Wirtschafts-Nobelpreisträger in Lindau:Nachzügler am Bodensee

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Ökonomen fehlten bislang bei den legendären Nobelpreisträgertreffen in Lindau. Doch das ändert sich in diesem Jahr.

Von Nikolaus Piper

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist ein Nachzügler. Der erste Nobelpreis für Physik wurde gemäß dem Testament des schwedischen Industriellen und Chemikers Alfred Nobel bereits 1901 verliehen.

Die Ökonomen folgten zwei Generationen später: Die ersten beiden Preisträger waren 1969 der Norweger Ragnar Frisch und der Niederländer Jan Tinbergen.

Eigentlich handelt es sich dabei auch gar nicht um einen echten Nobelpreis, da er nicht von Alfred Nobels Stiftung getragen wird, sondern von der schwedischen Zentralbank. Deshalb heißt er offiziell: "Preis der Bank von Schweden für Wirtschaftswissenschaften zum Gedächtnis von Alfred Nobel".

So ist es nur logisch, dass die Ökonomen bisher bei den legendären Nobelpreisträgertreffen in Lindau fehlten. Dies ändert sich in diesem Jahr.

Vom Donnerstag bis Samstag dieser Woche kommen zehn Nobel-Ökonomen mit 183 Nachwuchs-Wissenschaftlern aus insgesamt 34 Ländern zusammen. Das ist immerhin ein Drittel aller noch lebenden Laureaten.

Zu den Gästen gehören der inzwischen 80-jährige Wachstumstheoretiker Robert M. Solow (Nobelpreis 1987), der Geldtheoretiker Robert Mundell (1999) und die beiden 1994 ausgezeichneten Spieltheoretiker Reinhard Selten von der Universität Bonn und John F. Nash, über dessen schwieriges Leben am Rande des Wahnsinns ein Film gedreht wurde (A Beautiful Mind).

James M. Buchanan, 84, der 1986 für seine Beiträge zur Theorie der Wahlhandlungen ausgezeichnet wurde, sagte kurzfristig wegen Krankheit ab. Der 89-jährige Paul Samuelson (1970), Autor eines der erfolgreichsten Wirtschaftslehrbücher aller Zeiten, lässt in Lindau einen Text verlesen.

Nach der Stunde Null

Die Nobelpreisträger-Treffen in Lindau sind ein Erbe der Stunde Null in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

Anfang 1949, Lindau lag damals in einer französisch besetzten Sonderzone, hatte Gustav Parade, ein angesehener Internist am Lindauer Kreiskrankenhaus, die Idee, mit einer internationalen Medizinertagung die durch den Nationalsozialismus entstandene Isolation der deutschen Wissenschaft zu überwinden.

Die Tagung - es ging dabei um Tuberkulose - fand im Herbst 1949 statt und brachte immerhin Ärzte aus allen drei Anrainerstaaten des Bodensees nach Lindau.

Aber Parade wollte mehr: Er tat sich mit dem Gynäkologen Franz Karl Hein zusammen, der im Lindauer Stadtrat saß und bat außerdem den Chemie-Nobelpreisträger von 1939, Adolf Butenandt, um Unterstützung.

Sie initiierten das erste echte Nobelpreisträger-Treffen im Juni 1951. Entscheidend für den Erfolg war die Tatsache, dass auf der Insel Mainau am anderen Ende des Bodensees Graf Lennart Bernadotte residierte, ein Onkel des heutigen schwedischen Königs, der über gute Verbindungen zum Nobel-Komitee verfügte.

Graf Bernadotte wurde "Ehren-Protektor" der ersten Tagung, seine Frau, Gräfin Sonja Bernadotte, ist heute die Präsidentin des Kuratoriums für die Tagungen.

Das Lindauer Treffen ist längst zu einer festen Institution im internationalen Wissenschaftsbetrieb geworden - allerdings nur für Mediziner, Physiker und Chemiker, nicht berücksichtigt wurden dagegen die Literatur- und Friedensnobelpreisträger - und eben die Ökonomen.

Was nicht bedeutet, dass Ökonomen Lindau gemieden hätten. Das Treffen zog immer wieder Politiker und Wissenschaftler aus anderen Fächern an. Ragnar Frisch, einer der beiden ersten Wirtschafts-Nobelpreisträger war schon 1971 da, später kamen James Buchanan und Friedrich von Hayek.

Seit dem Jahr 2000 wird das Treffen von einer Stiftung getragen, die dessen wirtschaftliche Zukunft sichern soll. Vorsitzender ist der Ökonom Wolfgang Schürer aus St. Gallen; er hat dort in 25 Jahren das Internationale Management-Symposium aufgebaut.

Stiftung und Kuratorium suchten nach einer Strategie, um die Attraktivität Lindaus im Wettbewerb mit anderen Tagungen zu erhöhen: Europa soll sich als attraktiver Standort präsentieren, der Austausch der Wissenschaftler untereinander soll zu einem "Dialog der Kulturen" erweitert werden. Dabei spielen nicht nur die Natur-, sondern zunehmend auch die Sozialwissenschaften eine Rolle.

Exklusive Debatten

All dies führte konsequenterweise zu dem Beschluss, die Ökonomen in die Lindauer Treffen mit einzubeziehen. Dem Kuratorium hinzugewählt wurde daraufhin der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Martin Hellwig, derzeit Vorsitzender der deutschen Monopolkommission.

Kern der Tagung ist die Begegnung der Nobelpreisträger mit Nachwuchswissenschaftlern. Letztere wurden in einem strengen Auswahlverfahren nominiert: Sie brauchten die Empfehlung eines Referenzprofessors, sie sollten sich in den Veröffentlichungen einiger Preisträger auskennen und selbst schon über relevante volkswirtschaftliche (und nicht betriebswirtschaftliche) Themen gearbeitet haben.

Besonders eingeladen sind auch junge Ökonomen aus 25 Notenbanken - ein Nebeneffekt der Tatsache, dass die Bank von Schweden einst den Wirtschafts-Nobelpreis gestiftet hat.

Das Angebot für die jungen Ökonomen ist überaus attraktiv. Mit James Mirrlees (Nobelpreis 1996), Robert Merton (1997), Daniel McFadden (2000) und Robert Fogel (1993) können sie am Donnerstag über "Innovationsanreize und die Zerstreuung von Wissen" diskutieren.

Die spannendsten Debatten dürften aber in kleinen Runden unter Ausschluss der Presse stattfinden: Robert Mundell erläutert das Modell einer Weltwährung, Robert Solow analysiert die Lage von Geringverdienern in reichen Ländern, Robert Fogel spricht über den Erfolg der asiatischen Volkswirtschaften.

Zum Abschluss diskutieren drei Nobelpreisträger mit Journalisten über die "Kommunikation und Interaktion zwischen Ökonomen und Entscheidungsträgern".

Und das alles soll kein einmaliges Ereignis sein - das nächste Lindauer Ökonomentreffen soll im Sommer 2007 stattfinden.

© SZ vom 01.09.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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