Auf dem Weg ins selbstgebastelte Steuerparadies kommt man an den großen Beratungsfirmen nicht vorbei. Sie wissen am besten, wie man staatliche Steuergesetze gegeneinander ausspielt, wie Konzerne Milliarden kreativ hin- und herschieben können, um ihre Schuld beim Fiskus möglichst gering zu halten. Veröffentlichungen wie die Luxemburg-Leaks, die in den vergangenen Jahren die Steuertricks multinationaler Konzerne öffentlich machten, haben daran kaum etwas geändert. Es sind die wichtigsten Wirtschaftsprüfer der Welt, für die gleichzeitig Steueroptimierung zum Tagesgeschäft gehört. Zumindest daraus machen sie kein Geheimnis.
Eine bislang unveröffentlichte Studie im Auftrag der Linken im Europaparlament zeigt auf, wie undurchschaubar diese Firmen aufgebaut sind. Die Strukturen der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften - bekannt als "Big Four" - ermöglichen es demzufolge erst, zweifelhafte Steuertricks zu verstecken. Es ist das vielleicht größte Paradoxon der globalisierten Wirtschaft im 21. Jahrhundert: Ausgerechnet jene Firmen, die ein funktionierendes System garantieren, bauen Konzernmanagern legale Taschenspielertricks, um Milliarden vor dem Staat zu verstecken.
Die "Big Four" durchleuchten andere, verheimlichen selbst aber vieles
In der Studie wirft der britische Ökonom und Steuerexperte Richard Murphy den Wirtschaftsprüfern von Deloitte, Pricewaterhouse Coopers (PwC), KPMG und EY (früher Ernst&Young) vor, nicht exakt über das Ausmaß ihres globalen Geschäfts zu berichten. Murphy fand heraus, dass sie alle in mehr Staaten tätig sind, als sie in ihren Jahres- und Transparenzberichten vorgeben. Oft sei nicht ersichtlich, was sie in einzelnen Ländern genau tun. Über mehrere Monate durchforstete er mit einer Kollegin diese Berichte, stöberte in Unternehmensregistern und auf Webseiten. Es war ein Versuch, die weltweiten Netzwerke der "großen Vier" komplett zu erfassen.
Die Daten zeigen: Alle vier Firmen unterhalten zahlreiche Büros in Steueroasen und Offshore-Zentren - und beschäftigen im Verhältnis zu Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung ausgerechnet dort am meisten Mitarbeiter. Im Schnitt arbeiten etwa zehn Prozent der Angestellten in Steueroasen und an Offshore-Finanzplätzen, deren volkswirtschaftliche Bedeutung eher gering ist. In 43 von 53 Steuerparadiesen, die Murphy als solche klassifiziert, findet man Büros von mindestens einer der Firmen. "Über die Rechenschaftspflicht des globalen Kapitalismus bestimmen Firmen, deren eigene Operationen in beträchtlichem Maßstab undurchsichtig bleiben", kritisiert der Londoner Professor, der einst selbst bei einer Vorgängerfirma von KPMG als Steuerberater gearbeitet hat.
Der Linken-Abgeordnete Fabio de Masi ist Vizevorsitzender des Untersuchungsausschusses zu Geldwäsche, Steuerhinterziehung und -vermeidung im EU-Parlament. Er sagt: "Die vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind die Drückerkolonne von Schattenfinanzplätzen und Steueroasen." Mit ihrer konfusen Firmenstruktur schützten sie sich und ihre Kunden vor regulatorischer Kontrolle und verschleierten die Größe ihrer Tätigkeiten und Gewinne - gerade an Orten wie Luxemburg, Cayman Islands oder den Bermudas.
Ohne die größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften würde die globale Marktwirtschaft nicht funktionieren. Die "Big Four" sind tatsächlich globale Giganten: Mit fast 900 000 Beschäftigten in mehr als 180 Ländern machen sie in jedem Jahr mehr als 120 Milliarden Euro Umsatz; Konzernabschlüsse oder konsolidierte Bilanzen aber gibt es nicht. Die Prüfer durchleuchten das Zahlenwerk von Weltkonzernen und Familienunternehmen und die Bilanzen von Verbänden und Firmen im öffentlichen Sektor, sie geben sogar Regierungen Ratschläge für neue Steuergesetze.
Bis auf wenige Ausnahmen prüfen sie alle börsennotierten deutschen Unternehmen, weltweit haben sie einen Marktanteil von mehr als zwei Dritteln. Die Prüfer entscheiden, ob Jahresabschlüsse stimmen. Sie stellen sicher, dass Investoren darauf vertrauen können, was Konzerne veröffentlichen. Die Politik bemüht sich derweil um Transparenz: Am Dienstag hat das EU-Parlament seine Position zur länderübergreifenden Finanzberichterstattung beschlossen. Große, grenzüberschreitend tätige Unternehmen sollen künftig ihre wichtigsten Steuerdaten nach Ländern veröffentlichen. Dazu brauchen sie auch die Beratung der großen Vier - und die können ihre eigenen Daten weiter verschleiern.
Denn sie wirken nur auf den ersten Blick wie global integrierte Firmen. Als Arbeitgeber und von Kunden lassen sie sich auch gern so wahrnehmen. In Wirklichkeit bestehen sie aus Netzwerken regionaler Mitgliedsfirmen, die nicht füreinander haften - das betonen sie, wenn man zwischen Steueroptimierung und Wirtschaftsprüfung Interessenkonflikte vermutet. KPMG etwa besteht laut Murphy aus 58 Gesellschaften und ist in mehr als 150 Ländern aktiv. In vielen Fällen gelang es ihm nicht, den rechtlichen Status einer KPMG-Abteilung in einem Land zu bestimmen und herauszufinden, zu welchem Mitglied sie gehört. "Große Teile des KPMG-Netzwerks sind öffentlich nicht nachvollziehbar", schreibt Murphy. Das gelte für die anderen Netzwerke in ähnlicher Weise.
"Um effektiv gegen Steuerflucht vorzugehen, müssen wir zuerst diese Firmen anders behandeln"
Mit den Ergebnissen der Studie konfrontiert, antworten PwC, EY und KPMG ausweichend und widersprechen den Vorwürfen: Sie verweisen auf ihre Jahres- und Transparenzberichte und internen Richtlinien. Zur Frage, warum das Netzwerk relativ zur Bevölkerungsgröße in Steueroasen mehr Menschen beschäftigt, heißt es bei PwC und EY, das könne man nicht nachvollziehen. EY argumentiert, erst durch die Netzwerk-Struktur sämtliche länderspezifisch unterschiedlichen rechtlichen und regulatorischen Vorgaben erfüllen zu können. Deloitte äußerte sich nicht.
So wie andere Experten fordert Murphy anhand der Ergebnisse, die Wirtschaftsprüfung und das Beratungsgeschäft strikt zu trennen, die Firmen also aufzuspalten. Derartige Firmennetzwerke sollten als global integrierte Konzerne reguliert, als solche zu konsolidierten Finanzberichten verpflichtet werden und exakte länderspezifische Daten veröffentlichen müssen. Zudem plädiert er für die Einführung einer EU-Lizenz mit strengen Auflagen - bislang ist die Regulierung der Wirtschaftsprüfer weitgehend Sache der Mitgliedstaaten. "Wenn wir effektiv gegen Steuerflucht vorgehen wollen, müssen wir zuerst diese Firmen anders behandeln", sagt Murphy.