Wirtschaftskrise in Kalifornien:Arnies Pepsodent-Lächeln

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Arbeitskämpfe und Arbeitslosigkeit in Kalifornien - von dem von Arnold Schwarzenegger versprochenen Wirtschaftsaufschwung ist nicht viel zu spüren. Außer einigen spektakulären PR-Erfolgen habe der Gouverneur bisher nicht viel erreicht, monieren Kritiker.

Von Andreas Oldag

Rickey Bates ist stocksauer. Er redet sich in Rage. "Wir müssen für die Krankenversicherung immer mehr zahlen. Ich weiß nicht, wie meine Familie noch über die Runden kommen soll", schimpft der 38-jährige Hotelangestellte.

Kämpft gegen Altlasten: Kaliforniens Gouverneuer Arnold Schwarzenegger. (Foto: Foto: AP)

Zusammen mit 4300 Mitarbeitern von 14 großen Hotels in San Francisco hatte Familienvater Bates über einen Monat lang gestreikt. Tag und Nacht hatten sie mit großen Plakaten vor den Eingangstüren der Nobelherbergen protestiert und mit Rasseln und Kochtopf-Trommeln auf sich aufmerksam gemacht.

Die Wut der Streikenden

Gästen und Nachbarn ging der Lärm auf die Nerven. Doch die Wut der Streikenden, die von den Hoteliers ausgesperrt waren, konnte das nicht bremsen.

Es war einer der erbittertsten Arbeitskämpfe der vergangenen Jahre in Kalifornien. In der vergangenen Woche beschlossen die Streikenden, ihren Arbeitskampf zunächst zu unterbrechen, um Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft und den Hotelbetreibern zu ermöglichen.

Doch Bates, der tagelang mit einem Megaphon vor dem Grand Hyatt Hotel in der Stockton Street stand und die schlechten Arbeitsbedingungen anprangerte, hat nicht viel Hoffnung. "Da wird nicht viel bei rauskommen. Wir müssen am Ende die Zeche zahlen. Und Gouverneur Schwarzenegger wird uns auch nicht helfen. Der steht auf Seiten der Unternehmer", befürchtet der Afro-Amerikaner.

273 statt zehn Dollar

Er rechnet vor, dass er statt zehn Dollar monatlich bald 273 Dollar für die Krankenversicherung zahlen soll, weil die Hoteliers den bislang gezahlten Arbeitgeberanteil drastisch zusammenstreichen wollen.

Arbeitskämpfe und Arbeitslosigkeit in Kalifornien - von dem von Gouverneur Arnold "Arnie" Schwarzenegger versprochenen Wirtschaftsaufschwung ist in diesen Tagen in San Francisco nicht viel zu spüren.

Büros stehen leer. Die großen Kaufhäuser wie Saks am Union Square melden im Weihnachtsgeschäft nur schleppende Umsätze. In den Straßen der Millionenmetropole, durch die in dieser Jahreszeit ein nasskalter Wind pfeift, hat die Zahl der Wohnungslosen zugenommen.

Lange Schlangen an den Suppenküchen

An den Suppenküchen von Kirchen und Wohltätigkeitsorganisationen, die Essen an Arme verteilen, bilden sich lange Schlangen.

Zwar haben die Ikonen der Computer- und Softwareindustrie wie der weltgrößte Chiphersteller Intel oder die Softwareschmiede Oracle, die ihre Zentralen im Silicon Valley haben, nach den mageren Jahren infolge des Börseneinbruchs 2001 und 2002 nun wieder satte Gewinne vermeldet.

Die meisten Unternehmen haben aber massiv Arbeitsplätze abgebaut. In der Bay Area, der städtischen Konglomeration, die mit ihren sechs Millionen Einwohnern von San Francisco im Norden bis San José im Süden reicht und die in den neunziger Jahren als Motor eines geradezu sagenhaften Wirtschaftsaufschwungs im Golden State galt, sind zwischen 2001 und 2003 etwa 450.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.

Job-Export nach China und Indien

Hart getroffen hat es die einst gut verdienenden Computerspezialisten. Immer mehr Jobs werden nach Indien und China verlagert, wo Programmierer zu einem Bruchteil der amerikanischen Löhne arbeiten.

Die Zweifel wachsen, ob der gebürtige Österreicher und ehemalige Actionfilm-Darsteller Schwarzenegger, der im vergangenen Jahr nach einem acht Millionen Dollar teuren Werbefeldzug einen furiosen Wahlsieg errang, Kalifornien wieder nach vorne bringen kann.

Zwar hat sich der Ex-Terminator mit seiner hemdsärmeligen Art viel Lob eingehandelt. Auch hat der Republikaner einen illustren Kreis von Wirtschaftsberatern um sich geschart, wie beispielsweise Michael Boskin, der dem ehemaligen US-Präsidenten George Bush Anfang der neunziger Jahre im Weißen Haus diente.

Rastlos durch die Welt

Rastlos reist Schwarzenegger, dem sogar Ambitionen auf das amerikanische Präsidentenamt nachgesagt werden - wozu allerdings die US-Verfassung geändert werden müsste - neuerdings in der Welt herum, um für sich und den Wirtschaftsstandort Kalifornien zu werben.

Mit dem japanischen Premierminister Junichiro Koizumi ließ sich der 57-jährige Action-Held händeschüttelnd ablichten. Überlebensgroß prangte Arnie an einer Plakatwand in Tokio. Und nächstes Jahr soll es mit dem Reisen weitergehen.

Doch was habe der Gouverneur eigentlich außer spektakulären PR-Erfolgen erreicht, fragte jetzt ein kritischer Kommentator der Tageszeitung San Francisco Chronicle und gab sich gleich selber die Antwort: Arnie glänze vor allem mit seinem permanenten Pepsodent-Lächeln.

Pünktliche Verabschiedung des Haushalts

Gewiss: Im Frühjahr gelang dem begnadeten Selbstdarsteller, der Bürokraten und Miesmacher als "Girlie-men" (auf deutsch: Weicheier) bezeichnet, die pünktliche Verabschiedung des Haushalts.

Um das gigantische Defizit zu verringern, ließ Schwarzenegger Schulden in langfristige Anleihen im Werte von 15 Milliarden Dollar umwandeln. Das schafft zwar kurzfristig eine Atempause, doch irgendwann müssen die Kalifornier die Rechnung begleichen. Dabei droht im nächsten Jahr schon wieder eine Haushaltslücke von 6,7 Milliarden Dollar.

Jahrelang hat Kalifornien über seine Verhältnisse gelebt. Jetzt muss eisern gespart werden. Zur politischen Nagelprobe dürfte für Schwarzenegger, der Anfang Januar den Haushaltsentwurf 2005/2006 vorstellen wird, die Sanierung der Sozialversorgung für Arbeiter und die überfällige Reform der teuren und anfälligen Energieversorgung werden.

"Strukturelles Ungleichgewicht"

Das unternehmensnahe Institut Ucla Anderson warnt vor den Folgen, wenn es der Regierung nicht gelingt, das "strukturelle Ungleichgewicht" der öffentlichen Finanzen wieder ins Lot zu bringen.

Städte und Gemeinden würden angesichts der Schuldenlast ihren finanzpolitischen Spielraum verlieren, zum Beispiel die Infrastruktur zu modernisieren und die Beschäftigung anzukurbeln, meint Ucla-Volkswirt Joseph Hurd.

Ähnlich wie Präsident George W. Bush, der mit einem Rekorddefizit des amerikanischen Haushalts zu kämpfen hat, muss Schwarzenegger darauf vertrauen, dass die Konjunktur noch einen Gang zulegt, um nicht zum letzten Mittel der Steuererhöhungen zu greifen.

Vertrauen auf die eigene Kraft

Trotz dieser Probleme vertraut man in Kalifornien aber immer noch auf die eigene Kraft. Die Menschen eifern dem amerikanischen Leitbild einer Selfmade-Karriere nach.

Dieser unerschütterliche Optimismus wird vor allem auch von den jungen Immigranten befördert, die aus Lateinamerika, aber im zunehmenden Maße auch aus China kommen. "Kalifornien macht eine Durststrecke durch. Es ist ein wirtschaftlicher Umbruchsprozess. Aber neue Technologien und Erfindungen sind bereits in der Pipeline", meint der Chef der Europäisch-Amerikanischen Handelskammer, Hans Niebergall, in San Francisco.

Ein schmuckloser Betonbau an einer Ausfallstraße von Foster City in der Bay Area mag dafür ein Prototyp sein. Dort ist die Zentrale der Biotechnologiefirma Applied Biosystems untergebracht. AB stellt Analysegeräte zur Entschlüsselung der menschlichen Erbstruktur her. Die Apparate, die rund 300.000 Dollar pro Stück kosten, werden in der Grundlagenforschung, aber auch in der Kriminalistik eingesetzt.

Weltweit Marktführer

Das kalifornische Unternehmen, das einen Jahresumsatz von knapp 1,74 Milliarden Dollar und einen Gewinn nach Steuern von 183 Millionen Dollar erwirtschaftet, ist in diesem Bereich weltweit Marktführer.

In den fensterlosen Labors arbeitet ein hochmotiviertes internationales Forscherteam. Dazu gehört auch der deutsche Chemiker Stefan Matysiak. "Es ist eine multikulturelle Atmosphäre, wie man sich das eigentlich immer vorstellt", sagt Matysiak, der in Deutschland studiert hat und seit vier Jahren in den Vereinigten Staaten arbeitet.

Die Biotechnologie ist nach Meinung von Experten die künftige Wachstumsbranche in Kalifornien, die schon bald die Computer- und Softwareindustrie in puncto Innovation ablösen könnte.

250 Biotechnologie-Unternehmen in Bay-Area

Mehr als 250 Unternehmen der Branche haben sich in der Bay Area angesiedelt. Auch große Pharmakonzerne wie die deutsche Boehringer Ingelheim und die britische GlaxoSmithKline haben Niederlassungen eröffnet.

Sie alle profitieren von einem pragmatischen Kurs Kaliforniens im Bereich der menschlichen Stammzellenforschung, von der sich viele Experten Hilfe bei der Bekämpfung von Krebskrankheiten und Therapie von Querschnittsgelähmten versprechen.

Während sich die Bush-Regierung aus religiösen und ethischen Gründen für strenge Restriktionen ausgesprochen hat, votierten die Kalifornier bei einer Volksabstimmung anlässlich der Präsidentschaftswahl Anfang November für eine milliardenschwere, öffentliche Forschungsförderung.

"Stammzellen-Bonanza"

Insgesamt sollen drei Milliarden Dollar in den nächsten Jahren in die Forschung gepumpt werden. Das Wirtschaftsmagazin Business Week prophezeite bereits eine "Stammzellen-Bonanza", mit der sich Kalifornien im Bereich der Biotechnologie weltweit den Spitzenplatz sichere.

Kein Zufall, dass die großen Investmentbanken an der Wall Street jetzt ein lukratives Geschäft wittern, wenn die jungen Biotechnologiefirmen in einigen Jahren aufs Börsenparkett wollen.

Angesichts dieser rosigen Aussichten erscheint der Internet-Suchmaschinenanbieter Google, der im Sommer dieses Jahres einen milliardenschweren Börsengang unternahm, schon fast als ein Repräsentant einer Alt-Technologie aus dem vergangenen Jahrhundert.

© SZ vom 20.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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