Wertheim-Erben erringen Sieg:Karstadt-Quelle drohen Forderungen in Millionenhöhe

Lesezeit: 2 min

Ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts gefährdet möglicherweise die Sanierung des angeschlagenen Karstadt-Quelle-Konzerns.

Von Annette Ramelsberger und Stefan Weber

Dem Kaufhaus-Konzern Karstadt-Quelle drohen weitere Belastungen in dreistelliger Millionenhöhe.

Die Sprecherin von bis zu 50 überlebenden Wertheim-Erben, Barbara Principe (74), Tochter von Günther Wertheim. Im Hintergrund ein Plakat mit dem ehemaligen Wertheim-Kaufhaus. (Foto: Foto: dpa)

Der Konzern erlitt am Freitag vor dem Verwaltungsgericht Berlin eine Niederlage gegen die Erben des Kaufhausgründers Wertheim. Die jüdische Familie war 1937 von den Nazis enteignet worden.

Das Gericht ließ keine Revision zu, Karstadt will die Entscheidung jedoch vom Bundesverwaltungsgericht überprüfen lassen.

Die Jewish Claims Conference, von der die Erben vertreten werden, warf dem Konzern "Verzögerungstaktik" vor, erklärte sich aber zu Verhandlungen bereit.

Das Urteil der Berliner Verwaltungsrichter gefährdet möglicherweise die Sanierung des angeschlagenen Karstadt-Quelle-Konzerns.

Gespräche abgelehnt

Aktuell muss der Handelskonzern zwar keine Entschädigung an die Jewish Claims Conference (JCC) zahlen, die Entscheidung zieht aber voraussichtlich weitere Forderungen in einer Größenordnung von bis zu 500 Millionen Euro nach sich.

Konzern-Sprecher Jörg Howe betonte, die Existenz des Unternehmens sei durch das Urteil nicht gefährdet. Der Kurs des Unternehmens brach nach der Entscheidung zeitweise um 4,95 Prozent ein.

Der Berliner Anwalt der Wertheim-Familie, Matthias Druba, appellierte an die neue Führung von Karstadt, das Urteil zu akzeptieren - auch, um sich nicht selbst zu schaden. "Der Kurseinbruch wäre nicht nötig gewesen, wenn sich der Konzern nicht allen Gesprächen verweigern würde", sagte Druba der Süddeutschen Zeitung.

Erst Anfang des Jahres habe die Jewish Claims Conference, die die Rechte der etwa 50 Wertheim-Erben wahrnimmt, noch einmal um Gespräche gebeten, Karstadt habe aber abgelehnt.

JCC-Vizedirektor Jürgen Roth erklärte, weitere juristische Händel seien nun "reine Verzögerungstaktik".

Sanierung "nicht zu Lasten der NS-Verfolgten"

Schon jetzt kündigte Anwalt Druba an, dass trotz der schwierigen Lage des Konzerns nicht mit Zugeständnissen der Erben zu rechnen sei. "Die Sanierung des Konzerns kann nicht zu Lasten der NS-Verfolgten erfolgen. Wir können Karstadt-Quelle das Geld nicht schenken."

Der größte deutsche Warenhaus- und Versandhandelskonzern war im vorigen Jahr nur deshalb der Insolvenz entgangen, weil die Beschäftigten auf Forderungen in Millionenhöhe verzichteten und die Aktionäre eine Kapitalerhöhung finanzierten. Zudem genehmigten die Banken einen größeren Kreditrahmen.

Dennoch ist die finanzielle Situation des Konzerns angespannt. Nach Angaben des Vorstands ist die Liquidität in diesem Jahr nur gesichert, wenn es gelingt, möglichst rasch Interessenten für die zum Verkauf stehenden Warenhäuser, Fachgeschäfte und Logistik-Aktivitäten zu finden.

Das Unternehmen hat wegen der Rechtsstreitigkeiten mit den Wertheim-Erben keine Vorsorge in der Bilanz getroffen. Um den finanziellen Spielraum zu vergrößern, verhandelt das Management seit Monaten über ein Darlehen von bis zu 500 Millionen Euro.

Doppelte Enteignung

"Das ist ein großer Tag für unsere Familie", sagte Barbara Principe, die Enkelin des Kaufhaus-Gründers, nach der Entscheidung. "Es sind die Opfer, und es ist nicht das große Handelsunternehmen, das beraubt worden ist."

Die Wertheims wurden Opfer einer doppelten Enteignung. Erst wurden ihre Kaufhäuser "arisiert", die jüdische Familie musste sie zu Spottpreisen verkaufen. 1945 enteigneten die Sowjets die im Osten liegenden Grundstücke. 1951 machte der frühere Justiziar der Firma den in die USA geflohenen Erben weis, es sei alles zerstört.

Er kaufte ihnen die Ansprüche auf Wiedergutmachung für ein paar Tausend Dollar ab. Sodann verkaufte der Justiziar die Wertheim-Anteile an die Hertie-Kaufhausgruppe, die später im Karstadt-Quelle-Konzern aufging.

Formaler Inhaber der Rechte der Wertheim-Erben ist die Jewish Claims Conference. Die Erben hatten bis in die neunziger Jahre hinein nichts davon gewusst, dass sie noch Ansprüche in Deutschland hatten. Barbara Principe hatte nur von einem Kaufhaus der Familie gehört, das im Krieg zerstört worden sei.

Betroffen von der Entscheidung ist nun auch das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, in dem die Bibliothek des Bundestags untergebracht ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Ansprüche der Erben allerdings bereits vor einigen Jahren anerkannt und setzt seitdem auf Verhandlungen.

© SZ vom 5.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: