 40 Milliarden US-Dollar und Ausgaben von rund vier Milliarden Euro im Jahr hat sie ein ähnlich großes Budget wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In Deutschland sind die Dimensionen andere. Die größten gemeinwohlorientierten Stiftungen geben mehr als 800 Millionen Euro aus.

Noch zu Boomzeiten, 1994, bekam Tanyildiz in Berlin feierlich seine Stiftungsurkunde überreicht. Zuvor hat er ein deutsches Abitur in Istanbul gemacht, in Berlin studiert, mehrere Unternehmen in den verschiedensten Branchen (Catering, Leasing, Schweißtechnik, Bildung) erfolgreich gegründet und ist so an viel Geld gekommen. Fragt man ihn heute, warum er all das nicht auf den Kopf gehauen oder seinen Kindern geschenkt hat, antwortet Tanyildiz mit den berühmten Worten John F. Kennedys: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann - frage, was du für dein Land tun kannst." Er habe in Deutschland so viel Unterstützung erhalten, dass er am Ende etwas zurückgeben wollte.

Mehr als zwei Millionen Euro investiert der Unternehmer direkt in seine Stiftung für berufliche Bildung OTA. Dank guten Wirtschaftens wurden aus dem Anfangskapital schnell elf Millionen Euro. Mit diesem Vermögen hat er in den vergangenen Jahren Hunderten sozial benachteiligten Kindern einen Zugang zu Bildung ermöglicht, in Sarajevo Schulen aufgebaut und in Antalya Erdbebenopfer versorgt. Dieses Jahr wird er 69 Jahre alt und will sich langsam zurückziehen. Er sagt: "Jetzt muss die nächste Generation ran, die kriegt das schon hin." Wie, das muss sie selbst entscheiden.

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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