WM 2006:Freies Spielfeld

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Nach einem Jahr zäher Verhandlungen kaufen die öffentlich-rechtlichen Sender den größten Teil der Fußball-Weltmeisterschaft.

Von Klaus Ott

Die Boulevardpresse schäumte. "TV-Skandal", titelten die bunten Blätter zu Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in Asien. Jene drei Millionen Zuschauer, die schon auf das neue Digitalfernsehen umgestiegen waren, mussten bei ARD und ZDF mit alten Filmen statt aktueller Übertragungen vorlieb nehmen.

Alle Spiele der deutschen National-Elf werden von den Öffentlich-Rechtlichen übertragen. (Foto: Foto: AP)

Die meisten Spiele waren ohnehin für den Abosender Premiere reserviert, darunter sogar Spitzenbegegnungen wie England gegen Argentinien.

Die Intendanten hatten mit dem Münchner Medienhändler Leo Kirch, dem damaligen Inhaber der WM-Rechte, schlecht verhandelt und zahlten Höchstpreise für wenig Ware. Und das auf Kosten der eigenen Kundschaft, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit der Rundfunkgebühr finanziert.

Saban geht leer aus

Die WM 2006 in Deutschland werden die TV-Zuschauer, aller Voraussicht nach, nun entspannt genießen können. ARD und ZDF kauften am Montag in München nach einem knapp einjährigen Verhandlungsmarathon von der Schweizer Sportagentur Infront 48 der 64 Spiele zum Gesamtpreis von knapp 230 Millionen Euro plus Mehrwertsteuer — darunter fast alle Top-Partien.

Die restlichen Begegnungen sind je zur Hälfte für RTL und Premiere vorgesehen. Zwischen Infront-Direktoren und RTL-Managern soll es schon einen "Handschlag" für acht Sonntagsspiele gegeben haben, für sechs Begegnungen aus der Gruppenrunde und zwei Achtelfinalspiele. Eine Art "Super Sunday" bei RTL.

Premiere wiederum darf wahrscheinlich alle Partien präsentieren, aber nur acht davon exklusiv. Und zwar jene am Ende der Gruppenphase, die zeitgleich mit anderen Spielen stattfinden. Wobei die Anstalten bei diesen Parallel-Ansetzungen das Erstwahlrecht haben, also die jeweils attraktiveren Begegnungen übertragen.

Von den großen Sendern ginge nur Sat 1 leer aus - und das, obwohl sich doch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber zuletzt heftig für eine WM-Teilnahme von Haim Saban eingesetzt hatte, dem neuen Hauptaktionär der in München ansässigen Pro Sieben Sat 1 Media AG. Die WM-Rechte gehörten aber nicht der bayerischen Staatskanzlei, hieß es spöttisch in der ARD.

Nach der Pleite von CSU-Freund Kirch gingen die TV-Lizenzen für das Fußball-Fest in die Schweiz, zur Agentur Infront um Adidas-Aktionäre Robert Louis-Dreyfuß und Ex-Nationalspieler Günter Netzer.

Die beiden Infront-Investoren eilten am Montag nach München, wo sie mit ARD-Chef Jobst Plog und ZDF-Intendant Markus Schächter die letzten Details regelten.

Anschließend unterschrieben Dreyfuß, Plog und Schächter den 28-seitigen WM-Kontrakt und genehmigten sich hinterher gemeinsam mit Netzer ein Gläschen Sekt.

Das Vertragswerk bringt Infront viel Geld, wenn auch weniger als erhofft - und es bringt die Anstalten anders als das missratene Abkommen für die WM 2002 wieder zurück in die erste Reihe.

"Live und frei" laute das TV-Motto für das Turnier in Deutschland, frohlockt Schächter. "Wir werden alles tun, um das Spitzenereignis im eigenen Lande zu einem Spitzenerlebnis für ganz Deutschland zu machen."

Laut Vertrag zeigen die Anstalten

- das Eröffnungsspiel - alle Auftritte der automatisch qualifizierten deutschen Nationalelf - 34 der 48 Gruppenspiele - sechs der acht Achtelfinalspiele - alle Begegnungen ab dem Viertelfinale bis zum Endspiel.

Und sollte die deutsche Elf ins Achtelfinale kommen und dort eines der beiden Sonntagsspiele bestreiten, wäre auch diese Begegnung in ARD oder ZDF zu sehen, als 49. Partie.

180 Millionen Euro — plus 50 Millionen Euro

Außerdem können die Anstalten über die übrigen Begegnungen ausführlich informieren, nach deren Ausstrahlung im Privatfernsehen.

Zum Vergleich: Aus Japan und Südkorea zeigten ARD und ZDF nur 26 Spiele und durften hinterher nur von diesen wenigen Begegnungen noch einige wenige Minuten in den Nachrichtensendungen berichten.

Kirchs Knebelvertrag zwang die Anstalten sogar, sich ausgerechnet beim Digital-TV auszublenden, dem vermeintlichen Fernsehen der Zukunft. Die digitale Ausstrahlung hätte Kirchs Chancen gemindert, die WM 2002 an Abosender in Nachbarländer zu verkaufen.

Dem Medienhändler half aber auch das nicht mehr, und viele Zuschauer waren sauer. Beim Turnier 2006 kann das laut Vertrag nicht mehr geschehen. Alles ist inklusive, auch das Digital-TV.

Die Anstalten, letzten Endes also die Gebührenzahler, wenden schließlich viel Geld auf: Knapp 180 Millionen Euro für die WM 2006 und nachträglich 50 Millionen Euro für das Turnier 2002 in Asien. Diesen Zuschlag hatten Infront-Vorgänger Kirch und die Intendanten für den Fall ausgehandelt, dass ARD und ZDF auch bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land dabei sein werden.

Das Ergebnis vom Montag kann sich aus Sicht der Anstalten sehen lassen, ARD-Chef Plog und ZDF-Intendant Schächter sprechen von einem vertretbaren Preis - für 2006. Dann kostet sie ein Spiel im Schnitt knapp 3,6 Millionen Euro; in Asien waren es fast fünf Millionen Euro. Aus dem damaligen Desaster hatten die Intendanten gelernt und dieses Mal Profis verhandeln lassen, zuletzt auch ihre neue Sportchefin Dagmar Brandenstein. Sie hat ihr Handwerk bei Kirch gelernt.

Privater Handschlag

225 bis 235 Millionen Euro hatten die Anstalten, die alle Spiele kaufen wollten, stets als Obergrenze genannt. Infront verlangte mindestens 300 Millionen Euro.

Als die Gespräche sich im Kreis drehten, verständigen sich die Anstalten und Infront auf ein neues Modell: Gleicher Preis, aber weniger Spiele, so dass Netzer und Partner einen Teil der WM an RTL und Premiere verkaufen können. Auf diese Weise mussten die Intendanten ihr Angebot nicht erhöhen und sind laut Schächter nun zuversichtlich, dass "die medienpolitische Debatte um eine Gebührenerhöhung nicht erschwert wird".

Umgekehrt dürfte RTL froh sein, beim Ereignis des Jahrzehnts in Deutschland dabei zu sein, auch wenn der Bertelsmann-Kanal sich am Montag zum offenkundigen Handschlag-Deal mit Infront nicht äußern wollte. Und der Weltfußballverband Fifa spielt auch mit.

Die Fifa hat ARD und ZDF den Zugriff auf die 48 Spiele schriftlich garantiert, für den Fall, dass nach Kirch auch Infront pleite gehen sollte. Die Intendanten sind vorsichtig geworden.

© SZ vom 18.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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