WM-Rummel in Weggis:Fußballer statt Schweine

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Um Brasiliens Ballzauberer anzulocken, hat ein schweizerisches Dorf 300 Ferkel ausquartiert, seinen Acker in feinsten Fifa-tauglichen Rollrasen verwandelt und einen Sandstrand mit Palmen angeschafft.

Judith Raupp

Bis vor kurzem war Weggis ein stinknormales Dorf am Vierwaldstättersee. Das ist wörtlich zu verstehen - wegen der Schweinemästerei von Alice und Freddy Stöckli. Die 300 Ferkel verbreiteten eine ausgesprochen ländliche Duftnote. Der Betrieb existiert zwar noch, doch die Schweine sind weg.

Wenn für Weggis alles klappt, sitzt hier vielleicht bald Ronaldinho und bewundert den Vierwaldstättersee. (Foto: Foto: AP)

Vom 22. Mai bis zum 3. Juni trainiert die brasilianische Fußballmannschaft in Weggis direkt gegenüber von Schweinemäster Stöckli. Und in dieser Zeit sollen die amtierenden Weltmeister keinen Mist riechen, wenn sie am Ball zaubern.

Bei diesem Gedanken schämten sich die Damen und Herren von Weggis Event. Den Verein haben dreizehn Vertreter der Gemeinde und privater Unternehmen gegründet, um das Trainingslager und die Finanzierung zu organisieren. Sie verboten Stöckli das Mästen, solange sich die Gäste auf die Weltmeisterschaft in Deutschland vorbereiten.

Großgeschäft mit Käsebroten

Nein, sie sei nicht sauer, sagt Alice Stöckli. Das Ehepaar hat noch den Tante-Emma-Laden und beliefert Hotels mit Milchprodukten. Außerdem wollen die Stöcklis vor dem Stadion heiße Würstchen und Käsebrote verkaufen. Das könnte ein großes Geschäft werden: Die Gemeinde erwartet 120.000 Neugierige, die Ronaldinho & Co. sehen wollen.

Um mit dem Ansturm zurechtzukommen, sperrt Weggis Straßen, richtet Parkplätze außerhalb des Dorfes ein und beschäftigt 100 Ordnungskräfte pro Tag. Das Spektakel kostet eine halbe Million Franken (325.000 Euro). Den Brasilien-Coup sollen Sponsoren und Gebühren für Parkplätze, Essens- und Souvenirstände finanzieren. Vielleicht bleibt auch der ein oder andere Neubürger in Weggis hängen, der Steuern bezahlt.

Fast nebenbei erzählt Alice Stöckli, dass Weggis Event ihrem Betrieb eine Entschädigung von 9000 Franken bezahlt. Das ist nicht schlecht für zwei Wochen Mastentzug und ein willkommenes Zubrot angesichts des rückläufigen Umsatzes. Stöckli schaut unschuldig durch ihre asymmetrische Brille und sagt: "Wissen Sie, dem Herrn Steiner ging der Gestank schon länger auf die Nerven." Der Herr Steiner sitzt auf der anderen Straßenseite im obersten Stock der Thermoplan AG. Im Besprechungszimmer hängen die Pläne des neuen Fußballstadions.

Die Auswahl: Dubai, Algarve, Weggis

Eigentlich stellt das Unternehmen von Domenic Steiner Kaffeemaschinen für Großbetriebe wie Starbucks her. Aber das interessiert derzeit kaum jemanden. Stattdessen will jeder wissen, wie der mittelständische Unternehmer mit 85 Millionen Franken Umsatz dabei geholfen hat, die Fußballweltmeister in das 4000-Seelen-Dorf zu locken.

Steiner schmunzelt und erzählt die Geschichte bereitwillig. Sie beginnt bei der Sportvermarktungsagentur Attaro. Sie hatte schon länger Kontakt zum brasilianischen Fußballverband und suchte für die Kicker eine Unterkunft während der WM-Vorbereitung. Von 800 möglichen Orten blieben Dubai, die Algarve in Portugal und Weggis übrig.

Für das Schweizer Touristenörtchen sprach das Klima, weil es dem deutschen ähnlich ist. Außerdem können sich die Brasilianer dort sicher fühlen. Dass Steiner mit einem hochrangigen Attaro-Mitarbeiter befreundet ist, stand dem Deal vermutlich auch nicht im Weg. Attaro bezahlt dem brasilianischen Fußballverband eine Million Euro, damit die Edelkicker in die Schweiz kommen.

Rollrasen vom Feinsten

Im Gegenzug kassiert die Agentur für die Fernsehübertragungsrechte der Trainings und für die beiden Übungsspiele gegen die neuseeländische Nationalmannschaft und gegen den FC Luzern. Auch die Einnahmen aus dem Ticketverkauf für die Trainingsstunden gehen an Attaro. Die 40.000 Eintrittskarten zu 20 Franken waren innerhalb von zwei Tagen ausverkauft.

Beinahe wäre die Sache noch schief gegangen. Die Brasilianer hatten schon das Park Hotel, das einzige Fünf-Sterne-Haus unter den 30 Übernachtungsstätten in Weggis, als Herberge erkoren. Wo aber sollten sie trainieren? Nach Luzern geht es eine halbe Stunde mit dem Schiff über den Vierwaldstättersee oder 25 Kilometer auf der Landstraße rund um die Seespitze. "Ich habe nur einen Moment überlegt", erinnert sich Steiner. Dann hat er zugesagt, das Stadion der Weggiser Fußballer umzubauen. 1,3 Millionen Franken bezahlt er dafür.

400.000 Franken übernimmt Attaro. Statt 64 mal 100 Meter misst das Spielfeld jetzt 68 mal 105 Meter, so wie es die Fifa vorschreibt. Außerdem ist das Feld nun eben. Vorher glich es einem Acker. Der Rollrasen ist vom Feinsten, und der ehemalige Sportplatz Weiher heißt jetzt Thermoplan-Arena.

Ehrengäste im Kaffeemaschinen-Werk

Weitere 300.000 Franken hat es sich Steiner kosten lassen, den Neubau von Werk III schneller als geplant fertig stellen zu lassen. Wo demnächst ein Teil der 125 Mitarbeiter Kaffeemaschinen montiert, gastieren die Ehrengäste und 800 internationale Berichterstatter. Die Brasilianer bekommen dort ein eigenes Fitnesscenter.

Steiner lässt sich auf all das ein, weil er Thermoplan international bekannt machen will. Immerhin exportiert er 80 Prozent seiner Kaffeemaschinen. "Ich will auch etwas dafür tun, dass wir junge Leute ins Dorf bekommen", sagt er. Nach Weggis kämen Menschen "ab 45 bis unendlich".

Peter Kämpfer, Direktor des Park Hotels, freut sich auch über die Männer von der Copacabana. Die brasilianische Delegation mit 60 Leuten mietet alle 43 Zimmer. Sie bezahlen nichts dafür. Die Rechnung von 500.000 Franken übernehmen die regionalen Tourismusverbände und Attaro.

Kleines Extra: Sandstrand mit Palmen

Außerdem erhöht Weggis während des brasilianischen Ausnahmezustands die Kurtaxe für alle Gäste, nur die Kicker bleiben von der Taxe verschont. Kämpfer hat einen siebenstelligen Betrag investiert, um den Wünschen der Stars zu entsprechen. Längere Betten, ein Zimmer für Computerspiele, ein Sandstrand mit Palmen, das kostet eben.

Kämpfer hofft natürlich auch, dass die Brasilianer das Hotel bekannter machen. Einen ersten Test hat er schon vorbereitet. Sobald die Weltmeister nach Deutschland abreisen, lässt er sieben Zimmer zum Anfangspreis von 200 Franken für eine Nacht über Ebay versteigern. Die Rechnung könnte aufgehen. Die Tickets für das Trainingslager kosten im Internet bereits 150 Franken.

© SZ vom 13.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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