Wilhelmshaven:Buddeln für die dicken Pötte

Lesezeit: 6 min

Weil die Häfen in Hamburg und Bremerhaven an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, machen sich Unternehmer und Politiker im Norden über Ländergrenzen hinweg für einen neuen Tiefseehafen in Wilhelmshaven stark. Denn das Wachstum des Containerverkehrs soll nicht allein nach Rotterdam abwandern.

Meite Thiede

Wenn Detthold Aden hohen Besuch bekommt, dann spendiert er dem zum Schluss gern einen Helikopter-Rundflug. Von oben kann der Chef der Bremer BLG Logistics Group nämlich am besten zeigen, wie der Bremerhavener Containerhafen boomt.

Braucht tiefe Gewässer: Ein Containerschiff überholt einen Schlepper. (Foto: Foto: dpa)

Wenn der Gast dann genug gestaunt hat, dreht der Pilot in Richtung Westen ab, und nach ein paar Minuten ist das Nachbarstädtchen Wilhelmshaven zu sehen. "Da unten", sagt Aden dann, "bauen wir jetzt noch so einen Hafen hin."

"Da unten" ist im Moment nur ganz viel Wasser zu sehen, und ein paar Löschbrücken für Tanker ragen ins Meer. Aber in Kürze entsteht dort eine Riesen-Baustelle, 2010 soll der Jade-Weser-Port, Deutschlands dritter großer Containerhafen, eingeweiht werden.

Handfeste wirtschaftliche Gründe

Dass sich ausgerechnet Aden - der Chef eines Bremer Staatsunternehmens - für ein niedersächsisches Projekt stark macht, hat handfeste wirtschaftliche Gründe. "Wir brauchen Wilhelmshaven, um auch nach 2010 noch weiter wachsen zu können", sagt der Manager.

Der internationale Containerverkehr wächst pro Jahr um durchschnittlich sieben bis acht Prozent und damit so schnell, dass die Kaianlagen in Bremerhaven und Hamburg bald schlapp machen.

In Bremerhaven stößt der nächste Hafenausbau schon an den Nationalpark Wattenmeer. Damit ist dann Schluss mit der Expansion. Hamburg kann gerade noch zwei Flächen zu Terminals umbauen, dann geht auch da nichts mehr.

Wunder im Norden

Und jetzt geschehen plötzlich Wunder im Norden: Man ignoriert die Landesgrenzen und "redet nicht mehr nur über gemeinsame Radwege", wie es ein Zyniker formuliert. Denn eines wollen sie alle an der Küste: Verhindern, dass das künftige Wachstum des Containerverkehrs an Deutschland vorbei und zum großen Wettbewerber Rotterdam geht.

Ein großer Hafen braucht aber auch ein leistungsstarkes Straßen- und Schienennetz im Rücken. Und deshalb macht Aden dieses Rundflüge: "Häfen sind für die ganze Wirtschaft wichtig", sagte zum Beispiel Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), als er wieder am Boden war. In ein paar Tagen steigt Aden mit Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) in den Hubschrauber.

"Eine zweite Gründung der Stadt"

Im Wilhelmshavener Rathaus wird der endgültige Planfeststellungsbeschluss für den Spätherbst "erhofft, ersehnt, erwartet". Dieser Hafen, schwärmt Oberbürgermeister Eberhard Menzel, "ist wie eine zweite Gründung der Stadt".

Der OB ist 20 Jahre im Amt und verwaltet seither den Mangel: In seinem 83.000 Einwohner-Städtchen am Jadebusen erreicht die Arbeitslosigkeit selbst in Sommermonaten fast 17 Prozent; nahezu jedes dritte Kind lebt an der Armutsgrenze.

Noch immer hat Wilhelmshaven nicht verkraftet, dass der Daimler-Konzern Anfang der neunziger Jahre seine Olympia-Werke dicht gemacht hat. Auf einen Schlag waren damals 1300 Arbeitsplätze weg.

400 neue Jobs

Deshalb ist der Hafen Menzels große Hoffnung. Dort werden immerhin 400 neue Jobs entstehen. Aber wenn es gut läuft, dann kommen noch ein paar tausend Arbeitsplätze dazu. Denn der Startschuss für den Bau "wird eine Initialzündung", glaubt Menzel und träumt davon, dass die Arbeitslosenquote auf sechs Prozent schrumpft.

Es gibt Gedankenspiele einiger Konzerne wie Eon Ruhrgas, Conoco Phillips oder Ineos über hohe Investitionen am Jadebusen. Wenn Menzel die alle zusammenzählt, kommt er auf 6,8 Milliarden Euro. Und das ist nicht nur für das strukturschwache Ostfriesland eine gewaltige Summe.

Aber es gibt auch Miesepeter, die sehen die Zukunft am Jadebusen ganz anders. In Hamburg zum Beispiel sagen sie gern, dass da oben sowieso nur eine "Container-Schleuse" entsteht, dass also die Container dort nur abgeladen und per Bahn oder Lastwagen abtransportiert würden. Der reine Umschlag der Stahlboxen aber schaffe keine Arbeitsplätze; moderne Terminals funktionierten nun mal fast schon vollautomatisch.

Träume nie so richtig erfüllt

Als Wilhelmshaven gegründet wurde, drehte sich auch alles um einen Hafen, aber die Träume von damals wurden nie so richtig erfüllt. Die Geschichte war so: 1853 kaufte Preußen dem Großherzogtum Oldenburg ein paar hundert Hektar Land am Jadebusen ab, um dort einen Kriegshafen für die preußische Marine zu bauen, und 1869 erhielt der Hafen von Kaiser Wilhelm I. den Namen Wilhelmshaven.

Noch heute ist die Stadt der größte Marinestützpunkt in Deutschland, wenngleich auch der schon um ein Drittel geschrumpft ist. Aber eine Hafenstadt, in der man den Duft der weiten Welt spürt, ist Wilhelmshaven nie geworden.

Auch der heutige Ölhafen wirkt eher trostlos. Das Öl wird ja auch per Pipeline gleich weitergeleitet. "Wilhelmshaven ist für die Marine entstanden und war immer eine Stadt des öffentlichen Dienstes", , sagt John Niemann.

Reeder in vierter Generation

Die Schifffahrt liegt dem 59 Jahre alten Bremer im Blut: Er ist Reeder in vierter Generation. Sein Urgroßvater war der Gründer der Reederei Sloman Neptun, und heute führt Niemann die Neptun Schifffahrts-Agentur, die die Schiffe ausländischer Reeder betreut, wenn die in Wilhelmshaven festmachen.

Niemann hat harte Pionierarbeit geleistet und gilt vielen als der wahre Vater der Idee Jade-Weser-Port. Zusammen mit zwei anderen Kaufleuten hat er vor 21 Jahren die Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung gegründet, die sich zur Aufgabe machte, aus "Schlicktown", wie die Hamburger damals gern lästerten, eine richtige Hafenstadt zu machen.

"Wir haben jahrelang auf dem Kopf gestanden, um in diese Stadt ein Hafenbewusstsein zu kriegen", sagt Niemann. Das bedeutete erst einmal: Aus der Denke des öffentlichen Dienstes eine maritime Mentalität zu machen. Denn mit Beamtentum kann sich kein Hafengewerbe entwickeln. So wurden plötzlich zum Beispiel die Schleusen geöffnet, über denen die Marine gewacht hatte.

Volle Auslastung in China

"Ich bin nicht der Schlaumeier, aber wir kennen doch das Geschäft", sagt Niemann. Durch seine Kontakte nach China hatte er früh begriffen, dass die chinesische Regierung Tempo machte beim Ausbau der eigenen Infrastruktur. Und er wusste, was auf den Werften in Asien los war: Volle Auslastung, und die Pötte wurden immer größer.

In der Containerschifffahrt rechnet man in TEU, das bedeutet Twenty foot equivalent unit, zu deutsch "20-Fuß-Container", und ist die Maßeinheit für die Kapazität eines Schiffes.

Als die größten Schiffe der Welt noch 3800 TEU groß waren, erzählt Niemann, baute der dänische Maersk-Konzern, größter Reeder der Welt, schon die ersten 6000 TEU-Schiffe. Heute können die Frachter fast 9000 Stahlboxen transportieren, und Maersk wird in den nächsten Wochen den ersten 405 Meter langen 13.000 TEU-Frachter vom Stapel lassen.

Niedrigwasser in Hamburg

Solche dicken Pötte können den Hamburger Hafen gar nicht mehr anlaufen. Dort steigt und fällt der Wasserspiegel mit Ebbe und Flut. Schiffe mit einem Tiefgang von 16 Metern haben bei Niedrigwasser nicht mehr genügend Wasser unterm Kiel.

"Ein neuer Hafen für Deutschland", sagt Niemann, "muss deshalb ein Tiefwasserhafen sein." Tiefes Wasser hat Wilhelmshaven schon, denn für die schweren Öltanker wird das Becken ständig auf 20 Meter Tiefe ausgebaggert.

Doch bevor es nun losgeht, muss noch über das Schicksal der Rohrdommel entschieden werden. Sie ist ein scheues Tierchen, und kaum jemand in Wilhelmshaven hat sie jemals zu Gesicht bekommen.

Vier Pärchen der Rohrdommel

Aber dort, wo in ein paar Jahren täglich ein paar Dutzend Güterzüge der Bahn vorbeirattern sollen, leben auf einer Brachfläche vier Pärchen dieser seltenen Spezies, in Nachbarschaft mit Tüpfelsumpfhühnern.

Bei dem vom Oberbürgermeister so heiß ersehnten Planfeststellungsbeschluss geht es nur noch darum, ob die Rohrdommeln in eine Ausgleichsfläche umziehen müssen oder hinter einer acht Millionen Euro teuren Mauer vor dem Krach geschützt werden. "Ich kann inzwischen über das Populationsverhalten der Rohrdommel einen Vortrag halten", stöhnt Menzel.

Aber noch mehr stört ihn jene Spezies von Gegnern, die unkündbare Jobs im öffentlichen Dienst haben und opponieren, wie der OB sagt, weil damit das letzte kleine Fleckchen Strand geopfert wird, das Wilhelmshaven hat. "Wir haben die Wahl: 45 Tage Badespaß oder 365 Tage Arbeit. Ich entscheide mich für die Arbeit. Das ist mein Auftrag."

Der typische Wilhelmshavener, sagt Menzel, betrachte neue Projekte mit Misstrauen. "Aber eine Käseglocke über der Stadt wird es mit mir nicht geben. So viele Chancen haben wir nicht." Heute, sagt der OB, müssten die Leute die Stadt verlassen, um Arbeit zu finden. "Aber jetzt können wir der Jugend eine Zukunft geben."

Kein typischer Wilhelmshavener

Christian Helten ist Wilhemshavener, aber kein typischer. Als er 1999 Abitur gemacht hat, fragte der Lehrer die Klasse, wer sich denn vorstellen könne, später einmal in Wilhelmshaven zu arbeiten. "Ich war der einzige, der sich gemeldet hat", sagt Helten.

Nach dem Wehrdienst bei der Marine studierte er Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft, und seit zwei Jahren ist er Assistent der Geschäftsführung der Jade-Weser-Port Realisierungs GmbH, die den Ländern Niedersachsen und Bremen gehört. "Ich habe immer an den Jade-Weser-Port geglaubt. Sonst wäre ich hier auch nicht gelandet."

Ein ausgebufftes Hafen-Gewächs

Heltens Chef ist Helmut Werner - kein Wilhelmshavener, aber ein ausgebufftes Hafen-Urgewächs. Seine erste Aufgabe hat Werner schon gelöst: Wer auf den Terminals das Sagen haben wird, steht nach einer Ausschreibung jetzt fest. Einfach war das offenbar nicht: "Wir haben den Betreibern den Roten Teppich ausgerollt", sagt Werner und meint damit zum Beispiel eine Konzession für 40 Jahre, Finanzierung über Erbbaurechte.

Gewonnen hat die Ausschreibung Eurogate, ein Joint Venture aus der Bremer BLG und der privaten Hamburger Hafengesellschaft Eurokai. Dass die beiden auch die Reederei Maersk mit 30 Prozent im Boot haben, gilt an der Küste als Joker. Damit ist schon mal klar, dass die neuen Mega-Schiffe der Dänen nicht Rotterdam ansteuern müssen, sondern in Deutschland festmachen können.

Doch dem OB der Stadt ist damit noch lange nicht geholfen. Ob aus dem neuen Hafen nur eine "Containerschleuse" wird oder doch ein pulsierendes Wirtschaftszentrum, ist mit der Einbindung von Maersk auch nicht gesichert.

Zauberwort Loco-Anteil

Das Zauberwort, das Arbeitsplätze schafft, heißt Loco-Anteil und meint jenen Anteil der umgeschlagenen Waren, der in der Region produziert, verarbeitet oder verbraucht werden.

"Wir sind Habenichtse", sagt der Hafenexperte Werner. In Wilhelmshaven liegt der Loco-Anteil nämlich vorerst bei null Prozent. In Hamburg, wo 125.000 Jobs am Hafen hängen, sind es 30 Prozent.

© SZ vom 12.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: