Weltsozialforum in Bombay:Stolperstein auf dem Weg ins Steuerparadies

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Das Netzwerk der Globalisierungskritiker, die für Gerechtigkeit auf der ganzen Welt kämpfen, wächst.

Von Manuela Kessler

Stimmgewalt ist gefragt. Im Seminarraum A24, einem überdachten Geviert aus Jutebahnen, die sich über Holzplanken spannen, funktioniert die Lautsprecheranlage nicht und von den umliegenden Räumen schallen Wortfetzen hinüber.

Die Referenten des Seminars über "die Bekämpfung der Steuerhinterziehung und des Steuerwettbewerbs", das auf dem Weltsozialforum in der indischen Finanzmetropole Bombay stattfindet, müssen ihre Stimmbänder quälen.

Gefüllte Reihen

Die Stuhlreihen, vor denen die Vertreter der Bürgerbewegung Attac Deutschland, der Swiss Coalition von Hilfswerken und des Internationalen Netzwerks für Steuergerechtigkeit sitzen, sind gefüllt. Der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat in Bombay soeben den Steuerwettbewerb angeprangert als "Aushöhlung des Staates".

Das schweizerische Bankgeheimnis bezeichnete der einstige Chefökonom der Weltbank als "Skandal". Die Steuerhinterziehung ist den Globalisierungskritikern ein Dorn im Auge. Sie beklagen, dass die weltweite Liberalisierung der Kapitalflüsse und die Revolution im Kommunikationsbereich der Steuerflucht in den letzten zwanzig Jahren Vorschub geleistet hat.

Beliebte Cayman-Inseln

"Microsoft, im Besitz von Bill Gates, des wohlhabendsten Mannes der Welt, wies 1999 einen Umsatz von 12,3 Milliarden Dollar aus", erläutert Lucy Komisar, eine New Yorker Wirtschaftsjournalistin, den Seminarteilnehmern. "Steuern bezahlte der multinationale Konzern dafür keine."

Wie ist das möglich? Durch die Flucht ins Steuerparadies, sagt die amerikanische Aktivistin. Fast ein Drittel der in den USA tätigen Großunternehmen, die jährlich mehr als 50 Millionen Dollar umsetzen, hätten zwischen 1989 und 1995 keine Einkommensteuer bezahlt.

Und immer mehr Konzerne, sagt Komisar, entzögen sich dem Fiskus, indem sie so genannte Offshore-Tochterfirmen gründen, etwa auf den Cayman-Inseln. Die kleine Inselgruppe in der Karibik, die nur 31000 Einwohner hat, zählt 575 registrierte Banken und 20000 gemeldete Firmen.

Wachsender Graben

Sven Giegold, Mitglied des Attac-Koordinationskreises, spricht von einem wachsenden Graben zwischen Arm und Reich. Auch in Deutschland: In den vergangenen drei Jahrzehnten habe sich mobiles Kapital den Steuerbehörden zunehmend entzogen, die Abgaben auf Arbeitseinkommen hingegen seien gestiegen. "DaimlerChrysler hat 1997 trotz ansehnlicher Gewinne weder Körperschaft- noch Gewerbesteuer entrichtet", hält Giegold fest.

"Der Pförtner bezahlte mehr Steuern als der Konzern selbst." So genannte Doppelbesteuerungsabkommen erleichtern Attac zufolge die Steuerflucht. Kleine und mittelständische Unternehmen, die keine Briefkastenfirma in einer Steueroase unterhalten, seien im Wettbewerb mit den multinationalen Konzernen massiv benachteiligt.

Lange Trickliste

Die Trickliste, wie Großunternehmen ihre Gewinne verschieben, ist lang. Dividenden werden an eine Holdinggesellschaft in einer Steueroase ausgeschüttet. Konzerneigene Vertriebs-, Einkaufs- oder Versicherungsgesellschaften im Ausland stellen dem Mutterhaus überhöhte Rechnungen. Die eigene Patentverwertungsfirma erhebt Lizenzgebühren offshore.

Die im Ausland operierende Finanzierungsgesellschaft nimmt Kredite auf und gibt sie dem Konzern zu hohen Zinssätzen weiter, sodass die anfallenden Zinszahlungen im Heimatland als Verluste bei der Steuer abzugsfähig sind. Mehr als die Hälfte des Welthandels mit Gütern und Dienstleistungen wird laut Attac firmenintern abgewickelt.

Das mittlerweile in Steueroasen angelegte Kapital schätzt Vito Tanzi, der Chef der Steuerabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF), auf sieben bis acht Billionen US-Dollar: Dieses Volumen übersteigt den Wert des jährlichen Welthandels.

Passive Fluchthilfe

Die Schweiz leistet reichen Privatpersonen passive Fluchthilfe. Fachpublikationen über das Vermögensgeschäft gehen davon aus, dass die helvetischen Banken 37 Prozent des weltweit auf Privatkonten angelegten Geldes verwalten. Gut zwei Drittel davon würden nach Schätzung der Deutschen Bank nicht versteuert, sagt Bruno Gurtner von der Swisscoalition der Hilfswerke.

Der Grund: Die Schweiz unterscheide zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Letzteres sei nach schweizerischem Gesetz kein Verbrechen. Das Bankgeheimnis werde nur gelüftet, wenn Verdacht auf Geldwäsche, Insidergeschäfte, Korruptionsdelikte und Terroristenkonten bestünde oder wenn nach Potentatengeldern gesucht werde.

Gefahr für die Dritte Welt

"Das aus den Fugen geratene Steuersystem bedroht die Entwicklungsländer", sagt Bruno Gurtner. Die britische Entwicklungsorganisation Oxfam vermute, dass der Dritten Welt allein an Steuern jährlich 15 Milliarden Dollar entgingen.

Das Geld fehle den unterentwickelten Volkswirtschaften an allen Ecken und Enden, betont Gurtner. "Die Industrieländer nehmen durchschnittlich 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an Steuern ein, die Entwicklungsländer hingegen nur elf Prozent."

Wachsendes Netzwerk

´Attac Deutschland, die Swiss Coalition von Hilfswerken und das Internationale Netzwerk für Steuergerechtigkeit plädieren in Bombay für ein Stopfen der Steuerlöcher. Vor zwei Jahren haben die drei Organisationen auf dem Europäischen Sozialforum die Zusammenarbeit aufgenommen.

Ihr Netz ist inzwischen auf 50 Gruppierungen angewachsen - und nach dem Seminar am vierten Weltsozialforum meldete sich bei ihnen ein Dutzend weiterer Interessenten.

© SZ v. 22.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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